Nestlé wächst, aber langsam und aus den falschen Gründen. Werden die Männer an der Spitze des Nahrungsmittelkonzerns ihre Ziele erreichen, bevor sie abtreten müssen?
Die Nestlé-Aktie ist eine besondere Aktie, weil fast jede Schweizerin und jeder Schweizer in sie investiert ist: über die Pensionskasse, über einen Aktienfonds, über ETFs. Und so dürfte auch kaum jemandem die Misere bei Nestlé im vergangenen Jahr entgangen sein. Nach einem überraschenden Chefwechsel und Skandalen rund ums Mineralwasser verlor die Aktie 2024 fast einen Viertel ihres Wertes.
Was also sollen die Anleger für dieses Jahr erwarten? Der Tenor lautet: nicht zu viel.
In den ersten drei Monaten des neuen Jahres hat der Konzern einen Umsatz von 22,6 Milliarden Franken erzielt. Aus eigener Kraft, das bedeutet ohne Veränderungen beim Wechselkurs und dem Portfolio, wuchs Nestlé um 2,8 Prozent. Die Kategorien Süsswaren und Kaffee haben am meisten zum Wachstum beigetragen, negativ entwickelt hat sich hingegen der Absatz von Babynahrung. Das teilte der Konzern am Donnerstag mit.
Dass Nestlé wieder wächst, dürfte die Anleger nach den schwierigen Monaten freuen. Wäre da nicht ein Aber: Denn ein Grossteil des Wachstums ist auf Preisanpassungen zurückzuführen (+2,1 Prozent). Weil Rohstoffe für Kaffee und Kakao weiterhin teurer werden, gibt Nestlé diese Kosten in Form von höheren Preisen an die Kunden weiter.
Starke Preiserhöhungen bringen das Risiko mit sich, die Konsumenten abzuschrecken. Wie sich nun zeigt, haben sich die Aufschläge tatsächlich auf die Verkäufe ausgewirkt: Sie legten mengenmässig nur um 0,7 Prozent zu. Im Vorjahresquartal lag das sogenannte interne Realwachstum noch bei 1,5 Prozent.
«Gut genug», meint ein Analyst
Die Zahlen liegen insgesamt leicht über den Erwartungen der Finanzanalysten. Jean-Philippe Bertschy von der Bank Vontobel schätzt es so ein: «CEO Laurent Freixe macht sich langsam aber sicher einen Namen.» Es seien nun erste Ergebnisse sichtbar, auch wenn die Rückkehr zu langfristigem Wachstum noch unsicher sei. Wenig Reaktionen lösen die Zahlen von Nestlé bei der Investmentbank Stifel aus. Ihr Fazit lautet schlicht: «Gut genug.»
Die Aktie gab nach Handelsstart um 0,8 Prozent nach. Betrachtet man den Kursverlauf seit Beginn dieses Jahres, gehört Nestlé jedoch zu den Gewinnern. Während sich der SMI kaum verändert hat, stieg die Aktie des Lebensmittelkonzerns um 16 Prozent.
Nestlé ist vom Zollstreit des amerikanischen Präsidenten Donald Trump weniger betroffen als andere. Dies, weil das Unternehmen einen Grossteil seiner Produkte für den amerikanischen Markt auch tatsächlich in den USA produziert.
Trotzdem blickt Nestlé nicht ohne Sorgen auf die geopolitischen Umwälzungen der vergangenen Wochen. CEO Laurent Freixe sagt: «Unklar bleiben die indirekten Auswirkungen, ob auf Kunden oder auf Währungen und Rohstoffpreise.» Nestlé ist auf eine starke Nachfrage im US-Markt angewiesen. Steigt dort wie befürchtet die Inflation wieder an, drückt das auf die Konsumentenstimmung.
Trotz der wirtschaftlichen Unsicherheiten gibt sich Nestlé zuversichtlich, die angepeilten Ziele für das Jahr 2025 zu erreichen. Die Prognose bleibt unverändert, heisst: Die operative Marge soll bei 16 Prozent oder höher liegen. Auch beim organischen Umsatzwachstum will Nestlé sich verbessern. Langfristig soll es «in einem normalen Geschäftsumfeld 4 Prozent plus» betragen.
In zwei Jahren treten die Chefs ab
Die Rückkehr von Nestlé zu alter Grösse brauche Zeit, daran erinnerte Laurent Freixe auch an der Generalversammlung von vergangener Woche immer wieder. Und deshalb stellt sich für manche Beobachter auch die Frage: Können der Konzernchef und sein Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke ihre Ziele erreichen, bevor sie selbst gehen müssen?
Bulcke wird im September 71 Jahre alt. Spätestens an der Generalversammlung 2027 muss er als Verwaltungsratspräsident abtreten, so schreiben es die Statuten vor. Zur fast selben Zeit erreicht Freixe das ordentliche Pensionsalter. In Nestlé-Dimensionen ist das eine relativ kurze Zeitspanne.
Stabwechsel werden bei Nestlé traditionell von langer Hand geplant und sind auf Kontinuität ausgelegt. Es könnte gut sein, dass Freixe Bulcke als Verwaltungsratspräsident beerben wird. Seine Chancen dafür dürften steigen, je besser die Zahlen von Nestlé in nächster Zeit sind.