Die EU will ihren Mitgliedern erlauben, mehr Geld an den Defizitregeln vorbei in Waffen zu investieren. Gewisse Länder schrecken davor zurück, auch aus Angst vor der Reaktion der nervösen Kapitalmärkte.
Die europäischen Länder wollen mehr in die Rüstung investieren, denn sie sehen Russland als eine Bedrohung an und ihre Armeen sind teilweise marode. Höhere Ausgaben sind auch geboten, um das Verhältnis zu den USA nicht noch stärker zu belasten. Der Verbündete fordert von den Europäern seit langem höhere Rüstungsausgaben. Präsident Donald Trump hat den Druck massiv erhöht.
Allerdings haben einige EU-Länder so hohe Schulden, dass die Kommission gegen sie erst vor zehn Monaten Defizitverfahren eingeleitet hat. Diese Staaten müssen ihr nun aufzeigen, wie sie die Fehlbeträge mittelfristig senken wollen. Laut den Maastricht-Kriterien dürfen die Schulden nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen und die Defizite nicht mehr als 3 Prozent davon.
Europa im finanziellen Dilemma
Die Lage ist also verzwickt: Schulden reduzieren und aufrüsten sind schwierig in Einklang zu bringen. Die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen glaubt dafür aber eine Lösung gefunden zu haben: Vor zwei Monaten schlug sie vor, dass die Länder für Rüstungsausgaben die sogenannte Ausweichklausel aktivieren dürfen.
Als Sonderregel ist sie für ausserordentliche Umstände vorgesehen. Den Ländern wäre es gestattet, die Verteidigungsausgaben in den Jahren 2025 bis 2028 um 1,5 Prozent des BIP zu erhöhen. Diese Zusatzkosten fielen nicht unter die Defizitgrenze von 3 Prozent.
Bis Ende April mussten die 27 EU-Länder der Kommission mitteilen, ob sie die Ausweichklausel aktivieren wollen. 12 haben zugesagt, mindestens 4 werden angeblich noch hinzukommen.
In der Kommission ist die Stimmung angespannt gewesen. Von der Leyen hatte nämlich vorgeschwebt, dass alle 27 EU-Länder gemeinsam die Ausweichklausel aktivieren.
Das wäre ein Zeichen der Solidarität gewesen. Immerhin birgt die Ausweichklausel für hochverschuldete EU-Länder Gefahren. Wenn sie diese aktivieren, können Investoren dies als Hinweis auf einen finanziellen Engpass ansehen. Diese Staaten würden am Kapitalmarkt dann mit höheren Zinsen bestraft.
Deutschland geht voran
Nun werden zwar nicht alle EU-Länder die Klausel anwenden, aber die Mehrzahl ist wohl dabei. Lange Zeit hatte es nicht danach ausgesehen. Die Länder zierten sich. Dann aber brach Deutschland als erster Staat das Eis. Weitere Länder folgten bis Mittwochnacht.
Es fällt auf, dass sich die osteuropäischen Länder mehrheitlich unter ihnen befinden. Die Furcht vor Russland treibt sie dazu an, mehr in die Rüstung zu investieren. Aus Westeuropa sind neben Deutschland bisher bloss Portugal, das mit Budgetproblemen kämpfende Belgien sowie Dänemark dabei.
Gerade die Skandinavier haben die Ukraine in den vergangenen Jahren stark unterstützt und wollen mit höheren Verteidigungsausgaben wohl auch ein Signal gegenüber Trump senden. Dieser hat wiederholt angedeutet, dass sich die USA die zu Dänemark gehörende Insel Grönland einverleiben könnten. Das hochverschuldete Italien dagegen will die Ausweichklausel nicht aktivieren, auch ein auf Budgetdisziplin bedachtes Land wie die Niederlande dürfte davon absehen.
Falls alle EU-Länder die Ausweichklausel aktiviert hätten und bei den Ausgaben an die Grenze gingen, kämen in vier Jahren 650 Milliarden Euro zusammen. Das wäre eine hohe, aber nicht eine riesige Summe. Immerhin haben alle 27 EU-Länder 2024 den Betrag von 326 Milliarden Euro als Verteidigungsausgaben verbucht.
Hohe Auftragsbestände bei Rüstungsfirmen
Zudem heisst es nicht, dass neue Panzer oder Drohnen schon bald im Kasernenhof stehen, wenn die Länder geloben, sie investierten nun mehr in die Rüstung. Das Geld mag dafür vorgesehen sein, aber ausgegeben ist es noch nicht, erst recht nicht auf eine sinnvolle Weise.
Dem Kauf von Panzern, Kampfjets oder Drohnen geht eine anspruchsvolle Typenwahl voraus. Ferner haben Rüstungsfirmen so hohe Auftragsbestände, dass es zu Wartezeiten kommen dürfte. Die deutsche Firma Rheinmetall etwa hat 2024 einen Umsatz von 9,8 Milliarden Euro erzielt, die Bestellungen und die Rahmenverträge dafür belaufen sich jedoch auf 54 Milliarden Euro.