Die neue Abschottungspolitik der USA eröffnet dem Kontinent ungeahnte Chancen. Drei Bereiche verändern sich besonders schnell.
Nach Donald Trumps «Liberation Day» atmeten die Staaten Südamerikas auf. Sie waren mit den niedrigsten Importzöllen bedacht worden. Mit Ausnahme von Ländern wie Nicaragua, Bolivien und Venezuela werden die Zölle auf Importe in die USA nur um zehn Prozent erhöht.
Davon ausgenommen sind die bereits erfolgten Zollerhöhungen für Stahl und Aluminium. Auch für Mexiko bleibt es bei den bereits vor einigen Wochen angekündigten Importzöllen von 25 Prozent. Das Land, das zunächst über das Freihandelsabkommen Nafta und seit 2020 über das Nachfolgeabkommen USMCA mit den USA und Kanada wirtschaftlich eng verbunden ist, weist nach China den grössten Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA auf.
Dass weite Teile Südamerikas im Vergleich zu den südostasiatischen Schwellenländern relativ glimpflich davonkommen, liegt an den Handelsbilanzen: Die USA erzielen gegenüber allen grossen Volkswirtschaften Südamerikas Handelsbilanzüberschüsse. Es gibt also keinen rationalen Grund, südamerikanische Exporte mit Importzöllen zu belegen, wenn man – wie Trump – Aussenhandelsdefizite negativ bewertet und diese abbauen will.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass man davon ausgehen kann, dass Südamerika aufgrund seiner Handelsbilanzdefizite mit den USA in Zukunft von Trumps Vergeltungspolitik verschont bleiben wird – dafür ist es noch zu früh und ist Trump zu unberechenbar.
Trumps Zollpolitik setzt in Südamerika daher Prozesse in Gang, die die Integration der Region in die Weltwirtschaft grundlegend verändern werden.
Drei Bereiche sind derzeit am stärksten in Bewegung.
Südamerika sucht nach neuen Handelspartnern
Weltweit nehmen die Bestrebungen zu, Freihandelsabkommen abzuschliessen, um den wegfallenden Handel mit den USA zu kompensieren. Das gilt auch für Südamerika.
So sind die Chancen gestiegen, dass die Freihandelszone zwischen dem Mercosur und Europa schneller umgesetzt wird. Derzeit verhandeln die EU und der Mercosur mit Hochdruck darüber, in welcher Form das bereits beschlossene Abkommen den Mitgliedsstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden soll.
Bei den bisherigen Gegnern eines Abkommens scheint der Widerstand zu schwinden. So hat sich der Gouverneur der Banque de France zum Schutz vor amerikanischen Zöllen öffentlich für das Abkommen ausgesprochen. In Österreich drängt Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer auf einen raschen Abschluss.
Für eine schnelle Umsetzung spricht, dass es in Europa Konkurrenz für ein Abkommen mit dem Mercosur gibt: Die europäische Freihandelsassoziation Efta, bestehend aus Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz, will beim Präsidententreffen des Mercosur im Juli ebenfalls ein gemeinsames Abkommen unterzeichnen.
Auch sonst haben sich die Entscheidungsprozesse betreffend die Freihandelsabkommen auf beiden Kontinenten beschleunigt, was einen baldigen Abschluss der Abkommen wahrscheinlicher macht.
So will die EU gerade erst auf den Weg gebrachte Forderungen an ihre Handelspartner wieder zurücknehmen. Konkret geht es um die Entwaldungsverordnung, die Nachhaltigkeitsberichterstattung und das Lieferkettengesetz. Diese Regelwerke werden nun entschärft oder gestrichen. Damit gibt es weniger Streitpunkte im Aussenhandel zwischen Südamerika und Europa.
Auch Argentinien hat gemeinsam mit Paraguay die Zölle für fünfzig weitere Produkte gesenkt. Argentinien war jahrelang das Mercosur-Land, das seine Wirtschaft am stärksten vor Importen schützte. Dies ändert sich nun unter der liberalen Regierung von Präsident Javier Milei.
Auch die vor kurzem erfolgte vorsichtige Lockerung der Devisenkontrollen in Argentinien und die anziehende Konjunktur in dem Land mit chronischen Krisen machen die zweitgrösste Volkswirtschaft Südamerikas wieder interessanter für ausländische Investoren. Damit steigt auch die Attraktivität des Mercosur insgesamt als Handelspartner.
Die Mitgliedsländer des Mercosur wollen zudem ihre seit längerem laufenden Verhandlungen mit Staaten wie Singapur, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Südkorea zum Abschluss bringen.
Die Volkswirtschaften des Kontinents verbinden sich
Unternehmen, die in ganz Lateinamerika aktiv sind, planen ihre Wertschöpfungsketten neu. Immer mehr lateinamerikanische Konzerne betrachten ihre Niederlassungen von Mexiko bis Argentinien erstmals als eine Einheit.
Das ist vor allem in Mexiko neu. Das Land richtete seine Wirtschaft bisher vor allem auf Exporte nach Nordamerika aus, integrierte sich aber wenig mit den südlichen Nachbarn. Mit Trumps Abschottungspolitik wird sich das ändern.
Das ist zum Beispiel für die Automobilindustrie interessant. Unternehmen mit Niederlassungen in Lateinamerika überlegen nun, wie sie ihre Wertschöpfungsketten von Mexiko nach Argentinien ausdehnen und neu organisieren können. Volkswagen zum Beispiel ist mit acht eigenen Werken in Argentinien, Brasilien und Mexiko längst in der gesamten Region vertreten. Die Zusammenarbeit in diesem Verbund wird nun neu überdacht.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Washington künftig auch Exporte chinesischer Unternehmen mit Sitzen in Drittländern mit Zöllen belegen wird. Dies betrifft Standorte wie Vietnam oder Mexiko. Bestehende Kooperationen mit chinesischen Zulieferern werden daher ebenfalls auf den Prüfstand gestellt.
Gleichzeitig wächst die Infrastruktur des Kontinents zusammen. Erstmals seit langem gibt es wieder ernsthafte Bestrebungen, die Volkswirtschaften der Atlantikstaaten wie Argentinien und Brasilien an die Pazifikhäfen anzubinden, weil der Handel mit Asien zunehmen wird.
China will seinen gerade eröffneten Hafen in Chancay in Peru über Schiene, Wasser und eine Strasse durch die Anden und den Regenwald mit allen Staaten verbinden. Das könnte einen Wachstumsschub in Lateinamerika auslösen.
Die Landwirtschaft orientiert sich nach Asien
Die lateinamerikanischen Landwirte hoffen, dass China und andere asiatische Staaten ihre Nahrungsmittelimporte aus Südamerika erhöhen, weil sie die Importe der amerikanischen Bauern ebenfalls mit Sanktionen belegen werden.
Während der ersten Amtszeit von Trump konnten die lateinamerikanischen Landwirte ihre Exporte nach Asien deutlich steigern. Südamerikanische Landwirte, Schlachthöfe und Lebensmittelverarbeiter haben sich in Rekordzeit auf die spezifischen Anforderungen der asiatischen Konsumenten und die geopolitischen Veränderungen eingestellt.
Drei Beispiele:
- Rindfleisch: Vor zehn Jahren exportierten brasilianische Fleischproduzenten 115 Tonnen Rindfleisch nach China. Das sind nicht viel mehr als zwei grosse Lastwagen voll. Seit zwei Jahren sind es mehr als 1 Million Tonnen pro Jahr. Inzwischen verkaufen die brasilianischen Schlachthöfe rund die Hälfte ihrer Exporte nach China.
- Weizen: In den vergangenen drei Jahren ist Brasilien zu einem wichtigen Weizenexporteur geworden. Traditionell hat Brasilien Weizen importiert. Nach dem Ausfall der Lieferungen aus der Ukraine und Russland ist Brasilien als Lieferant eingesprungen.
- Baumwolle: Sie ist das Grundprodukt für die weltweite Textilindustrie. Lange musste sie Brasilien importieren, heute ist das Land der weltgrösste Exporteur von Baumwolle, mit einem doppelt so hohen Ertrag pro Hektare wie die USA.
Viel Potenzial für Lateinamerika
Diese Beispiele zeigen, wie schnell die südamerikanische Wirtschaft auf veränderte Weltmarktbedingungen reagieren kann.
Allerdings wächst die Gefahr, dass asiatische Unternehmen nun versuchen werden, ihre Exporte, die von den USA blockiert werden, in andere Regionen umzuleiten. Das wachsende Lateinamerika mit seinem grossen Binnenmarkt böte sich dafür an.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Abschwächung der Weltkonjunktur durch Trumps Massnahmen auswirken wird. Für die Region birgt der neue amerikanische Kurs aber viel Potenzial.