Die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump hat die Finanzmärkte erschüttert. Die Art und Weise, wie der Welthandel in den vergangenen achtzig Jahren funktioniert hat, ist für die Zukunft möglicherweise nur noch von geringer Bedeutung. Was heisst für Investoren?
Am Montag, den 15. September 2008, kurz nach Börsenschluss in New York, meldete Lehman Brothers überraschend Konkurs an. Der Kollaps der Investmentbank ereignete sich nach der Rettung bzw. dem Konkurs von Bear Stearns und Merrill Lynch, und recht bald folgten weitere Insolvenzen bei den Finanzinstituten Wachovia, Washington Mutual und AIG. Die Marktteilnehmer folgerten daraus rasch, dass der US-Finanzsektor am Rand eines Zusammenbruchs stand. Anders als noch wenige Tage zuvor wurde offensichtlich, dass Finanzinstitute wie Dominosteine umfallen könnten, und zwar wegen der Kombination aus (a) finanzieller Deregulierung, (b) einem manischen Immobilienboom, (c) der unvernünftigen Vergabe von Hypotheken, (d) dem Tranchieren von Hypotheken in Tausende von Wertpapieren, die zu hoch bewertet waren, (e) Investitionen in diese Wertpapiere seitens stark fremdfinanzierter Banken und (f) dem «Gegenparteirisiko», das sich aus der Verflechtung der Banken untereinander ergab. Aufgrund dieser Befürchtungen fielen die Märkte in einen Zustand, der sich wie eine endlose Abwärtsspirale anfühlte.
Ich dachte damals, dass ich mich zu diesen Entwicklungen und den Aussichten für die Zukunft äussern sollte. Das Ergebnis war ein Memo mit dem Titel «Nobody Knows», das vier Tage später veröffentlicht wurde. Darin bekräftigte ich wie üblich meine Unkenntnis, was die Zukunft anbelangt; allerdings mit noch mehr Nachdruck als sonst, zumal alle bisherigen Annahmen auf den Kopf gestellt worden waren. Niemand – und schon gar nicht ich – wusste, ob diese verheerende Spirale gestoppt werden konnte. Dennoch kam ich zu dem Schluss, dass wir von einem solchen Szenario ausgehen mussten und daher kräftig Geld in Finanzanlagen mit massiv herabgesetzten Preisen investieren sollten.
Kein Mensch konnte zu diesem Zeitpunkt sagen, dass er irgendetwas «wusste», mich eingeschlossen. Ich musste mich darauf beschränken, einige grundlegende Gedanken durchzuspielen, die wie folgt lauteten:
- Wir können das Ende der Welt nicht mit Gewissheit vorhersagen,
- Selbst im Wissen, dass die Welt untergeht, wüssten wir nicht, was wir dann tun sollten,
- Die Massnahmen um uns gegen das Ende der Welt zu wappnen, hätten katastrophale Konsequenzen, wenn es nicht so weit kommen würde, und
- In den meisten Fällen geht die Welt nicht unter.
Natürlich stützte ich diese Schlussfolgerungen nicht auf mein Wissen um die Zukunft. Aber ich sah keine andere vernünftige Lösung, als unser Geld zu investieren; inklusive der 10 Mrd. $, die nicht in unserem Opportunities Fund VIIb angelegt waren. Wir hatten diesen Fonds seinerzeit aufgelegt, um uns auf eine grosse Chance im Bereich notleidender Kredite vorzubereiten. Wie hätten wir diese Gelegenheit also nicht ergreifen können? Dies, vor allem angesichts der Schnäppchenpreise (und aussergewöhnlich attraktiven Renditen), zu denen wir einige der hochwertigsten Anleihen in einer Notlage erwerben konnten. Und doch hatten wir zugegebenermassen keine Ahnung, was die Zukunft bringen würde.
Ich kann nicht behaupten, dass ich die Zukunft analysiert hatte. De facto halte ich den Ausdruck «die Zukunft analysieren» für einen grossen Widerspruch. Die Zukunft steht ja noch nicht fest, und sie unterliegt Millionen komplexer, nicht quantifizierbarer und unwägbarer Faktoren, die ständig variieren werden. Man kann daher über die Zukunft nachdenken und spekulieren, aber es gibt nichts zu «analysieren» – schon gar nicht in einer Situation wie damals, in den ersten Tagen der globalen Finanzkrise.
Den Titel dieses Memos von 2008 verwendete ich März 2020 erneut für das Memo «Nobody Knows II», mein erstes Memo während der Covid-19-Pandemie. Darin zitierte ich den Harvard-Epidemiologen Marc Lipsitch. Er sagte, dass unsere Entscheidungen normalerweise auf der Grundlage von (a) Fakten, (b) fundierten Hochrechnungen auf Basis ähnlicher Erfahrungen und (c) Ansichten oder Spekulationen beruhen. Da es aber weder konkreten Fakten zu einer Covid-Pandemie noch ähnlichen Erfahrungen gab, blieb uns nur Spekulation.
Hinsichtlich der Ereignisse von 2008 und anderer Krisen, während denen ich investiert habe, möchte ich an dieser Stelle – auch mit Blick auf die gegenwärtige Situation – festhalten, dass ich meine Schlussfolgerungen nicht mit Zuversicht ziehe oder ohne Angst vorgehe. In der Welt des Investierens gibt es absolut keine Berechtigung für Gewissheit, schon gar nicht während Wendepunkten und Umbrüchen. Ich bin mir nie sicher, ob ich die richtige Antwort kenne, aber wenn ich herausfinden kann, wie man aufgrund logischer Überlegungen am besten vorgehen sollte, dann muss ich entsprechend danach handeln.
Unsichere Aussichten
In meinem Memo «2024 im Rückblick» vom Februar, das ausschliesslich an unsere Kunden verschickt wurde, hielt ich fest, das treffendste Wort zum Beschreiben der Trump-Administration sei «Unsicherheit». Wie Präsident Trump denkt, ist weniger vorhersehbar als bei den meisten Präsidenten; vor allem, weil sein Denken nicht wirklich auf einer einheitlichen Ideologie basiert und ausgesprochen stark von taktischen Überlegungen abhängt. Man kann aber festhalten, dass er sich seit mindestens 1987 für Zölle stark gemacht und sich darüber beklagt hat, dass die Vereinigten Staaten im Welthandel benachteiligt würden. Obschon wir wussten, dass er die Zölle anheben würde, hat niemand das Ausmass der Erhöhungen vorhergesehen. Die Märkte hatten dies sicherlich nicht getan.
Die Ereignisse der letzten Woche erinnern uns an die Entwicklungen von 2008, aus denen die globale Finanzkrise resultierte. Alle Normen wurden fallen gelassen. Die Art und Weise, wie der Welthandel in den vergangenen achtzig Jahren funktioniert hat, ist für die Zukunft möglicherweise nur noch von geringer Bedeutung. Die Auswirkungen auf die globale Wirtschaft und die Welt generell sind völlig unvorhersehbar. Wir stehen vor weitreichenden Entscheidungen, doch auch in diesem Fall gibt es keine Fakten oder historischen Erfahrungen, auf die wir uns stützen könnten. Niemand weiss es genau, und ein Grossteil dieses Memos wird sich mit Fragen befassen, die wir nicht mit Sicherheit beantworten können. Dennoch hoffe ich, dass es Ihnen helfen wird, die heutigen Herausforderungen einzuordnen und zu beurteilen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es keine Experten für das vorliegende Thema gibt. Ökonomen verfügen über Analyseinstrumente und Theorien, aber kein Ökonom und kein Instrument wird unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen zu einem Ergebnis gelangen, an das wir uns mit Sicherheit halten können. In der jüngeren Vergangenheit gab es keine bedeutenden Handelskriege, weshalb Theorien nicht erprobt sind. Investoren, Geschäftsleute, Akademiker und Regierungsvertreter erhalten Ratschläge. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie richtig liegen, ist aber nicht grösser als bei einem durchschnittlich intelligenten Beobachter. Die Fakten, über die sich alle einig sind, liegen auf der Hand; etwa, dass die Preise wahrscheinlich steigen werden. Weniger offensichtliche Sachverhalte werden schwieriger zu ermitteln sein.
Auf einem Punkt beharre ich: Selbst für jemanden, der sich anhand von Prognosen mit der Zukunft beschäftigt, reicht eine Prognose nicht aus. Denn ausser einer Prognose braucht man auch ein gutes Gespür für die Wahrscheinlichkeit, dass die Prognose zutrifft. Dies, zumal nicht alle Prognosen unter den gleichen Voraussetzungen aufgestellt werden. Infolgedessen muss man im derzeitigen Umfeld berücksichtigen, dass Prognosen mit einer noch geringeren Wahrscheinlichkeit zutreffen werden als sonst.
Weshalb? In erster Linie wegen der riesigen Anzahl noch nie dagewesener Unsicherheitsfaktoren, die mit den aktuellen Entwicklungen zusammenhängen. Sie könnten potenziell das grösste wirtschaftliche Ereignis in unserem Leben sein. Es gibt keinen Wissensvorsprung, sondern nur Komplexität und Ungewissheit – und diese Tatsache müssen wir akzeptieren. Wenn wir also als Vorbedingung für unser Handeln auf Gewissheit oder sogar Vertrauen bestehen, dann werden wir in Untätigkeit verharren. Glauben wir hingegen, dass wir unsere Entscheidungen mit Gewissheit oder Zuversicht getroffen haben, werden wir uns – so wage ich zu behaupten – wahrscheinlich irren. Folglich müssen wir unsere Entscheidungen in Ermangelung dieser Voraussetzungen treffen.
Wir müssen aber auch bedenken, dass der Entscheid, nicht zu handeln, nicht das Gegenteil von Handeln ist, sondern ebenfalls eine Handlung. Der Entscheid, nicht zu handeln – ein Portfolio unverändert zu lassen –, sollte deshalb genauso kritisch beleuchtet werden wie der Entscheid, Änderungen vorzunehmen. Altbekannte Sprüche, hinter denen sich verängstigte Anleger verstecken im Stil von «man soll nicht versuchen, in ein fallendes Messer zu greifen» und «jetzt heisst es abwarten, bis sich der Staub gelegt hat und die Ungewissheit vorbei ist» dürfen nicht unser Verhalten diktieren. Ganz besonders gefällt mir deshalb der Titel eines Buches, das ein Marktanalyst namens Walter Deemer verfasst hat: «Wenn die Zeit zum Kaufen kommt, wird Ihnen nicht danach sein.» Die negativen Ereignisse, die zu den gravierendsten Kursverlusten führen, sind fürchterlich und halten vom Kauf ab. Aber wenn schlechte Nachrichten auf uns niederprasseln, ist das oft der beste Zeitpunkt, um zuzuschlagen.
Angesichts von Trumps taktisch veranlagtem Denken sollten wir uns schliesslich bewusst sein, dass sich stets alles ändern kann. Es sollte niemanden überraschen, wenn er Zugeständnisse macht und den Sieg verkündet … oder wenn er auf Vergeltungsmassnahmen anderer Länder mit einer weiteren Eskalation antwortet. Während einer Konferenz der Wharton School an der University of Pennsylvania habe ich deshalb vor einigen Tagen Folgendes gesagt: Wenn jemand glaubt, er wisse, wie hoch ein bestimmter Zollsatz in drei Monaten sein wird, wette ich viel Geld darauf, dass er sich irrt – selbst ohne vorher zu wissen, wie seine Aussage lautet.
Zölle
Was sind die Argumente von Präsident Trump, mit denen er seine Zölle begründet? Und sind sie stichhaltig? Am Tag, als die Zölle angekündigt wurden, sagte ein Kommentator im Fernsehen, dass Trumps «Impulse» eine gewisse Berechtigung hätten. Was sind seine Ziele? Sie umfassen einige oder alle der folgenden Aspekte:
- Unterstützung der amerikanischen Industrie
- Förderung von Exporten
- Eindämmung von Importen
- Verringerung oder Beseitigung des US-Handelsdefizits
- Lieferketten durch die Rückverlagerung von Produktion sicherer machen
- Abschreckung gegen unfaire Handelspraktiken zum Nachteil der USA
- Andere Länder an den Verhandlungstisch zwingen
- Einnahmen für das US-Finanzdepartment erzielen
Jedes dieser Ziele ist zugegebenermassen für sich genommen wünschenswert und eine logische Konsequenz von Zöllen.
Wenn es aber nur so einfach wäre. Hier das Problem: In der realen Welt, und insbesondere in der Wirtschaft, gibt es Konsequenzen zweiter und dritter Ordnung, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Ansonsten wäre die Wirtschaftswissenschaft so verlässlich wie die Naturwissenschaften; quasi nach der Vorstellung «aus Handlung A resultiert Reaktion B». Der amerikanische Physiker Richard Feynman beschrieb es treffend: «Stellen Sie sich vor, wie viel komplizierter Physik wäre, wenn Elektronen Gefühle hätten.» Volkswirtschaften und Märkte basieren fast ausschliesslich auf dem Verhalten von Menschen, und Menschen haben Gefühle, was die Auswirkungen unvorhersehbar macht. In der Wirtschaft reagieren andere auf Handlung A und auf Reaktion B, die aus Handlung A erfolgt. Über die Effekte dieser Reaktionen müssen wir sorgfältig nachdenken. Oft sind die Auswirkungen nicht nur signifikant, sondern auch unvorhersehbar. Darüber hinaus spielt Politik in dieser Problematik eine besonders wichtige und unberechenbare Rolle mit einer vollständig eigenen Motivation.
Was sind demnach wahrscheinliche Folgen von Trumps Zöllen? Die Liste der Konsequenzen ist lang, und viele sind besonders gravierend:
- Vergeltungsmassnahmen anderer Länder
- Preiserhöhungen und steigende Inflation
- Zerstörung der Nachfrage aufgrund von Preiserhöhungen und sinkendem Verbrauchervertrauen
- Rezession und Verlust von Arbeitsplätzen, sowohl in den USA als auch weltweit
- Versorgungsengpässe
- eine fundamentale Veränderung der Weltordnung
Viele verschiedene Aspekte müssen daher berücksichtig werden. Wenn ich versuchen würde, allen gerecht zu werden, würden wir hier ewig brauchen. Ich werde nur einige streifen.
Manche Länder werden verhandeln – schliesslich haben die USA in den meisten Fällen, um es mit Trumps Worten auszudrücken, «die besten Karten in der Hand». Andere Länder werden jedoch nicht verhandeln; möglicherweise, weil ihre Staatsführer darauf pochen, Stärke zu demonstrieren, was zu einer Eskalation führt. Höhere «reziproke Zölle» werden unter dem Strich wahrscheinlich nichts Positives bewirken und die Situation für beide Seiten wahrscheinlich noch schlechter machen. Es würde den USA wenig nützen, wenn die zusätzlichen Probleme, die wir dann hätten, weniger schlimm wären als die, mit denen sich andere Länder konfrontiert sehen würden.
Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Zölle zu höheren Preisen führen werden. Zölle sind Steuern auf Einfuhren, und jemand muss sie zahlen. Dies gilt sowohl für Waren, die aus dem Ausland importiert werden, als auch für in den USA hergestellte Waren, die importierte Materialien oder Komponenten enthalten. Daraus folgt, dass es zu weitreichenden Auswirkungen kommen wird. Der Importeur zahlt zwar den Zoll an der Grenze, doch die Kosten werden in der Regel an den Endabnehmer der Waren, sprich den Verbraucher, weitergegeben. Theoretisch kann nicht nur der Hersteller, also der Exporteur, oder das Exportland die Steuer übernehmen, sondern auch der Importeur, um sein Geschäft in Gang zu halten. Niemand wird aber darauf erpicht sein, dafür seinen Gewinn zu schmälern, und in vielen Fällen sind die Margen nicht hoch genug, um dies in Kauf zu nehmen.
In meinem Memo vom März 2022, «The Pendulum in International Affairs», habe ich festgehalten, dass die Preise für langlebige Konsumgüter in den USA zwischen 1995 und 2020 real um 40% gesunken sind und die Gesamtinflation im Durchschnitt nur 1,8% pro Jahr betrug. Zu langlebigen Konsumgütern gehören vor allem Fahrzeuge, Haushaltsgeräte und Elektronik, wovon ein grosser Teil importiert wurde. Wie hoch wäre wohl die Inflation gewesen, wenn Billigimporte erschwert oder unmöglich gemacht worden wären?
Doch nehmen wir einmal an, die ersten drei oben genannten Ziele werden tatsächlich erreicht. Das würde bedeuten, dass mehr Waren, die in den USA gekauften werden, aus heimischer Produktion stammen:
- Erstens gibt es in den meisten Fällen nicht genügend Produktionskapazitäten, die hochgefahren werden können. Ich bezweifle zum Beispiel, dass es in den USA eine Fabrik gibt, die Computer oder Flachbildschirme für Fernseher herstellen kann. Es würde Jahre dauern, um genügend Kapazitäten aufzubauen, mit denen ein bedeutender Prozentsatz der US-Nachfrage befriedigen werden kann. Folglich käme es in der Zwischenzeit zu Engpässen und/oder die Verkaufspreise würden wahrscheinlich auf dem alten Niveau zuzüglich der Zölle liegen.
- Zweitens würden die neuen Fabriken, die Arbeitsplätze in der Industrie schaffen sollen, Jahre für die Genehmigung und den Bau benötigen. Die Erwartung von Gewinnen auf viele Jahre hinaus müsste zudem die Baukosten rechtfertigen. Entscheidungen, die angesichts der Ungewissheit über künftige Trends im Bereich Automatisierung und künstliche Intelligenz ohnehin schwierig sind, würden dadurch noch komplexer. Werden sich Konzernchefs auf der Grundlage von Zöllen, die möglicherweise neu verhandelt (oder beim Amtsantritt einer neuen Regierung abgeschafft) werden, zu solchen Investitionen verpflichten? Bedenken wir, dass Trumps 25%-Zölle auf mexikanische und kanadische Waren das Abkommen zwischen den USA und Mexiko sowie Kanada ersetzen, das er selber während seiner ersten Amtszeit ausgehandelt hat. Es trat 2020 in Kraft und folgte auf das 1994 umgesetzte Handelsabkommen NAFTA.
- Drittens gibt es in den USA vermutlich nicht genug qualifizierte Arbeitskräfte, um all die Arbeiter zu ersetzen, die in China und in den Entwicklungsländern derzeit Waren für den amerikanischen Markt herstellen.
- Viertens: Warum kaufen wir Amerikaner überhaupt Importe? Weil sie günstiger sind. Weshalb ist in den USA eine bestimmte Art von Arbeitsplätzen verloren gegangen? Weil amerikanischen Arbeitern für den gleichen Job mehr bezahlt wurde als Arbeitern in anderen Ländern, die amerikanischen Produkte aber nicht gut genug waren, um höhere Verkaufspreise zu rechtfertigen. Das ist der Grund, weshalb die Exporte von Volkswagen in die USA zwischen 1950 und 2012 von 333 Autos auf mehr als 400’000 gestiegen sind. Es lag nicht daran, dass die Zölle in den USA zu niedrig waren. Der Grund hat schlicht damit zu tun, dass ausländische Waren oft weniger kosten als vergleichbare Waren, die in den USA hergestellt werden. Selbst wenn die Zölle fortan hoch genug angesetzt werden, um in den USA hergestellte Waren billiger zu machen als importierte, werden die Preise in absoluten Zahlen höher sein, als es die amerikanischen Konsumenten gewohnt sind. Heute Morgen wurde beispielsweise im Fernsehen erwähnt, dass ein in den USA hergestelltes Smartphone 3’500 $ kosten könnte.
Den meisten Amerikanern bleibt nach den Ausgaben für das Nötigste nur wenig von ihrem Einkommen übrig. Höhere Preise werden deshalb wahrscheinlich zu einem sinkenden Lebensstandard führen. Es sei denn, die Löhne steigen so schnell wie die Preise. Aber in diesem unwahrscheinlichen Szenario sprechen wir von einer gefährlichen Inflationsspirale.
Höhere Preise bedeuten wahrscheinlich einen geringeren Absatz und damit sinkende Margen. Mein Lieblingsökonom (für mich ein Oxymoron), Conrad DeQuadros von Brean Capital, hält die Ertragskraft von Unternehmen für den besten Frühindikator für eine Rezession. Wenn die Margen unter Druck geraten, stoppen Unternehmen neue Investitionen und nehmen Entlassungen sowie andere Kostensenkungen vor, was häufig zu einem wirtschaftlichen Abschwung führt.
Ökonomie ist die Wissenschaft der Entscheidungen, wobei es um eine Vielzahl von Kompromissen geht. Das gilt natürlich auch für den Bereich Handel und Zölle. Dieser Tage wird zum Beispiel berichtet (ich weiss nicht, wie zuverlässig), dass die Einführung von Zöllen auf importierten Stahl im Jahr 2018 rund 1000 Arbeitsplätze in der US-Stahlindustrie gerettet haben soll. Doch in der stahlverarbeitenden Industrie gingen zugleich 75’000 Stellen in den USA verloren (oder es wurden potenziell keine neuen Arbeiter eingestellt). Wie werden solche Entscheidungen künftig getroffen? In meinem Memo «Economic Reality» vom Mai 2016 habe ich bereits darüber geschrieben:
Wie lassen sich die Interessen der schätzungsweise 3,2 Mio. Amerikaner, die ihren Arbeitsplatz im verarbeitenden Gewerbe an China verloren haben, gegenüber Hunderten von Millionen abwägen, die für importierte Waren erheblich mehr bezahlen müssten? Das ist keine einfache Frage.
In allen Bereichen der Wirtschaft gilt: Je unsicherer sich die Menschen fühlen, desto zurückhaltender verhalten sie sich, wenn es um das Eingehen von Risiken geht. In der unsicheren Welt, die uns bevorsteht, werden die Menschen wahrscheinlich nur ungern Entscheidungen treffen und sich auf Verpflichtungen einlassen. Auch werden sie wahrscheinlich weniger für eine Einheit des potenziellen Gewinns einsetzen wollen.
Gemäss dem Ökonomen John Maynard Keynes werden wirtschaftliche Aktivitäten von «Animal Spirits» getrieben, die er als «spontanen Drang zum Handeln statt zur Untätigkeit» beschrieb (laut Wikipedia). Demnach sind sie «nicht das Ergebnis eines gewichteten Durchschnitts quantitativer Vorteile multipliziert mit quantitativen Wahrscheinlichkeiten». Dieser Drang basiert üblicherweise auf Optimismus, möglicherweise reflektiert im Verbrauchervertrauen. Woher werden positive Animal Spirits in dem Umfeld kommen, das vor uns liegt?
Die Internationale Perspektive
Die Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen im Bereich Zölle erstrecken sich bedeutenderweise auf die internationale Ebene und gehen weit über die Wirtschaft hinaus. Der globale Handel hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs enorm positiv auf die gesamte Welt ausgewirkt. Zusammen mit den Investitionen für den Wiederaufbau nach dem Krieg, technologischen und unternehmerischen Fortschritten, der Verbesserung der Infrastruktur sowie der Expansion der Kapitalmärkte hat die Globalisierung in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer steigenden Flut beigetragen, die wahrhaftig alle Boote anhob. Manchen Ländern und Menschen erging es freilich besser als anderen, aber praktisch allen erging es besser. Ich glaube, dies war ein wichtiger Grund dafür, dass wir in den vergangenen achtzig Jahren Frieden und Wohlstand geniessen konnten. Infolgedessen hatten wir das Privileg, in der besten Zeit der Weltgeschichte zu leben.
Der Hauptnutzen der Globalisierung wird als «komparativer Vorteil» bezeichnet. Jedes Land verfügt über einige Produkte, die es besser und/oder billiger herstellt als andere Länder. Bei anderen Produkten ist das Gegenteil der Fall. Wenn jedes Land die erstgenannten Produkte an den Rest der Welt verkauft und die letztgenannten Produkte von anderen Ländern kauft, wird der kollektive Wohlstand dank der Steigerung der Gesamteffizienz maximiert. Wie ich vor einigen Tagen auf «Bloomberg TV» sagte, geht es uns allen besser, weil Italien Pasta herstellt und die Schweiz Uhren. Wenn Handelsbarrieren Italien aber dazu zwingen würden, eigene Uhren herzustellen, und die Schweiz Pasta selber produzieren müsste, würden die Bürger in beiden Ländern wahrscheinlich mehr für Produkte bezahlen, die sie bisher billiger aus dem Ausland importieren konnten, und/oder sie würden minderwertige Produkte konsumieren, die im Inland hergestellt wurden.
Vor allem die Menschen in den USA haben massiv von der Tatsache profitiert, dass die meisten Waren in anderen Ländern – und insbesondere in Entwicklungsländern – billiger hergestellt werden können, weil die Löhne dort niedriger sind. Dies hat die USA einige Millionen Arbeitsplätze gekostet. Praktisch allen Amerikanern war es dadurch aber möglich, wesentlich besser zu leben, als wenn sie ausschliesslich in den USA hergestellte Waren gekauft hätten. Das ist der simple Grund, warum Walmart die meisten Waren abgesehen von Nahrungsmitteln importiert.
Ein weiterer Faktor, der die Welt besser gemacht hat, ist das Verhalten der USA in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich beschreibe es als «Grosszügigkeit gegenüber dem Rest der Welt, die aus bewusstem Eigeninteresse resultierte». Im Rahmen des Marshall-Plans hat Amerika Milliarden von Dollar ausgegeben (nicht geliehen), mit denen Westeuropa wieder aufgebaut wurde. In ähnlicher Weise überwachte General Douglas MacArthur zwischen 1945 und 1952 den Wiederaufbau Japans und die Förderung der japanischen Wirtschaft. Seitdem haben die USA (a) umfangreiche Auslandshilfe geleistet, (b) viel in die Gesundheitsversorgung von Entwicklungsländern investiert, (c) Programme lanciert, die ausländische Studenten ein Studium in den USA ermöglichen und umgekehrt, und (d) eine positive Botschaft an Menschen in der ganzen Welt gesandt. Dies alles sind Beispiele für Grosszügigkeit. Bei jeder «Transaktion» haben wir mehr ausgegeben, als wir direkt dafür erhalten haben. Ein Zyniker könnte sagen, dass wir uns wie Dummköpfe verhalten haben.
Es stimmt, man kann diese Massnahmen als Grosszügigkeit bezeichnen. Wie es aber das Nationalarchiv in Washington ausdrückt, hat der Marshall-Plan «Märkte für amerikanische Waren geöffnet, verlässliche Handelspartner geschaffen und dazu beigetragen, dass sich in Westeuropa stabile demokratische Regierungen etablieren konnten». Das ist eine ziemlich gute Gegenleistung. Die Menschen in anderen Ländern erhielten viele Gratisleistungen, aber Amerika profitierte von diesen Programmen, da sie den Kommunismus eindämmten, andere Nationen dazu brachten, ihre Sicherheitspolitik mit den USA abzustimmen, und zum Status der USA als wohlhabendste Nation der Welt beitrugen. Ich habe kein Interesse daran, dass sich Amerika in Isolationismus abkehrt.
Es ist jedoch sehr gut möglich, dass sich dieser Prozess umkehrt:
- Wir können unsere Handelspartner verärgern und unsere Verbündeten dazu verleiten, dass sie sich schikaniert und erpresst fühlen.
- Wir können Länder, die bezüglich Kapitals und anderer Formen von Unterstützung auf die USA angewiesen sind, dazu drängen, sich stattdessen an China und Russland zu wenden.
- Wir können den Rest der Welt dazu veranlassen, weniger in den USA und weniger in US-Staatsanleihen zu investieren.
- Die ersten beiden Punkte könnten uns wichtige Verbündete kosten und dazu führen, dass manche Nationen Demokratie als weniger vorteilhaft erachten. Wie mein Freund Michael Smith sagt: «Man kann sich nicht feindselig verhalten und gleichzeitig Einfluss nehmen.» Und der dritte Punkt würde sich drastisch auf die Finanzlage der USA auswirken.
Die Welt hat bislang grosse Achtung vor der amerikanischen Wirtschaft und unserer Rechtsstaatlichkeit. Unsere finanzpolitische Zuverlässigkeit hat uns zudem eine «goldene Kreditkarte» garantiert, bei der es kein Kreditlimit gibt und nie eine Rechnung kommt. Dies hat es den USA ermöglicht, in jedem der letzten 25 Jahre und in allen ausser vier der letzten 45 Jahre ein Haushaltsdefizit auszuweisen, einschliesslich Defizite in Höhe von über einer Billion Dollar in jedem der letzten fünf Jahre. Mit anderen Worten: Wir konnten über unsere Verhältnisse leben, da die US-Regierung mehr ausgibt, als sie durch Steuern und Gebühren einnimmt. Daraus resultierte eine der problematischsten Entwicklung in den USA: die Staatsverschuldung von 36 Bio. $, die durch ein äusserst unverantwortliches Verhalten in Washington verursacht worden ist.
Ich erwarte nicht, dass man in Washington plötzlich damit beginnt, sich verantwortungsvoll zu verhalten und sich mit einem ausgeglichenen Budget abfindet. Deshalb muss ich mich fragen, wie lange Amerika noch auf diese goldene Kreditkarte zählen kann.
- Könnten andere Länder weniger dazu bereit sein, US-Staatsanleihen zu kaufen? Könnten sie zum Schluss kommen, dass unsere Haushaltspolitik unzuverlässig ist?
- Selbst wenn Amerika der Schuldner mit der besten Kreditwürdigkeit der Welt bleibt: Könnten andere Länder den Erwerb von US-Staatsanleihen aus Sorge, Groll oder politischer Motivation einschränken?
- Was würde passieren, wenn eine Auktion von US-Staatsanleihen fehlschlägt? (Ich kann mir vorstellen, dass die US-Notenbank dann die nicht verkauften Wertpapiere übernehmen würde, hätte aber kein gutes Gefühl dabei, wenn sie das Geld dafür schafft, indem sie den Banken Einlagen zur Verfügung stellt. Denn woher sollen diese Mittel letztlich kommen?)
- Bleiben wir der Schuldner mit der besten Kreditwürdigkeit der Welt, wenn der Dollar als Weltreservewährung weniger anerkannt wird?
- Was würde mit dem Defizit – und damit der Staatsverschuldung – passieren, wenn die Käufer höhere Renditen für US-Staatsanleihen verlangen? Bislang wurde ein Teil unseres Handelsdefizits wahrscheinlich in Käufe von US-Staatsanleihen rezykliert. Wie verhalten sich die Renditen von Staatsanleihen, wenn das nicht mehr der Fall ist?
Seit dem Zweiten Weltkrieg und schon zuvor hatte Amerika «die Karten in der Hand». Trump glaubt an die Stärke der USA und daran, dass er daraus Kapital schlagen kann. Genau darauf laufen seine Zölle hinaus: dass die USA nicht länger für den Rest der Welt «die Party schmeissen». Es geht nicht mehr um Grosszügigkeit in Erwartung langfristiger Vorteile, sondern vielmehr um Transaktionen, bei denen die USA einen fairen Wert herausholen.
Ich habe viele positive Reaktionen zu meinem Auftritt auf «Bloomberg TV» erhalten. Ich nutze folgenden Kommentar eines Zuschauers, um diesen Abschnitt abzuschliessen:
In den 1980er-Jahren waren Leute wie Peter Navarro [Trumps Berater für Handel und Industrie] der Meinung, dass Japans Vorsprung im Automobilsektor Amerikas Zukunft bedrohe.
Japan übernahm tatsächlich die Führung und gab sie nie mehr preis.
Seit dieser Zeit hat sich die Leistung der US-Wirtschaft im Vergleich zu Japan mehr als verdoppelt. Sie hat sich sogar verdoppelt, wenn man die Bevölkerungsentwicklung und die Stärke der Währung berücksichtigt. Sie hat sich verdoppelt, obwohl wir den Vorsprung in der Autoindustrie verloren haben. Oder hat sie sich teilweise gerade deswegen verdoppelt? Die Margen in Bereichen wie Computersoftware und Düsentriebwerke sind wahrscheinlich um einiges höher als bei der Massenproduktion von Autos. (Hervorhebung hinzugefügt)
Japan nutzte seine Vorteile bei der Autoproduktion, und die USA gingen zu anderen Branchen über, in denen sie selbst einen Vorteil erzielen konnten. Ist das nicht genau die Art und Weise, wie eine dynamische globale Wirtschaft funktionieren sollte?
Wie ich in einem Memo vom letzten September gefragt habe: Ist es eine gute Idee, wenn Regierungen versuchen, die Gesetze der Wirtschaft ausser Kraft zu setzen, damit sich ihre Volkswirtschaft – die sich, wenn man sie nicht stören würde, von selber natürlich entwickeln würde – politische Präferenzen erfüllt? Ein Zoll ist eine «Externalität» oder ein «künstlicher Eingriff». Er zielt darauf ab, (a) Exporte zu verhindern, die andere Länder sonst verkaufen würden, und somit (b) inländischen Unternehmen zu helfen, Waren zu verkaufen, die sie sonst nicht absetzen können, wenn man sie sich selbst überlassen würde. Wie hoch werden diese Kosten sein, und wer wird sie tragen?
Fazit
Was sich bisher hinsichtlich Zölle abgespielt hat, würden Fussballfans in meinen Augen als «Eigentor» der USA bezeichnen. Diesbezüglich ist die Situation weitgehend mit dem Brexit-Entscheid vergleichbar, und wir wissen, was dessen Resultat ist. Der Brexit hat die Bevölkerung Grossbritanniens in Bezug auf Wirtschaftsleistung, Moral und Bündnisse mit anderen Ländern enorm viel gekostet. Er hat der Reputation des Landes in Sachen Staatsführung und Stabilität geschadet. All dieser Schaden war selbst verschuldet.
Ich mag es, wie sich die Verhältnisse in meinem Leben entwickelt haben. Es erstreckt sich glücklicherweise über 99% der Nachkriegszeit, die ich hier diskutiert habe. Ein Teil der US-Staatsausgaben ist sicherlich falsch verwendet worden, sowohl im Inland als auch im Ausland. Auch gibt die US-Staatsverschuldung keinen Anlass zum Feiern. Aber ich habe es stets genossen, in einer friedlichen, wohlhabenden und zunehmend gesunden Welt zu leben. Ich bin nicht erpicht darauf, dass sich dies ändert. Noch vor wenigen Monaten ging es der amerikanischen Wirtschaft gut; die Aussichten waren positiv, der Aktienmarkt bewegte sich auf einem Allzeithoch, und es wurde viel über das Narrativ des «American Exceptionalism» gesprochen. Wenn Trumps Zölle jetzt in Kraft treten, wird die US-Wirtschaft wahrscheinlich früher als sonst in eine Rezession fallen, die Inflation dürfte steigen, und es dürfte zu erheblichen Verwerfungen kommen. Selbst wenn die Zölle vollständig rückgängig gemacht werden, ist es unwahrscheinlich, dass andere Länder diesen Vorfall einfach ignorieren und zur Ansicht kommen werden, dass sie sich hinsichtlich ihrer Beziehungen zu den USA keine Sorgen machen müssen.
Niemand sollte ausschliessen, dass Zölle einige der oben aufgeführten Ziele erreichen können. Die industrielle Produktion in den USA könnte steigen, was neue Arbeitsplätze und zuverlässigere Lieferketten schaffen würde. Amerika könnte im Welthandel fairer behandelt werden. Und die Einnahmen des Finanzdepartments könnten steigen.
Andererseits können einige der erhofften Vorteile vermutlich nicht erreicht werden. Speziell, was die Reduktion unseres Handelsdefizits betrifft, ist es unwahrscheinlich, dass die USA jemals weniger von anderen Ländern kaufen werden, als diese von uns kaufen, solange die USA grösser und wohlhabender sind und somit über mehr Kaufkraft verfügen. Dies gilt vor allem, solange unsere Arbeitnehmer besser bezahlt werden, denn das bedeutet, dass die meisten in den USA hergestellten Waren mehr kosten als anderswo produzierte Waren.
Es ist möglich, dass die erhofften Resultate eintreten, oder sich negative Konsequenzen ergeben – oder eine Kombination aus beidem. Hierbei gilt es jedoch zu bedenken, dass sich die negativen Auswirkungen der Zölle wahrscheinlich fast umgehend bemerkbar machen werden, während potenzielle Gewinne nur langfristig, nach einer mehrjährigen Anpassungsphase, erwartet werden können.
Und was ist mit den Finanzmärkten? In den letzten Tagen haben sich die Aussichten zur Wirtschaft beträchtlich verändert. Die Aktienmärkte haben darauf mit massiven Turbulenzen reagiert. Wie immer stellt sich damit die zentrale Frage, wie angemessen die bisherige Marktreaktion ist: war sie korrekt, unzureichend oder übertrieben? Diese Frage zu beantworten, ist sogar noch schwieriger als sonst, da man kaum darauf vertrauen kann, dass sich die künftigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht wesentlich von der bisherigen unterscheiden werden – und wahrscheinlich schlechter sein werden als bisher. Einerseits könnten sich die wirtschaftlichen Konsequenzen tatsächlich als verheerend erweisen, wenn die Zölle wie angekündigt bestehen bleiben und Vergeltungsmassnahmen zu einem ausgewachsenen Handelskrieg führen. Andererseits könnten sich aber auch kühlere Köpfe (und ausgesprochen negative Reaktionen in der Politik und an den Börsen) durchsetzen. Das könnte dazu führen, dass die Zölle auf ein weniger problematisches Niveau gesenkt werden, was vielleicht sogar zu positiven Entwicklungen für den Freihandel führt.
Wie wird die US-Notenbank aller Wahrscheinlichkeit nach reagieren? Die Gefahr einer Rezession könnte beschleunigte Zinssenkungen erforderlich machen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Oder das Risiko von Inflation könnte dazu führen, dass die Zinsen höher bleiben und das Fed mit einer Lockerung der Geldpolitik abwarten muss. Wichtig ist jedoch, dass gängige Massnahmen zur Bekämpfung der Inflation wie Zinserhöhungen wahrscheinlich weniger erfolgreich sein werden als sonst. Dies, weil die Inflation nicht durch die Nachfrage angeheizt wird, sondern dadurch, dass die Zölle zu den Verkaufspreisen addiert werden. Der Titel dieses Memos trifft somit besonders stark auf das Verhalten der US-Notenbank zu: Die Antwort weiss wirklich niemand.
In den Märkten, in denen Oaktree aktiv ist, hat die (nicht unbegründete) Angst vor Zahlungsausfällen dazu geführt, dass die Risikokompensation in Form von Renditeprämien deutlich zugenommen hat. Die erzielbaren Renditen auf Kredite sind dadurch erheblich gestiegen. Gleichzeitig rechnen wir damit, dass mehr Kreditnehmer in Notlage geraten werden und die Nachfrage nach massgeschneiderten Lösungen zur Kapitalbeschaffung zunehmen wird. Das bedeutet, dass wir die Mittel in unserem jüngsten Fonds für opportunistische Kreditanlagen wahrscheinlich schneller investieren werden, als es sonst der Fall wäre.
Um einen Ausspruch von Mark Twain sinngemäss zu zitieren: Es gibt Themen, die sich im Lauf der Geschichte reimen. Aus diesem Grund habe ich für diesen Beitrag den Titel meines Memos im unmittelbaren Nachgang der Lehman-Pleite wiederverwendet. Ich werde auch dessen Schlussabsatz übernehmen:
Vor 18, 24, oder 36 Monaten waren alle kauffreudig. Der Horizont war wolkenlos und die Preise für Vermögenswerte stiegen in den Himmel. Doch jetzt, wo unvorstellbare Risiken drohen und eingepreist sind, ist es angebracht, nach Schnäppchen zu suchen: die Kinder, die mit dem Bade ausgeschüttet werden. Wir sind an diesem Fall dran.
Ich hatte persönlich das Glück, dass ich am Tag von Trumps Zollankündigung Investoren in Montreal besuchen konnte, und am Tag danach in Toronto. Was für ein Zeitpunkt für eine Reise nach Kanada! Zu Beginn jedes Treffens habe ich gesagt, dass ich zu den Hunderten von Millionen Amerikanern gehöre, die Kanada respektieren und das Land als Freund und Verbündeten schätzen. Die Resonanz war überwältigend. Dies ist eine gute Gelegenheit für uns alle, um uns mit Freunden in der ganzen Welt in Verbindung zu setzen.
Bei diesem Gastbeitrag handelt es ich um eine Übersetzung des jüngsten Memos von Howard Marks. Die englische Originalfassung sowie ein dazugehöriger Podcast sind unter diesem Link auf der Website von Oaktree Capital abrufbar.
Howard Marks