Die Ermordung von 25 Touristen in den Bergen Nordindiens führt zu einem gefährlichen Anstieg der Spannungen zwischen den beiden Atommächten. Sie wollen nun die Grenze schliessen und ihre diplomatischen Beziehungen herabstufen.
Zwei Tage nach dem Anschlag auf Touristen in Kaschmir steigen die Spannungen zwischen Indien und Pakistan. Die indische Regierung gab ihrem Nachbarn die Schuld für den Anschlag und kündigte an, sie werde zur Vergeltung den wichtigsten Grenzübergang nach Pakistan schliessen, alle pakistanischen Bürger ausweisen und das Abkommen zur Aufteilung des Indus-Wassers aussetzen. Pakistan drohte daraufhin seinem Nachbarn, jeder Versuch zur Beschneidung der Wassermenge des Indus werde als «Akt des Krieges» betrachtet.
Die Regierung in Islamabad kündigte nach einer Sitzung des Nationalen Komitees für Sicherheit unter Leitung von Premierminister Shehbaz Sharif am Donnerstag ausserdem an, den Handel mit Indien auszusetzen, den Luftraum für indische Fluggesellschaften zu schliessen und das Simla-Abkommen von 1972 zu suspendieren. Dieses Abkommen war nach dem Krieg von 1971 unterzeichnet worden und verpflichtet Indien und Pakistan dazu, Streitfragen durch Verhandlungen zu lösen.
Nach dem Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn ordnete Pakistan zudem an, den Grenzübergang von Wagah/Attari zu schliessen sowie die indischen Militärattachés an der Botschaft in Islamabad auszuweisen. Ausserdem annullierte es alle Visa für indische Bürger und wies alle Inderinnen und Inder im Land an, binnen 48 Stunden in die Heimat zurückzukehren. Zuvor hatte bereits Delhi allen Pakistanern in Indien eine Frist bis Sonntag gesetzt, das Land zu verlassen.
Indien verzichtet vorerst auf eine militärische Reaktion
Der Anschlag, bei dem am Dienstagnachmittag auf einer Bergwiese in Kaschmir 25 Touristen und ein Einheimischer getötet worden waren, ist ein schwerer Schlag für Indiens Verhältnis zu Pakistan. Die Beziehungen der beiden Länder haben sich seit der Balakot-Krise 2019 nie wieder richtig erholt. Damals hatte Indiens Premierminister Narendra Modi zur Vergeltung für einen Anschlag in Kaschmir Luftangriffe in Pakistan angeordnet. Nach dem Abschuss eines indischen Kampfjets wäre es damals fast zum Krieg zwischen den beiden Atommächten gekommen.
Dieses Mal scheint sich Modi vorerst für eine diplomatische Reaktion entschieden zu haben. Die Schliessung der Grenze, die Ausweisung der Diplomaten und die Aussetzung des Indus-Abkommens sind jedoch eine ernste Eskalation. Das Abkommen von 1960 regelt die Aufteilung des Wassers des Indus. Der Fluss ist der längste Strom Südasiens und Pakistans Lebensader. Jede Reduzierung der Wassermenge bedroht dort die Lebensgrundlage von Millionen Menschen.
Die Quelle des Indus liegt in Tibet, doch fliesst er durch den indischen Teil Kaschmirs. Auch mehrere Zuflüsse des Stroms wie Sutlej, Beas und Ravi fliessen durch Indien oder entspringen dort. Delhi fordert schon länger, den Indus-Vertrag neu zu verhandeln. Es ist aber das erste Mal, dass eine Vertragspartei das Abkommen aussetzt. Zwar sieht es Verfahren zur Streitbeilegung vor. Gegen die Aussetzung des Vertrags kann Pakistan rechtlich aber kaum vorgehen.
Die Spur des Angriffs führt nach Pakistan
Zu der Tat bekannte sich die Gruppe The Resistance Front. Laut den indischen Behörden handelt es sich dabei um eine Frontorganisation der islamistischen Terrorgruppe Lashkar-e Toiba (LeT). Diese kämpft seit Jahrzehnten für den Anschluss des indischen Teils von Kaschmir an Pakistan. Auf Druck der USA wurde die Gruppe 2002 von Islamabad verboten, doch soll sie weiter ihre Basis in Pakistan haben und von Pakistans Militärgeheimdienst ISI unterstützt werden.
Dessen früherer Chef Asim Munir ist heute der Armeechef. Der General gilt als der wahre Machthaber in Pakistan und ist als risikofreudig bekannt. Kürzlich bezeichnete er Kaschmir als die «Halschlagader» Pakistans und betonte, Indien und Pakistan seien kulturell und religiös grundverschieden. Pakistans Aussenminister Ishaq Dar verurteilte aber den Anschlag und versicherte, sein Land habe nichts damit zu tun. Auch habe Indien bisher keinen Beweise für eine Verwicklung vorgelegt.
Indische Medien verwiesen darauf, dass der Anschlag offenbar so geplant war, dass er mit einem Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance in Indien zusammenfiel. Zudem ereignete er sich zum Beginn der Touristensaison in Kaschmir. Das Massaker löste umgehend einen Exodus der Touristen aus. Aus Protest organisierten die Kaschmiri am Mittwoch einen Generalstreik. Sie fürchten, dass die Tat zum Einbruch des wichtigen Tourismussektors führen wird. Viele Einheimische sind aber auch ehrlich schockiert über die kaltblütige Ermordung unbewaffneter Feriengäste.
Die Täter sind noch immer auf der Flucht
Nach dem Angriff startete die indische Armee eine grossangelegte Suchaktion in den Bergen. Bei dem Anschlag in der Nähe des Ferienorts Pahalgam waren 25 indische Touristen und ein örtlicher Ponyführer getötet worden. Laut indischen Medienberichten waren fünf Terroristen an dem Anschlag auf der bei Touristen beliebten Bergwiese beteiligt. Drei der in Uniformen gekleideten und mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Angreifer sollen aus Pakistan stammen.
Der Ort des Angriffs liegt in einer als Mini-Schweiz bekannten Bergregion auf über 2200 Metern Höhe. Er ist nur zu Fuss oder per Pony zu erreichen. Die Berghänge sind dicht bewaldet und bieten leichte Deckung für die Terroristen. Auf der Suche nach den Tätern kam es wiederholt zu Feuergefechten mit bewaffneten Kämpfern. Nach Angaben der Armee wurde bei einem Schusswechsel im Süden von Kaschmir am Donnerstag auch ein Soldat getötet.
Die indische Presse machte Pakistan für den Anschlag auf die Touristen verantwortlich. Die Zeitung «The Indian Express» wertete den Angriff als Ausdruck der Verzweiflung Islamabads und als Versuch, seiner wachsenden Isolation zu entkommen. Die führende pakistanische Zeitung «Dawn» warf Indien dagegen in einem Leitartikel eine «reflexartige Reaktion» vor. Die Lage stehe auf Messers Schneide, Pakistan müsse nun besonnen reagieren. Eine Lösung des Kaschmir-Konflikts könne aber nur am Verhandlungstisch erfolgen.