Europäer kriegen Torschlusspanik, Transporte aus China werden gestrichen, und der Handel in Asien sortiert sich neu. Selbst Kühne + Nagel weiss nicht, was wird.
Donald Trump kann nicht über das Wasser gehen, auch wenn er das wahrscheinlich gern würde. Aber der amerikanische Präsident kann auf dem Wasser Feuer machen: Trumps Liebe zu Zöllen heizt der internationalen Seefahrt ein. Viele Unternehmen haben seit Jahresbeginn mehr Waren in die USA gebracht als ursprünglich geplant, um drohenden Zöllen zuvorzukommen. Darüber freuen sich Reeder und Spediteure. Doch sie können sich immer noch die Finger verbrennen.
«Wir haben sehr aufregende Zeiten vor uns», so fasste am Donnerstag Stefan Paul die Lage zusammen. Der Chef von Kühne + Nagel, einem der weltgrössten Spediteure, ist zwischen Freude und Sorge hin- und hergerissen. Einerseits steigerte der Logistiker den Umsatz im ersten Quartal auf 6,3 Milliarden Franken, ein Plus von 15 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Das war weit mehr, als Finanzanalysten erwartet hatten.
Roche stockte in den USA die Lager auf – und ist gelassen
Andererseits hat Kühne + Nagel keine Ahnung, wie es weitergeht. Der Konzern mit Sitz in Schindellegi liess seinen Jahresausblick unverändert – aber nur, weil das besser sei, als ihn ersatzlos zu streichen. Erst wenn klarer ist, wohin sich der Welthandel entwickeln wird, will Kühne + Nagel seine Prognosen revidieren. Vorher sei das unverantwortlich, hiess es an einer Telefonkonferenz.
Manche Unternehmen treibt die Unsicherheit zur Eile. So wie Roche: Der Pharmariese hat die Lager in den USA und auch in China aufgestockt, um für Zölle gewappnet zu sein. Was in den nächsten Wochen passiere, werde deshalb auf Roche keinen grossen Effekt haben, erklärte der CEO Thomas Schinecker am Donnerstag.
Solche aus Vorsicht vorgezogenen Lieferungen waren seit Ende 2024 immer wieder zu beobachten. Die Schweizer Exporte erreichten im März wie auch im ersten Quartal einen Rekord, getrieben von hohen Ausfuhren der Chemie- und Pharmabranche in die USA.
Die Schweiz ist kein Einzelfall: Das Volumen an Seefracht, das von Januar bis März amerikanische Häfen erreichte, war 8 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum. Auch die Exporte aus China in die USA lagen im März um knapp 5 Prozent über dem Vorjahresmonat. Im Februar und März hatte Trump bereits zwei Mal die Belastungen für chinesische Waren erhöht.
Fahrten aus China werden reihenweise abgesagt
Doch erst im April stellte der US-Präsident den internationalen Handel auf den Kopf: erstens mit neuen Zöllen gegen China, die sich nun auf insgesamt absurd hohe 145 Prozent summieren, zweitens mit den «reziproken» Zöllen gegen den Rest der Welt, die Trump dann bis Anfang Juli pausierte (abgesehen von einem Basiszoll von 10 Prozent). Dieses Zeitfenster von 90 Tagen könnte noch mehr Firmen dazu veranlassen, ihre Lieferungen in die USA zu beschleunigen. Wer weiss, wie viele Chancen Trump ihnen noch geben wird?
Manche europäische Unternehmen versuchten bereits, so viele Waren wie möglich in den nächsten 90 Tagen über den Atlantik zu bringen, erklärte Paul – sowohl per See- wie auch per Luftfracht. Darum kletterten auch die Transportvolumen auf dieser Route im niedrigen einstelligen Prozentbereich.
Das ist ein guter Wert verglichen mit Transporten aus China in die USA, wo bereits die sehr hohen Zöllen gelten. «Dort gibt es alles, aber kein klares Muster», so Paul. Manche Unternehmen hätten ihre ganze Lieferkette gestoppt, andere die Buchungen für die kommenden Wochen um bis zu 40 Prozent reduziert. Vor allem die Produzenten von Konsumgütern zögerten. Besser sieht es bei Herstellern von Hightech-Produkten oder Chips aus, die häufiger Luftfracht nutzen.
Die dunklen Wolken mehren sich. Einige Datenreihen deuteten darauf hin, dass die Importe der USA aus Asien in den kommenden Wochen um bis zu 30 Prozent sinken könnten, schreibt die UBS in einer aktuellen Studie. Das zeige sich etwa darin, dass Fahrten von Containerschiffen in diesem Ausmass gestrichen würden. Die Logistikberatung Drewry kommentiert, die Importeure zögerten wahrscheinlich, weil sie nicht wissen könnten, welcher Zoll dann gelte, wenn die Ware in den USA ankomme.
Was nützen volle Lager, wenn niemand kauft?
Beim Aufbauen der Lager in den USA gibt es ein weiteres Problem: Die Unsicherheit, die Trump durch das Hin und Her bei den Zöllen auslöst, ist so umfassend, dass die Entwicklung der US-Wirtschaft infrage gestellt ist. Was nützen einem Unternehmen volle Lager in Amerika, wenn die Nachfrage fehlt? Bei verlässlich nachgefragten Produkten wie Schweizer Medikamenten ist das Risiko überschaubar, bei vielen anderen Produkten weniger.
Auch können sich Logistiker nicht uneingeschränkt über das sogenannte «front loading» freuen: Jedes Produkt lässt sich nur einmal transportieren. Was jetzt an Handelsvolumen vorgezogen wird, fehlt in den Frachträumen im weiteren Jahresverlauf.
Das Volumen im Welthandel dürfte im laufenden Jahr um 0,2 Prozent schrumpfen, schätzt die Welthandelsorganisation – und das auch nur für den Fall, dass Trumps «reziproke» Zölle ausgesetzt bleiben. Selbst dann sinke der Handel mit Nordamerika um 1,7 Prozent, während sich die Zunahme in Asien auf 0,6 Prozent halbiere.
Der Handel in Asien bricht nicht zusammen
Trotz Chinas Problemen tut sich in Asien noch einiges. Kühne + Nagel beobachtet, wie die fehlenden Buchungen bei Transporten aus China in die USA fast vollständig ausgeglichen werden – durch Transporte aus China in andere Länder Asiens. Es gebe keinen Handelskollaps in der Region, so der CEO Paul.
Denn in den vergangenen Jahren haben Unternehmen neben ihren chinesischen Produktionsstätten auch solche in anderen Ländern der Region errichtet. Nun wird dort die Fertigung hochgefahren, um den hohen Zoll gegen China zu umgehen.
Offen ist, wie lange dieser Trend anhält und ob die Frachtpreise sinken werden. Die Zürcher Kantonalbank erwartet, dass nach dem Ansturm in der 90-Tage-Zollpause die tieferen Handelsvolumen und ein Überschuss an Schiffen wohl stark auf die Preise drücken werden. Trotzdem sei Kühne + Nagel finanziell gut gerüstet.
Der Spediteur hofft, in dieser komplizierten Handelswelt durch Beratung und Zuverlässigkeit zu punkten. Immerhin beruhigt sich wenigstens die Börse bereits: Nach einem Kurseinbruch um 17 Prozent zu Beginn des Monats haben die Aktien von Kühne + Nagel das Minus auf inzwischen 5 Prozent eingegrenzt.