Der Gewinn bricht um mehr als die Hälfte ein. Jetzt trifft die grösste Privatbank der Schweiz umfassende Massnahmen.
Die Bank Julius Bär reagiert scharf auf die Fehler, die sie im Umgang mit dem gescheiterten Immobilienunternehmer René Benko begangen hat. CEO Philipp Rickenbacher verlässt die Bank per sofort. Zudem wird der Vorsitzende des Risikoausschusses des Verwaltungsrats, David Nicol, an der Generalversammlung am 11. April, nicht mehr zur Wiederwahl antreten.
Der Verwaltungsrat leitet eine externe Suche für Rickenbachers Nachfolge ein. Bis auf weiteres wird Nic Dreckmann, bisher Chief Operating Officer und Stellvertreter Rickenbachers, das Geschäft der Bank als interimistischer CEO führen.
Das hat Julius Bär am Donnerstagmorgen, anlässlich der Publikation ihrer Jahreszahlen, bekanntgegeben. Damit bestätigt die Bank die Informationen, die zahlreiche Medien bereits am Mittwochabend veröffentlicht haben.
Ferner bestätigt sich, dass die Bank vollständig aus dem Geschäft mit Spezialkrediten aussteigt, das zum Verlust mit Signa geführt hat. Julius Bär wolle sich künftig auf «Bereiche mit historischer Stärke» konzentrieren: Auf Lombard- und Hypothekarkredite. Nicht mehr angeboten würden somit Kredite, die mit nicht börsenkotierten Einzelaktien oder mit zukünftigen Cashflows besichert sind.
Vor den Medien präzisierte Finanzchefin Evie Kostakis, dass sich der Ausstieg aus diesem Geschäft bis 2026 hinziehen dürfte. Die Bank rechne nicht damit, dass der Ausstieg zu einer materiellen Verschlechterung der Gewinnmargen führt. Unter Ausklammerung des Signa-Engagements hat die Bank noch gut 800 Millionen Franken an Spezialkrediten ausstehend. Das sind rund zwei Prozent des gesamten Kreditportfolios von Julius Bär.
Keine Boni für Beteiligte
CEO Rickenbacher sowie fünf weitere Geschäftsleitungsmitglieder, die an den Kreditentscheidungen im Fall Benko direkt beteiligt waren, erhalten für 2023 keinen Bonus. Verwaltungsratspräsident Romeo Lacher und alle Mitglieder des Risikoausschusses des Verwaltungsrats verzichten ebenfalls auf die ihnen zugeteilte aktienbasierte Vergütung für 2023.
Präsident Lacher äusserte sich gegenüber Medien nicht zur Frage, ob die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) Rickenbachers Rücktritt und die weiteren Massnahmen verordnet hat. Man stehe in stetem und engen Austausch mit der Finma, sagte Lacher.
Die personellen Massnahmen sind auf die hochriskanten Kredite zurückzuführen, welche Julius Bär Benkos Signa-Gruppe in den vergangenen Jahren gewährt hat. Die Bank hat Benko einerseits zu hohe Kredite anvertraut und damit ein Klumpenrisiko aufgebaut. Andererseits hat sie vom österreichischen Immobilienunternehmer keine erstrangigen Sicherheiten eingefordert. Dieser nachlässige Umgang mit Kreditrisiken überraschte die Anleger im vergangenen November sehr; die Aktien von Julius Bär werden seither mit einem deutlichen Abschlag gehandelt.
Am Donnerstag hat die Bank nun – ohne den Schuldner namentlich zu nennen – mitgeteilt, dass sie die komplette ausstehende Kreditsumme von 606 Millionen Franken abschreiben wird. Dass Julius Bär mit einem Totalausfall rechnet, dürfte die Märkte negativ überraschen. Beobachter waren lange Zeit davon ausgegangen, dass sich ein Drittel des Benko-Engagements noch retten lässt.
Beobachter gingen von 400 Millionen Franken an Ausfällen aus, weil eine von drei Kredittranchen an das werthaltige Luxushandelsgeschäft gekoppelt ist und weil die Bank in diesem Fall in der Gläubigerhierarchie weit oben steht. Die jüngst angemeldete Insolvenz der deutschen KaDeWe-Gruppe, die ein wichtiger Teil dieses Luxusportfolios ist, warf aber bereits Anfang Woche die Frage auf, ob Julius Bär auch auf dieser als sicher betrachteten Tranche einen Abschreiber verbuchen muss.
Bremsspuren in den Jahreszahlen
Wegen des grossen Abschreibers fällt auch der Jahresgewinn von Julius Bär mit bloss 454 Millionen Franken deutlich niedriger aus als erwartet. Die Finanzanalysten rechneten im Schnitt mit gut 800 Millionen Franken Konzerngewinn.
Immerhin: Die Bank konnte 2023 12,5 Milliarden Franken an Neugeld anziehen; das liegt in etwa im Bereich der Erwartungen. Auch die Kundenberater, die im vergangenen Jahr unter anderem von der Credit Suisse abgeworben und eingestellt worden waren, konnten bereits rund 3 Milliarden Franken an Neugeld beisteuern. Bisweilen war befürchtet worden, dass die Signa-Affäre gerade Neukunden abschrecken könnte und bei dieser Kennzahl zu deutlichen Bremsspuren führen könnte.
Evie Kostakis sagte gegenüber Medien am Donnerstagmorgen, dass die Bank auch gegen Jahresende weitere Zuflüsse von Kundengeldern registriert hat. Der Dezember habe diesbezüglich sogar zu den stärksten Monaten gezählt.
Diese Nachricht dürfte von den Märkten positiv aufgenommen werden; sie bestärkt die bei manchen Finanzanalysten vorherrschende Sicht, dass der Fall Banko ein unschöner, aber wohl einmaliger Ausrutscher ist. Und dass die Bank von den Anlegern eher zu kritisch eingeschätzt wird. Ob sich der Fall wirklich nicht auf die übrige Kundschaft auswirken wird, lässt sich heute gleichwohl noch nicht abschliessend beurteilen, da das Kreditengagement von Julius Bär erst gegen Ende November bekannt geworden ist.
Die Bank beantragt dem Verwaltungsrat zudem, die ordentliche Dividende bei 2.60 Franken pro Aktie zu belassen. Sie verzichtet ferner darauf, ein neues Aktienrückkaufprogramm aufzulegen. Im Laufe des Jahres 2024 will der Verwaltungsrat ein solches Programm in Betracht ziehen, je nach Geschäftsentwicklung.
Mancherorts war spekuliert worden, dass Julius Bär die Aktienrückkäufe im kleinen Rahmen bereits jetzt wieder aufnehmen könnte, um nach aussen Stärke zu zeigen. Angesichts des Gewinneinbruchs hätte ein solches Signal aber falsch interpretiert werden können als blosser Aufbau Potemkinscher Dörfer.
Finanzanalysten zeigten sich in ihren ersten Kommentaren eher skeptisch. Vontobel-Analyst Andreas Venditti schreibt, dass sich die Abwicklung des gesamten Privatkreditgeschäfts voraussichtlich auf Marge und Gewinn auswirken werde. Die Analysten von Citigroup merken an, dass Unsicherheit bezüglich der künftigen Führung der Bank der Aktie nicht helfe. Zudem habe der Vorsteuergewinn selbst unter Ausschluss der Kreditrückstellungen die Erwartungen leicht verfehlt. Das kommt daher, weil Julius Bär im Zinsengeschäft schwächelte.
Wie es zum Debakel kam
Romeo Lacher lieferte zudem eine erste Erklärung, wie es zu den hohen Kreditausfällen kommen konnte. Das von der Bank als «Private Debt» bezeichnete Geschäft mit Spezialkrediten sei schnell gewachsen; zu schnell, um die Prozesse im Risikomanagement im Gleichschritt anzupassen. Daraus wolle man die Lehren ziehen, Lacher versprach Änderungen beim Umgang mit Risiken. Er betont aber mehrfach, dass Julius Bär stets alle internen und externen Regeln befolgt habe.
Tatsächlich liegt hierin wohl ein wichtiger Grund für die hochriskanten Kredite: Bei Julius Bär waren im Umgang mit René Benko die Augen grösser als der Magen. Zudem liess sich die Bank von ihren frühen eigenen Erfolgen blenden.
2020 finanzierte sie dem Österreicher den Teilkauf der Globus-Warenhäuser. Die Transaktion war aus Sicht der Bank sehr riskant – nach Informationen der NZZ musste Benko dabei nicht viel Eigenkapital beisteuern –, aber profitabel. Julius Bär verdiente einen zweistelligen Millionenbetrag mit dem Globus-Deal. In der Folge zeigte sie sich gern bereit, Benko auch weitere Zukäufe zu finanzieren. Weder die Geschäftsleitung um CEO Philipp Rickenbacher noch der Verwaltungsrat schritten ein, um die Risiken in Grenzen zu halten. Das Spiel ging weiter, bis Benkos Immobilien-Imperium Ende 2023 zusammenbrach.