Im Herzen von Basel steht ein Turm, den jeder kennt – und dessen Innenleben kaum jemand versteht. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist diskret, mächtig und bietet Stoff für allerlei Verschwörungstheorien.
Erhaben thront das Gebäude über der Umgebung. Wenige Schritte vom Bahnhof SBB in Basel entfernt, ist der Turm mit seinen 70 Metern Höhe nicht zu übersehen. Doch trotz dem markanten Bau, dessen konkave Form ein bisschen an den Kühlturm eines AKW erinnert: Was sich im Inneren abspielt, wissen nur wenige. Denn hier befindet sich die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – eine ebenso einflussreiche wie geheimnisumwitterte Finanzorganisation.
Exklusives Dinner mit Panoramablick
Das 1977 fertiggestellte Bauwerk wirkt in seiner trutzigen Erscheinung wenig einladend. Dasselbe gilt für die Eingangskontrolle. Doch wer sie passiert, erlebt eine Zeitreise in die 1970er Jahre: braune Spannteppiche, crèmefarbene Decken, bestickte Vorhänge, geschwungene Formen – ein Interieur, wie man es kaum noch sieht. In diesem Ambiente treffen sich regelmässig die wichtigsten Währungshüter, um über den Zustand der Finanzwelt zu beraten.
Die BIZ wird als Bank der Zentralbanken bezeichnet. Wenn nationale Währungsbehörden ihre Devisenreserven diversifizieren wollen, klopfen sie in Basel an. Die Organisation ist im Besitz von 63 Zentralbanken, deren Länder 95 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft repräsentieren. Die BIZ stellt den Zentralbanken aber nicht nur Finanzdienstleistungen zur Verfügung. Sie ist vor allem eine Plattform für Dialog und Zusammenarbeit.
«Wir agieren als Vordenker und intellektueller Wegbereiter für Zentralbanken, indem wir wegweisende Forschung und Analysen erstellen», sagt Andréa Maechler. Sie ist seit 2023 Vizechefin der BIZ und war zuvor im Direktorium der Schweizerischen Nationalbank (SNB). «Wir bringen Zentralbanker zusammen, nicht nur bei unseren Treffen, sondern auch im Kontext von Gremien, die globale Standards im Bereich der Finanzstabilität setzen.» So tagen hier auch der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht und das Financial Stability Board.
Alle zwei Monate reisen Zentralbankchefs aus aller Welt nach Basel. Worüber sie reden, bleibt geheim. Spötter sagen, es gehe vor allem um guten Wein und dumme Finanzminister. Das stimmt so zwar nicht. Doch beim Dinner im 18. Stock bei grandioser Rundumsicht – der Saal wurde jüngst von Herzog & de Meuron umgebaut – lässt man es sich durchaus gutgehen. Und Finanzminister, die den Zentralbanken oft das Leben schwermachen, sorgen wohl auch für Gesprächsstoff.
Schweigen zu Trump
Derzeit dürfte das Gesprächsthema gegeben sein. Denn die Finanzwelt steht kopf. Spätestens seitdem Donald Trump am 2. April mit seinen Zöllen einen Handelskrieg entfacht hat, gelten neue Regeln in der Weltwirtschaft, nicht nur im Warenhandel, sondern auch bei Finanzströmen. Vermeintliche Gewissheiten werden infrage gestellt. Etwa die Rolle des Dollars als Leitwährung und sicherer Hafen. Die Verunsicherung ist gross, das spüren alle Zentralbanken.
Was sagt die BIZ zu diesen Umwälzungen? Die offizielle Antwort: kein Kommentar. Man will sich nicht exponieren, niemanden verärgern. Zwar traten diese Woche sowohl Maechler als auch der BIZ-Chef Agustín Carstens in Washington auf, bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds. Doch beide hüteten sich davor, etwas zu Trump zu sagen. Carstens diskutierte über die Tokenisierung des Finanzsystems, Maechler über künstliche Intelligenz – zwei unverdächtige Themen.
Das heisst nicht, dass man in Basel keine Meinung hat. Doch nachlesen kann man sie nicht. Von den Sitzungen der Notenbanker gibt es weder Traktandenlisten noch Protokolle, selbst die Termine ihrer Treffen sind geheim. Diskretion ist oberstes Gebot. Man will sicherstellen, dass die 18 Notenbanker des Verwaltungsrats – auch der SNB-Präsident Martin Schlegel gehört zum exklusiven Klub – frei reden können, ohne Tabu.
Die Geheimniskrämerei bietet Stoff für allerlei Verdächtigungen. Der britische Autor Adam Lebor hat in seinem Buch «Der Turm zu Basel» einige davon aufgelistet. Von einer dunklen Nazi-Vergangenheit ist die Rede oder von Insidergeschäften, mit denen BIZ-Mitarbeiter früher ihren Informationsvorsprung missbraucht hätten. Manches davon stimmt. Doch die Behauptung, die BIZ sei eine «geheime Bank, die die Welt regiert», gehört ins Reich der Verschwörungstheorien.
In Basel sah man die Finanzkrise kommen
Stefan Gerlach, Chefökonom der EFG Bank, verteidigt den geheimen Charakter der Treffen. Er arbeitete selber rund zehn Jahre bei der BIZ und sagt: «Die wichtigste Aufgabe der BIZ besteht darin, eine Gelegenheit für informelle, vertrauliche und diskrete Treffen zwischen Zentralbankern zu bieten.» Niemand erfahre, mit wem die Präsidentin der Europäischen Zentralbank gesprochen habe oder was der Gouverneur der Zentralbank Chinas bei einer Tasse Tee zu seinem Kollegen aus den USA gesagt habe.
Man kann sich die Treffen als Selbsthilfegruppen vorstellen. Einsame Zentralbanker tauschen sich aus, sprechen den gleichen Jargon, erzählen von ihren Sorgen und erfahren, dass es den anderen auch nicht besser geht. Es entstehen Kontakte, die dann besonders wertvoll sind, wenn in einer Krise grenzüberschreitende Probleme auftauchen. Etwa wenn man den heimischen Banken rasch grosse Mengen ausländischer Devisen bereitstellen muss, wie jüngst beim Bank-Run auf die Credit Suisse.
Neben der unsichtbaren Welt gibt es eine sichtbare. Denn die BIZ ist auch eine Denkfabrik. «Wir stehen im Zentrum der Innovation für Zentralbanken», sagt Maechler. Zu den über 700 BIZ-Angestellten in Basel gehören erstklassige Ökonomen, deren Analysen zum Besten gehören, was über das Geldwesen publiziert wird. Wobei die Experten sich über die Jahrzehnte den Ruf erarbeitet haben, auch mit den Zentralbanken – also ihren Anteilseignern – hart ins Gericht zu gehen.
Diese intellektuelle Unabhängigkeit hat den Forschern zu grosser Glaubwürdigkeit verholfen. Hinzu kommt, dass man im BIZ-Turm manches Gewitter hat kommen sehen, als sich die Zentralbanken noch im schönen Wetter sonnten. So warnte die BIZ als eine der ersten Institutionen vor der Finanzkrise 2007/2008. Dem vielen billigen Geld im Finanzsystem und den damals in amerikanischen Bankbilanzen angehäuften Ramschhypotheken traute man nicht. Zu Recht, wie sich zeigte.
Die Unbequemen treten ab
Für die Kritik der BIZ an der globalen Geldschwemme, den aufgeblähten Notenbankbilanzen, dem tiefen Zinsniveau und der Verharmlosung der Inflationsgefahr standen in den vergangenen Jahrzehnten vor allem zwei Namen: William White und Claudio Borio. Die beiden Chefökonomen brachten so manchen Zentralbanker zur Weissglut. So sehr, dass vor zehn Jahren eine externe Evaluation zur BIZ-Forschung veranlasst wurde. Doch diese Ära ist vorbei. White verliess die BIZ bereits 2008, Borio ging Ende vergangenen Jahres in Pension. Die Unbequemen sind abgetreten.
Das hat Folgen. Adriel Jost vom Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) sagt: «Die BIZ ist zurückhaltender geworden mit kritischen Beiträgen zur Geldpolitik.» So sei die Verantwortung der Zentralbanken für die hohen Inflationsraten im Nachgang der Pandemie erstaunlich wenig aufgearbeitet worden. Man widme sich thematisch verstärkt Fragen wie Digitalwährungen oder Tokenisierung – und seltener der kritischen Analyse von geldpolitischen Entscheiden.
Zahmer heisst nicht normaler. Die BIZ, 1930 zur Abwicklung der deutschen Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, bleibt etwas Besonderes. Ihr Status als internationale Organisation bedeutet, dass die Mitarbeiter keine Steuern zahlen und Immunität geniessen. Mehr noch, die Gebäude sind «unverletzlich», weshalb die Schweizer Behörden, auch die Polizei, nur Zutritt erhalten, wenn die BIZ dies erlaubt. Mehr Abschottung geht kaum.
Der BIZ-Turm in Basel ist deshalb auch eine Insel – in einer derzeit ziemlich rauen See.