Alle Banken in der Schweiz sollen künftig bei Bedarf einfacher von der Nationalbank Liquidität erhalten. Das soll die Finanzstabilität stärken. Für verlustreiche Risiken einstehen kann die SNB aber auch künftig nicht.
168 Milliarden Franken stellte die Schweizerische Nationalbank (SNB) der Credit Suisse (CS) im März 2023 zur Verfügung. Sie gewährte diese astronomische Summe an einem Tag nicht nur in Franken, sondern in Zusammenarbeit mit der amerikanischen und der europäischen Zentralbank auch in Dollar und Euro. Das ermöglichte es der CS und der UBS erst, ihren normalen Betrieb fortzuführen, obwohl Kunden in einem digitalen Bank-Run reihenweise ihre liquiden Mittel abzogen. Als klarwurde, dass genügend Mittel vorhanden waren, beruhigten sie sich jedoch rasch. Die Mittel kehrten zurück, und die CS konnte schon bald mit der Rückzahlung der Liquiditätshilfe beginnen.
Alles gut also? Mitnichten. Die ausserordentliche Liquiditätshilfe wurde erst im Rahmen einer notrechtlichen Rettungsaktion möglich, als klar war, dass die Bank sonst unterginge und eine Finanzkrise drohte. Das Ausmass der durch den digitalen Bank-Run notwendig gewordenen Hilfe war deutlich grösser, als in den gängigen Risikomodellen bisher angenommen wurde. Und ein grosser Teil der Hilfe erfolgte ohne Sicherheiten, weil die CS keine mehr zu den von der SNB geforderten Bedingungen beibringen konnte. Darüber hinaus argumentieren Kritiker, dass die Nothilfe so vielleicht gar nie nötig geworden wäre und die CS hätte gerettet werden können, wenn zum Vorneherein bekannt gewesen wäre, dass die SNB im Notfall bereitstünde.
Den Kreditgeber der letzten Instanz definieren
Dabei ist die Erkenntnis, dass in Schieflage geratene Banken in der Not Hilfe von der Zentralbank brauchen, alles andere als etwas Neues. Schon Walter Bagehot hat 1873 von der englischen Zentralbank gefordert, sie müsse als Lender of Last Resort, als Kreditgeber der letzten Instanz, funktionieren. Denn eine zentrale Funktion von Banken besteht darin, kurzfristige Einlagen entgegenzunehmen und in längerfristig gebundene Ausleihungen wie Hypothekarkredite zu verwandeln. Diese sogenannte Fristentransformation führt dazu, dass eine Bank nicht alle Guthaben sofort zurückzahlen kann, wenn viel mehr Einleger als gewöhnlich diese plötzlich zurückhaben wollen. Das wissen die Kunden.
Kommt es aus irgendwelchen Gründen zu einem Vertrauensverlust, besteht die einzig rationale Handlung für die Bankkunden deshalb darin, ihre Gelder rasch abzuziehen. Es entsteht ein Sturm auf die Bank, heute nicht mehr primär durch Schlangen vor Bancomaten, sondern digital. Diesen überlebt eine Bank kaum – es sei denn, die Zentralbank springt ein. Doch die Notenbanker können zwar beliebig einheimisches Geld schöpfen, dürfen damit aber nicht für die Folgen von Misswirtschaft aufkommen. Sie sollten die Banken auch nicht dazu ermuntern, übermässige Risiken einzugehen. Schon Bagehot schlug deshalb vor, dass der Kreditgeber der letzten Instanz seine Hilfe nur an solvente Banken gegen ausreichende Sicherheiten und zu einem Strafzins leisten darf. Was das bedeutet, ist bis heute umstritten.
Bei der Rettungsaktion für die CS zeigte sich, dass die Bank viel zu wenig hochwertige (Staats-)Anleihen und inländische Pfandbriefe beibringen konnte, welche die SNB als Sicherheiten gegen Liquidität verlangte. Andere Sicherheiten waren auf die Schnelle weder genügend verfügbar noch übertragbar. Und die Finanzmarktaufsicht (Finma) bestätigte zwar, dass die CS noch solvent war, doch im Nachhinein ist klar, dass die Grenzen damals unklar und fliessend waren. Zudem war die CS lange davor zurückgeschreckt, Nothilfeliquidität der SNB zu beanspruchen, weil sie fürchtete, dass dies bekanntwürde und einen Bank-Run erst recht beschleunigen könnte.
SNB schafft neue erweiterte Liquiditätsfazilität
In einer Grundsatzrede hat der dafür zuständige Vizepräsident des Direktoriums, Antoine Martin, nun die Schlüsse dargelegt, die die SNB daraus zieht. Er erinnerte daran, dass die SNB schon 1912 beim Bankensturm auf die Thurgauische Hypothekenbank einsprang und 1914 Banken im Tessin und in Uri unterstützte. Lange Zeit wollten sich die Nationalbanken jedoch nicht genau festlegen, wann sie den Banken Nothilfe gewährten, um keine falschen Anreize zu schaffen. Ende der 1990er Jahre beendeten sie diese «konstruktive Mehrdeutigkeit» und ersetzten sie durch klare, relativ strikte Bedingungen.
Nun sollen die Bedingungen zwar klar bleiben, aber weniger restriktiv werden. Und um dem Stigma vorzubeugen, soll eine Beanspruchung der Liquiditätshilfe «normaler» werden. Dazu schafft die SNB eine neue erweiterte Liquiditätsfazilität (ELF). Von ihr sollen Banken künftig bis zu einer vordefinierten Obergrenze regulär Liquidität beziehen können, wenn sie ihre eigenen, am Markt erhältlichen Finanzierungsmöglichkeiten als vorübergehend nicht mehr ausreichend einschätzen. Sie müssen dafür nicht extra ihre Solvenz bestätigen lassen, aber einen über den normalen Marktsätzen liegenden Zins bezahlen. Wie gross dieser Aufschlag sein soll, ist noch offen.
Die neue Fazilität soll nicht mehr nur den systemrelevanten, sondern allen Banken offenstehen. Sie ergänzt die normalen geldpolitisch motivierten (Repo-)Geschäfte der SNB mit den Banken und die auf die Bedürfnisse des Zahlungsverkehrs ausgerichtete kurzfristige Engpassfinanzierung.
Für die erweiterte Liquiditätsfazilität will die SNB nicht mehr nur von den Rating-Agenturen hoch bewertete Anleihen, Aktien und inländische Pfandbriefe als Sicherheiten akzeptieren. Auch Hypothekarforderungen auf Wohn- und Gewerbeliegenschaften im Inland sollen beigebracht werden können – also die verbreitetsten Sicherheiten für Unternehmenskredite. Zudem sollen auch Anleihen und Aktien von ausländischen Schuldnern mit tieferer Bonität gegen Abschlag akzeptiert werden.
Bedingung ist allerdings, dass die in der Schweiz tätigen Banken die Sicherheiten der SNB so übertragen können, dass diese auch auf sie zugreifen und sie im Ernstfall verwerten kann. Vor allem bei vielen Hypothekarforderungen ist dies derzeit noch nicht gegeben. Zudem sollen bei der SIX angesiedelte elektronische Plattformen künftig eine schnelle elektronische Abwicklung ermöglichen. Die SNB erwartet, dass sich die Banken darauf vorbereiten, und schlägt vor, dass neue, international abgestimmte regulatorische Anforderungen dies auch sicherstellen sollen.
Keine Blankogarantie für UBS und Co.
Die erweiterte Liquiditätsfazilität und das darüber hinausgehende Notfallregime sollen die Wahrscheinlichkeit von Bank-Runs reduzieren helfen. Einen digitalen Bank-Run auf die UBS, die Raiffeisen-Gruppe oder die ZKB ganz ausschliessen kann und will die SNB aber nicht.
Denn Banken, die das Vertrauen der Anleger verloren haben, müssen auch künftig untergehen können, ohne dass die Zentralbank ihre Risiken sozialisiert. Und je strikter die Vorschriften und Vorgaben, um im Notfall über genügend Liquidität zu verfügen, umso stärker schränken diese die normale Geschäftstätigkeit und Kernfunktionen der Banken ein.
Ob im Krisenfall der Staat für ungedeckte Risiken garantieren soll, ist eine finanzpolitische Frage. In der EU und in den USA wurde dafür ein vom Staat garantierter sogenannter «public liquidity backstop» für systemrelevante Banken geschaffen. In der Schweiz liegt ein entsprechender Vorschlag, der es erlaubt hätte, bei der Rettung der CS auf Notrecht zu verzichten, beim Parlament. Die SNB wirbt für seine baldige reguläre Einführung. Sie kommt den Banken nun zwar relativ weit entgegen und passt ihr Liquiditätsregime an. Das ist auch notwendig. Aber alles retten kann sie nicht.