Der Absturz des Dollars setzt die Schweiz unter Druck. Ehemalige Spitzenleute der SNB befürworten Negativzinsen als Mittel gegen die Frankenaufwertung – sowie einen Staatsfonds.
Der Schweizerfranken zählt zu den stärksten Währungen der Welt. Das ist in der Regel ein grosser Vorteil für das Land. Doch in Krisenzeiten wird es zum Fluch: Wenn die Anleger aus aller Welt in den Franken flüchten, führt dies zu einer abrupten Aufwertung – was die Exportindustrie in existenzielle Nöte bringt.
Dieses Drehbuch spielt sich derzeit ab, da US-Präsident Donald Trump einen globalen Handelskrieg vom Zaun gebrochen hat. Weil die Grossmacht bei den Investoren nicht mehr als «sicherer Hafen» gilt, sind enorme Geldbeträge aus den USA abgeflossen, namentlich in die Schweiz. Deshalb ist der Franken-Kurs zum Dollar seit Anfang Jahr um rund 10 Prozent gestiegen.
Eine baldige Lösung des Zollkonflikts ist nicht in Sicht, womit die Talfahrt des Dollars ungebremst weitergehen könnte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die US-Währung ohnehin als teuer gilt. Ökonomen bezifferten die Überbewertung per Anfang Jahr auf bis 20 Prozent. Die Bank EFG hält es für möglich, dass der Dollarkurs von derzeit 83 Rappen auf 75 Rappen fällt.
Mögliche Rückkehr der Negativzinsen
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) steht damit vor einem Dilemma. An der Generalversammlung vom Freitag sprach SNB-Präsident Martin Schlegel einzig von der «sehr grossen Unsicherheit». Die Frage allerdings, wie er gegen die Frankenstärke ankämpfen will, liess er unbeantwortet. Die Schweiz hat sich daran gewöhnt, dass ihr die SNB in einer Krise jeweils zu Hilfe eilt, um einen Währungsschock abzuwenden. Diesmal jedoch wird diese Aufgabe noch schwieriger als üblich. Denn die herkömmlichen Waffen sind stumpf geworden. Falls die Lage aus dem Ruder läuft, so müsste die SNB womöglich ihren Giftschrank öffnen.
Eines dieser toxischen Mittel hat das Land bereits kennengelernt: die Negativzinsen. Beim nächsten Zinsschritt im Juni dürfte die SNB den Leitzins vorerst auf null reduzieren, so erwartet es zum Beispiel die UBS. Somit könnten die Negativzinsen bereits im zweiten Halbjahr wieder zur Realität werden.
So unbeliebt das Instrument bei den Sparern zwar sei, habe es seinen Zweck dennoch erfüllt, sagt der Ökonomieprofessor Cédric Tille vom Geneva Graduate Institute, der überdies zwölf Jahre im Bankrat der SNB war: «In einer Krise, wenn die Investoren in Cash flüchten, hat diese Sicherheit einen erheblichen Wert. Vor diesem Hintergrund lassen sich temporäre Kosten auf Festgeldanlagen oder Sparkonten rechtfertigen.»
Jean-Pierre Danthine, er gehörte von 2010 bis 2015 dem SNB-Direktorium an, stützt diese Einschätzung. Die Negativzinsen hätten den Vorteil, dass sie in der Praxis relativ unkompliziert umgesetzt werden könnten. Bisher lag der tiefste je erreichte Wert für die SNB-Leitzinsen bei minus 0,75 Prozent. Laut Danthine, der heute als Professor an der Ecole Polytechnique Fédérale in Lausanne unterrichtet, wären theoretisch noch tiefere Zinsen denkbar. «Wohlgemerkt, wir sprechen hier von einer Krisensituation, von der wir hoffen, dass sie niemals eintritt: In einem solchen Fall könnte die SNB mit entsprechenden Begleitmassnahmen auch ein tieferes Niveau als minus 0,75 Prozent durchsetzen.»
Ein weiteres Instrument, um einer übermässigen Aufwertung des Frankens entgegenzuwirken, sind Devisenkäufe durch die SNB. Sowohl Danthine als auch Tille sind überzeugt, dass diese Option weiterhin bestehe – jedoch nur in begrenztem Ausmass. Denn die Trump-Regierung könnte solche Käufe als Währungsmanipulation taxieren. Zudem sei es nicht ratsam, dass die Nationalbank ihre Bilanz übermässig ausweite.
Mindestkurs hat an Glaubwürdigkeit verloren
Stattdessen könnte die SNB erneut einen Mindestkurs einführen, wie sie dies gegenüber dem Euro bereits von 2011 bis Anfang 2015 praktiziert hatte. Die Wirksamkeit dieser Massnahme ist allerdings stark abhängig davon, ob die Finanzmärkte tatsächlich darauf vertrauen, dass die SNB diesen Kurs auch durchsetzen kann. Die Gefahr bestehe, dass Investoren die Standfestigkeit der Nationalbank testen würden, gibt Danthine zu bedenken.
Alternativ hätte die Schweiz die Option, das dänische Modell einzuführen. Dänemark besitzt zwar weiterhin eine eigene Währung, hat diese jedoch fix an den Euro gekoppelt. Selbst während der europäischen Schuldenkrise hat dieser Fixkurs gehalten. «Mit diesem Modell würde der Franken seinen Status als eigenständige Währung verlieren», erklärt Danthine.
Trotzdem spricht er von einer Notlösung, welche die Schweiz nicht a priori ausschliessen sollte. «Wir sprechen hier von einem extremen Szenario einer unkontrollierbaren Fluchtbewegung in den Franken. In diesem Fall hätte die Schweiz als kleines Land immer noch einen fixen Euro-Kurs als Rettungsanker.» Die dänischen Erfahrungen mit der Euro-Anbindung seien mehrheitlich positiv. Doch sei dies eine Diskussion, welche die Politik und nicht die SNB führen müsse.
Beide Experten, Danthine wie Tille, betonen, dass die Politik in Währungsfragen mehr Verantwortung übernehmen müsse und sich nicht allein auf die SNB abstützen könne. Dies gelte ebenso für ein weiteres mögliches Instrument, welches regelmässig für Debatten sorgt: einen Staatsfonds. Für den Ökonomen Cédric Tille ist klar, dass eine solche Investmentgesellschaft ausserhalb der Nationalbank entstehen müsste. Die nötigen Gelder könnte der Staat am Kapitalmarkt aufnehmen.
«Dank dem erstklassigen Vertrauen, das die Schweiz geniesst, würde die Finanzierung nur wenig kosten», erklärt Tille. «Gleichzeitig könnten die emittierten Obligationen die grosse Nachfrage nach Schweizerfranken befriedigen, was dem Aufwertungsdruck entgegenwirkt.» Als Vorbild nennt er den Staatsfonds von Singapur, Temasek, der rund 300 Milliarden Dollar verwaltet.
Ein Staatsfonds müsste unabhängig sein
Entscheidend sei eine unabhängige Führung des Staatsfonds, welche nicht durch politisches Lobbying beeinflusst werde, hebt Tille hervor. «Während die SNB bei der Verwaltung ihrer Devisenreserven an enge Restriktionen gebunden ist, könnte ein solcher Fonds das Vermögen freier und dadurch auch rentabler investieren.»
Auch Danthine bezeichnet die Unabhängigkeit von der Politik als zwingend. Unter dieser Voraussetzung könne der Fonds in einer schweren Krise sogar genutzt werden, um temporär jene Sektoren zu unterstützen, die von einer übermässigen Aufwertung des Frankens getroffen werden – analog etwa zu den Covid-Krediten des Bundes. Die Schweiz habe bisher zu Recht eine zurückhaltende Industriepolitik verfolgt, so Danthine. «Doch falls es dereinst zu einer globalen Finanzkrise kommen sollte, könnte sie ebenfalls auf Instrumente zurückgreifen, welche anderen Länder schon lange benutzen.»
Ein weiteres Mittel aus dem Giftschrank wären Kapitalverkehrskontrollen – zum Beispiel die Einschränkung von grenzüberschreitenden Finanztransaktionen. Jean-Pierre Danthine zweifelt allerdings an deren Wirksamkeit, weil Investoren solche Bestimmungen leicht umgehen könnten. Nach Einschätzung von Tille würde dies höchstens für einige Tage funktionieren, um einen Kollaps ähnlich demjenigen der Credit Suisse zu verhindern. Auch hier wiederum läge die Verantwortung nicht bei der SNB, sondern bei der Politik.
Das ist die eigentliche Kernbotschaft der Ökonomen Danthine und Tille: Sollte sich der Handelskrieg tatsächlich ausweiten und zu einer breiten Flucht in den Franken führen, so benötigt auch die politische Führung einen Plan. Denn die Nationalbank verfügt nicht mehr über die gleiche Feuerkraft wie bei früheren Krisen. Die Regierung in Bern sollte sich also wappnen.