Ab Anfang Mai gehen die ersten Frauen später in Pension. Dafür erhalten sie Kompensationen in Milliardenhöhe. Selbst eine Frühpensionierung kann sich lohnen.
Der Abstimmungskampf war heftig. Eine hauchdünne Mehrheit von 50,6 Prozent stimmte vor zwei Jahren für das höhere Pensionsalter der Frauen. Dagegen verlief die Einführung beinahe geräuschlos: Ab Anfang Mai beziehen die ersten Frauen mit Jahrgang 1961, welche drei Monate länger arbeiten müssen, ihre AHV-Rente. Über die kommenden Jahre steigt dieses Alter nun schrittweise auf 65.
Die Frauen aus der Übergangsgeneration seien oft zu wenig informiert über die finanziellen Folgen, sagt der Winterthurer Finanzplaner und Sozialversicherungsexperte Marcel Eigenmann. Anhand seiner Beratungen stelle er fest, dass viele Betroffene ausschliesslich die längere Arbeitsdauer im Auge hätten. «Dass sie umgekehrt aber wegen des Rentenzuschlags von einer höheren AHV profitieren können, darüber wissen nicht alle Bescheid.» Der Bund lässt sich diese Kompensationen 3 Milliarden Franken kosten.
Im besten Fall beträgt der monatliche Rentenzuschlag immerhin 160 Franken oder rund 2000 Franken im Jahr. Bis zum Lebensende kann sich diese Prämie somit auf bis zu 50 000 Franken summieren. Es lohnt sich daher, die Mechanik dahinter genauer zu verstehen. Zunächst: Die Entschädigung beschränkt sich auf Frauen der Geburtsjahre 1961 bis 1969 und ist abgestuft nach Jahrgang. Insgesamt betrifft es mehr als eine halbe Million Personen.
Ärmere Rentnerinnen erhalten mehr Bonus
Der zweite für den Zuschlag wesentliche Faktor ist das Einkommen während des gesamten Erwerbslebens. Denn der Bund will die ärmeren Rentnerinnen besserstellen. Um den höchsten Grundzuschlag von 160 Franken im Monat zu erreichen, darf der für die AHV relevante Durchschnittslohn 60 480 Franken pro Jahr nicht übersteigen. Bis zu einem Verdienst von 75 600 Franken sinkt der Grundzuschlag auf 100 Franken und bei einem Verdienst darüber auf 50 Franken.
Wie sieht die Rechnung nun aus für eine Frau mit Jahrgang 1965 und einem Einkommen von 60 480 Franken? Weil sie ein Jahr länger arbeiten muss und somit erst mit 65 in Rente gehen kann, entgehen ihr AHV-Zahlungen von knapp 30 000 Franken. Umgekehrt aber profitiert sie danach von einem monatlichen Rentenzuschlag von 160 Franken. Ihre persönliche Gewinnschwelle erreicht sie gemäss der Kalkulation von Eigenmann bereits nach 14 Jahren im Ruhestand. Das heisst, wenn sie 79 Jahre oder älter wird, fährt sie dank der AHV-Reform insgesamt besser.
Während sich diese Bilanz für Gutverdienende verschlechtert, ist es für die tiefen Einkommen genau umgekehrt. Im Extremfall mit einer AHV-Minimalrente ist die Gewinnschwelle bereits nach acht Jahren erreicht. Was es bei dieser Kalkulation ebenfalls zu berücksichtigen gilt, ist der Zivilstand: Ist die angehende Rentnerin nämlich verheiratet, und ist der Ehegatte bereits im Pensionsalter, wird das Einkommen der beiden gesplittet. In vielen Fällen wird das für die AHV relevante Einkommen der Frau dadurch steigen – womit der Zuschlag sinken kann.
Lukrative Frühpensionierung
Eine seriöse Vorsorgeplanung lohnt sich für die Frauen der Übergangsgeneration aus einem weiteren Grund: Wer sich gegen das höhere Rentenalter entscheidet und stattdessen eine Frühpensionierung wählt, kann allenfalls von günstigeren Bedingungen profitieren. Das bedeutet im oben erwähnten Beispiel: Geht die Frau mit Jahrgang 1965 bereits mit 64 in Rente, so verliert sie zwar den Rentenzuschlag, doch ihre ordentliche AHV-Rente bleibt unverändert. Selbst eine Frühpensionierung mit 62 Jahren könnte sich für diese Frau lohnen. Ihre Rente wird in diesem Fall zwar um 3 Prozent gekürzt. Doch ohne AHV-Reform hätte dieselbe Frau eine Rentenreduktion von 13,6 Prozent hinnehmen müssen.
Entscheidend dafür, ob sich ein Vorbezug auszahlt, ist die Lebenserwartung: Wer wegen gesundheitlicher Probleme damit rechnen muss, relativ früh zu sterben, kann eine vorzeitige Pensionierung prüfen. Bei einem sehr langen Leben dagegen dürfte der vorzeitige Bezug der AHV die Rentenkürzung nicht mehr aufwiegen.
Die ohnehin schon komplexe Vorsorgeplanung sei für Frauen der Übergangsgeneration noch anspruchsvoller geworden, sagt Eigenmann. «Umso mehr empfehle ich, verschiedene Varianten konkret durchzurechnen.» Die grosszügigen Ausgleichsmassnahmen des Bundes nützen wenig, wenn die Betroffenen nichts davon wissen.