Der deutsche Koalitionsvertrag hätschelt die Boomer auf Kosten ihrer Kinder und Enkel. Das wird auf Dauer nicht gut gehen.
Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick am Morgen», heute von René Höltschi, Wirtschaftskorrespondent Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Warum nur sind nicht Millionen junger Deutscher auf der Strasse, um gegen den Koalitionsvertrag von Union und SPD zu protestieren? Grund genug hätten sie: Der Vertrag beschreibt eine Wirtschaftspolitik «von Alten für Alte». Dies zeigen vor allem zwei Bereiche: die fehlende Antwort auf die demografische Herausforderung und die geplante Neuverschuldung.
Generationengerechtigkeit wird vernachlässigt
Weil die Bevölkerung rasch altert, werden in nächster Zeit immer weniger Arbeitnehmer die Renten von immer mehr Rentnern finanzieren müssen. Deshalb fordern Ökonomen seit Jahren umfassende Rentenreformen: Das Renteneintrittsalter solle an die durchschnittliche Lebenserwartung gebunden, das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung durch ein Kapitaldeckungsverfahren ergänzt werden, bei dem Erwerbstätige einen Teil ihrer künftigen Altersversorgung selbst ansparen.
Und was tut die Koalition in spe? Sie hebelt sogar noch den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor aus. Dieser bremst die Erhöhung der Renten, wenn die Zahl der Rentner im Verhältnis zu den Beitragszahlern zunimmt. Dadurch werden die demografisch bedingten Mehrkosten im Dienste der Generationengerechtigkeit aufgeteilt auf beide Gruppen: die Jüngeren, die mehr bezahlen, und die Rentner, deren Renten langsamer steigen.
Der Koalitionsvertrag setzt diesen Mechanismus nun de facto ausser Kraft, indem er das Rentenniveau, das Verhältnis von Renten zu Löhnen, bis 2031 bei 48 Prozent garantiert. Die milliardenschweren Mehrausgaben dafür will Schwarz-Rot mit Steuermitteln ausgleichen – doch auch die Steuern stemmen mehrheitlich die Erwerbstätigen.
Die geplante Ausweitung der Mütterrente und das Festhalten am abschlagsfreien Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren verursachen eine weitere Umverteilung von Jung zu Alt. Die Alterung wird zudem die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung stark belasten, die ebenfalls nach dem Umlageverfahren funktioniert und bei der weiter steigende Beiträge drohen. In all diesen Bereichen wären strukturelle Reformen überfällig. Stattdessen bietet der Koalitionsvertrag Reförmchen wie die «Frühstart-Rente» und die Einsetzung von Arbeitsgruppen.
Enkel erben Schulden
Schon fast vergessen ist die zweite grosse Umverteilung: Mit Unterstützung der Grünen haben Union und SPD beschlossen, bis zu 500 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden für Infrastruktur- und Klimaschutzinvestitionen aufzunehmen und die Schuldenbremse für alle Verteidigungsausgaben über einem Prozent des Bruttoinlandprodukts auszusetzen.
Gewiss besteht dringender Nachrüstungsbedarf, was für eine Übergangszeit zusätzliche Schulden rechtfertigt. Aber die Schuldenbremse auf Dauer aushebeln? Gewiss braucht es nach langer Vernachlässigung mehr Infrastrukturinvestitionen. Aber die Finanzierung über Schulden in die Zukunft verschieben statt den aufgeblähten Staatshaushalt umschichten? Die Zinsen und Rückzahlungen für all diese Schulden werden die Kinder und Enkel der Boomer über Jahrzehnte belasten.
Seltsamerweise scheint das selbst die Jungparteien der Koalitionäre kaum zu berühren. Zwar hagelt es vor allem von den Jungsozialisten (Juso) Kritik am Koalitionsvertrag. Doch diese entzündet sich unter anderem an den Verschärfungen bei der Migrationspolitik und beim Bürgergeld, nicht an Renten und Schulden.
Vertreibung der Jungen
Nun brauchen Regierungen in Demokratien Mehrheiten. Altert die Wählerschaft, erhalten folglich die Interessen der Älteren mehr Gewicht. Nur wird die demografische Herausforderung nicht kleiner, wenn man sie verdrängt, und ihre Lösung nicht einfacher, wenn man sie aufschiebt.
Vielmehr ist das gefährlich: Wird die Belastung der Jüngeren durch Steuern und Sozialversicherungsabgaben immer grösser, während ihre Rente immer unsicherer wird, droht die Gesellschaft sie irgendwann zu verlieren: Junge Deutsche könnten vermehrt eine berufliche Zukunft im Ausland suchen, weniger Mobile durch Resignation oder Radikalisierung in die «innere Emigration» gehen.
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