Ein Streitgespräch zur kantonalen Abstimmung vom 18. Mai über die Senkung der Gewinnsteuern für Unternehmen.
Am 18. Mai stimmt der Kanton Zürich über eine Steuersenkung ab. Die Gewinnsteuer für Unternehmen soll von 7 auf 6 Prozent reduziert werden. Bereits per 2021 war der Satz von 8 auf 7 Prozent gesenkt worden, nun geht es um den nächsten Schritt.
Aus der Sicht der Kantonsregierung und der Ratsmehrheit ist die Steuersenkung notwendig, damit der Kanton als Standort wieder konkurrenzfähiger wird. Die Linke lehnt die Massnahme ab; sie befürchtet grosse Einnahmenausfälle. Die Stadt Zürich ist aus dem gleichen Grund gegen die Steuersenkung.
Im NZZ-Streitgespräch diskutieren die Kantonsräte und Unternehmer Doris Meier (FDP, Bassersdorf) und Harry Brandenberger (SP, Pfäffikon) über die Vorlage.
Frau Meier, Herr Brandenberger, Sie beide führen und besitzen ein Unternehmen. Welche Rolle spielen die Steuern für Ihr Geschäft?
Doris Meier: Mein Unternehmen ist eine Einzelfirma, es wird also nicht separat besteuert, darum sind Steuern nicht massgebend. Aber wenn ich mit anderen Unternehmern spreche, dann wird klar, dass Steuern ein Standortfaktor sind. Nicht der einzige, aber ein bedeutender.
Harry Brandenberger: In meinem Unternehmen spielen sie eine kleine Rolle. Sie sind einmal pro Jahr beim Jahresabschluss ein Thema. Der Einkaufs- und der Lohnaufwand sind sehr viel grösser als der Steueraufwand.
Zu den Personen
zge. Doris Meier ist FDP-Kantonsrätin aus Bassersdorf. Sie ist Inhaberin eines Dienstleistungsunternehmens für Gemeinden, Verwaltungsrätin und Vorstandsmitglied der Zürcher Handelskammer. Harry Brandenberger ist SP-Kantonsrat aus Pfäffikon. Er ist promovierter Ingenieur ETH und geschäftsführender Inhaber eines Unternehmens im Bereich Mikroskopie und Materialanalyse. Zudem ist er unter anderem Präsident von Pro Natura Zürich.
Herr Brandenberger, bei einer Steuersenkung würde mehr Geld in Ihrer Firma bleiben. Sie könnten die Mittel reinvestieren oder als Dividende auszahlen. Dennoch lehnen Sie die Vorlage ab. Warum?
Brandenberger: Weil ich eine langfristige Perspektive habe. Ich bin mit meinem Unternehmen sehr stark in den Bereichen Wissenschaft, Forschung und der öffentlichen Hand engagiert. Wenn es dort gut läuft, dann hat mein Unternehmen viel mehr davon, als wenn ich kurzfristig meine Steuern optimieren könnte.
Sie beide betonen, dass Steuern für Ihr Unternehmen gar nicht so wichtig seien. Beschäftigen wir uns also mit dem falschen Problem? Müssten wir statt bei den Steuern an anderen Orten ansetzen, um die Lage für die Unternehmen zu verbessern?
Meier: Die Steuern sind für die Gesamtwirtschaft sehr wohl eine Herausforderung. Vor zwanzig Jahren lagen wir mit der Steuerbelastung im Ranking der Kantone noch im Mittelfeld. Heute sind wir auf dem zweitletzten Platz vor dem Schlusslicht Bern. Das müssen wir unbedingt angehen.
Zurück ins Mittelfeld werden wir mit einem Prozentpunkt weniger aber nicht kommen.
Meier: Aber es ist ein Signal für unsere Wirtschaft, dass wir in die richtige Richtung gehen. Wir werden es nie schaffen, mit unseren Sätzen in die Nähe von Zug, Schwyz oder Schaffhausen zu kommen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass wir möglichst viele Unternehmen hier behalten können, welche Steuern zahlen und unsere Arbeitsplätze sichern. Auch unsere Kinder sollen dereinst noch eine Lehrstelle finden können.
Brandenberger: Wir hören immer die gleichen Argumente von den Befürwortern einer Steuersenkung. Zürich schneide im Ranking schlecht ab, die Firmen würden den Kanton verlassen, und deshalb müssten wir ganz dringend die Sätze reduzieren.
Was ist aus Ihrer Sicht daran falsch?
Brandenberger: Wir sollten das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren. Nehmen wir die Nettoabgänge. Das sind im Schnitt rund 150 Unternehmen pro Jahr. Welche Firmen das waren, sehen wir anhand der nackten Zahlen aber nicht. Wir wissen auch nicht, ob diese Firmen Gewinnsteuern bezahlten. Genauso wenig können wir aus den Zahlen lesen, ob die Steuern der Grund für ihren Umzug waren. Vielleicht fanden sie einfach keinen passenden Standort? Diesen Abgängen stehen 8000 bis 9000 Neugründungen pro Jahr gegenüber. So schlimm kann es im Kanton Zürich also nicht sein.
Frau Meier, auch die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion ist der Ansicht, dass man die Abgänge nicht überbewerten dürfe. Die meisten seien Kleinbetriebe mit höchstens fünf Angestellten.
Meier: Allerdings sind auch Startups am Anfang kleine Betriebe. Wir fördern Startups mit aufwendigen Innovationsprojekten. Doch sobald sie sich vielversprechend entwickeln und Gewinne schreiben, verabschieden sich viele in Kantone mit tieferen Steuern. Hier müssen wir ansetzen.
Brandenberger: Die Startups bleiben uns sehr wohl erhalten. Sie sind hier, weil sie in einem attraktiven, urbanen Umfeld stark profitieren, etwa vom Austausch mit den Hochschulen. Und sie bleiben auch, weil ihre hochqualifizierten Angestellten hier leben möchten.
Allerdings sind auch die Kosten sehr hoch im Kanton Zürich, gerade die Löhne und Mieten. Müsste der Kanton nicht bei einem Kostenfaktor ansetzen, den er beeinflussen kann, also bei den Steuern?
Brandenberger: Von tieferen Steuern würden nur wenige Firmen profitieren. Aber von den Steuerausfällen wären alle betroffen. Uns würden Einnahmen fehlen; Mittel, die in die Bildung fliessen, in den öV und so weiter.
Bleiben wir doch kurz bei den Ausfällen. Der Kanton sagt, dass die Steuersenkung keine grossen Folgen hätte. Beim Kanton läge das Minus bei 2 Millionen Franken, bei den Gemeinden bei 40 Millionen. Die Gegner hingegen sprechen von Ausfällen von über 350 Millionen Franken pro Jahr beim Kanton und den Gemeinden. Wer hat recht?
Meier: Als wir 2019 über eine erste Senkung von 8 auf 7 Prozent abstimmten, hiess es von linker Seite auch, dass es zu riesigen Ausfällen kommen würde. Aber es kam nicht zu Ausfällen, die Steuereinnahmen stiegen sogar. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Brandenberger: Wir haben eine Phase der Hochkonjunktur hinter uns, das hat die Einnahmen trotz Steuersenkung ansteigen lassen. Ob dieser Trend anhält, ist zu bezweifeln. So rechnet auch die Stadt Zürich mit Ausfällen von über 100 Millionen Franken pro Jahr. Das macht mir Sorgen, denn die Stadt Zürich hat diese Zahl ja nicht einfach aus der Luft gegriffen.
Müsste der Kanton Zürich die Steuern nicht deutlich stärker senken, um sich im Ranking zu verbessern? Mit dem einen Prozentpunkt verändert sich doch kaum etwas.
Meier: Wir hätten nichts gegen eine stärkere Senkung. Doch die Erfahrung lehrt uns, dass zu grosse Sprünge politisch chancenlos sind. Dann also lieber mehrere kleine Schritte.
Brandenberger: Es ist ja nicht so, dass der Kanton untätig geblieben wäre. In den letzten zwanzig Jahren haben wir die Steuern der juristischen Personen immer wieder gesenkt, und zwar signifikant. Wir sagen einfach, dass eine weitere Steuersenkung nicht mehr so viel bringt wie früher. Nur wenige Firmen würden profitieren, und viele bezahlen heute schon keine Steuern.
Die Diskussion dreht sich sehr stark um die Stadt Zürich. Hier sitzen die grossen Unternehmen und die grossen Hochschulen. Müssten wir nicht vermehrt auf die kleinen Gemeinden schauen? Wenn dort ein wichtiger Arbeitgeber aus steuerlichen Gründen wegzieht, haben die ein echtes Problem, oder nicht?
Meier: Das ist so. Denken wir nur an den Waschmaschinenhersteller Schulthess, der vom Zürcher Oberland in den Kanton Zug gezogen ist, und zwar explizit aus steuerlichen Gründen. Das war für die kleine Gemeinde ein schwerer Schlag.
Brandenberger: Sicher. Gleichzeitig profitiert das Land auch von der Anziehungskraft der Stadt. Es gibt viele Arbeitnehmer, die zwar in der Stadt Zürich arbeiten, die aber lieber auf dem Land wohnen. Mit der S-Bahn ist man in zwanzig Minuten vom Zürcher Oberland am Bahnhof Stadelhofen. Wir müssen die Wirtschaftsräume grösser sehen und nicht jede Gemeinde einzeln betrachten.
2019 stimmte Zürich über die erste Senkung der Gewinnsteuer ab, von 8 auf 7 Prozent. War es eigentlich ein Fehler, dass man damals den Satz nicht gleich um zwei Punkte gesenkt hat? Heute dürften sich viele fragen, ob nach so kurzer Zeit wirklich wieder eine Steuersenkung notwendig ist.
Meier: Es ging damals darum, die möglichen Folgen zu beobachten, gerade bei den Steuerausfällen. Jetzt wissen wir, dass diese ausblieben, damals war das nicht sicher. So gesehen, war es vorausschauend, dass wir die Steuern in zwei Etappen senken. Immerhin wurde der zweite Schritt damals schon angekündigt, ganz so überraschend ist die erneute Senkung also nicht.
Brandenberger: Es gibt aber schon Unterschiede zum ersten Mal. Damals waren auch die Städte, namentlich die Stadt Zürich, mit an Bord.
Die jetzige Vorlage war ursprünglich ein Kompromiss: Die Unternehmenssteuern sollten gesenkt werden, dafür sollte ein Rabatt auf Dividenden für bedeutende Aktionäre gekürzt werden. Es hätte also eine Steuersenkung geben sollen, aber auch eine Steuererhöhung. Doch im Rat wurde dieser zweite Teil gestrichen. War das ein Fehler?
Meier: Diese Gegenfinanzierung hätte wieder die KMU belastet. Die Vorlage in der vorliegenden Fassung wurde am Schluss auch vom Regierungsrat unterstützt.
Brandenberger: Ihr setzt alles auf eine Karte. Wir sprechen von einer reinen Steuersenkung ohne Kompensationsmassnahmen. Ich kann offen zugeben, dass das für uns einfacher zu bekämpfen ist. Andere Kantone hatten ihre Steuersenkungen immer mit einem Zückerchen verbunden, Zürich nicht. Uns soll es recht sein. Letztlich geht es uns um die Frage, woher unsere Steuereinnahmen kommen sollen. Wir verschieben die Last je länger, je stärker in Richtung private Steuerzahler, während das Kapital verschont wird und die Gewinne bei den Aktionären landen. Das sehen wir sehr kritisch.
Wieso wehrt sich die Ratslinke eigentlich immer, wenn es um Verbesserungen für Unternehmen geht? Wieso blenden Sie aus, wie wichtig Firmen für die Gesellschaft und den Sozialstaat sind?
Brandenberger: Es stimmt, es gibt diese Haltung bei uns. Ich kann Ihnen aber versichern, dass es auch bei uns viele Leute gibt, die unternehmerisch denken. Und die sehr wohl wissen, dass jeder Franken zuerst erwirtschaftet werden muss, bevor er ausgegeben werden kann. Ich bin jetzt seit zwanzig Jahren Unternehmer im Kanton Zürich, und ich nehme ein sehr unternehmerfreundliches Umfeld wahr, nicht zuletzt, was die Steuerbehörden angeht. Das sind Welten im Vergleich etwa zu Deutschland, wo den Unternehmern laufend Steine in den Weg gelegt werden – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen.
Meier: Es freut mich, das von dir zu hören, Harry. Ihr arbeitet immer am Narrativ der bösen Wirtschaft, und es ist schön, dass das nicht alle so sehen. Wir müssen den Unternehmen wirklich Sorge tragen.
Sollte Zürich neben oder statt den Unternehmenssteuern den Steuerfuss senken? Davon hätten auch die Privaten etwas.
Meier: Das versuchen wir Bürgerliche immer wieder. Wir müssen uns daneben aber auch überlegen, wie der Kanton seine Ausgaben reduzieren kann.
Brandenberger: Dem Kanton fehlt heute schon das Geld, um seine Investitionen umzusetzen. Er musste viele Projekte zurückstellen. Wäre es nicht gescheiter, diese Projekte voranzubringen, als den Steuerfuss zu senken? Der Bedarf, etwa bei Schulhausbauten, ist ja absolut vorhanden. Mir wäre es wichtiger, hier anzusetzen als bei einer Steuersenkung.
Der Kanton könnte seine Ausgaben eindämmen, dann hätte er trotz Steuersenkung mehr Mittel zur Verfügung.
Brandenberger: Wir sind nicht dogmatisch gegen das Sparen. Interessant ist ja, dass die Linke in der Kommission und im Rat beim Budget jeweils auf der Seite der bürgerlichen Regierung steht, während die Bürgerlichen im Parlament noch weitergehen wollen.
Wie wird die Abstimmung vom 18. Mai ausgehen? Wird es knapp werden?
Meier: Wir sind eine breite Allianz von Befürwortern. Das sind Leute aus der Politik und aus der Wirtschaft. Ich bin überzeugt, dass wir die Abstimmung gewinnen werden. Vielleicht nicht mit einer riesigen Mehrheit, aber es wird reichen.
Brandenberger: Ich glaube, der Kanton tickt in Steuersachen weniger bürgerlich, als es im Kantonsparlament den Anschein macht. Deshalb ist es absolut realistisch, dass wir die Abstimmung gewinnen können.