Am Wochenende pilgern wieder Anleger aus aller Welt in die amerikanische Provinz, um die Investorenlegende Warren Buffett zu erleben. Eine Frage steht über allem: War’s das jetzt?
Bald ist wieder Ausnahmezustand im Mittleren Westen. Ab Freitag nämlich versammeln sich 40 000 Investoren, Aktionäre, Journalisten und Fans zur wohl eigenwilligsten Veranstaltung der Finanzwelt. Warren Buffett lädt zur Generalversammlung seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway.
Der Anlass ist Kult und Spektakel. Nicht umsonst gilt er als «Woodstock der Kapitalisten». Wie einst beim legendären Musikfestival pilgern die Massen in den amerikanischen Gliedstaat Nebraska, um ihren Headliner live und aus der Nähe zu erleben: Warren Buffett.
Bei Anlegerinnen und Anlegern hat Buffet angesichts seines Gespürs für Investments längst einen übermenschlichen Status erlangt. Man nennt ihn das «Orakel von Omaha», benannt nach seiner Heimatstadt, wo er seit je lebt und wo nun auch wieder die Generalversammlung stattfindet.
Sie ist eine der einzigen Gelegenheiten im Jahr geworden, direkt von Buffett zu hören. Im Alter von 94 Jahren gibt er mittlerweile nur noch selten Interviews, ja tritt überhaupt fast gar nicht mehr öffentlich auf.
Und so dreht sich in den kommenden Tagen in Omaha, vielleicht mehr denn je, alles um Buffet. Um seine Lehren, seine Weisheiten – und vor allem auch: um seine Zukunft.
Warren Buffett steht Red und Antwort
Die Aktionärsversammlung ist weit mehr als ein Pflichttermin. Berühmt ist sie für ihr Rahmenprogramm, das bereits am Freitag beginnt: Die Gäste können sich einem Picknick anschliessen oder bei einem Fünf-Kilometer-Lauf unter dem Motto «Invest in Yourself» mitlaufen. In einer grossen Messehalle verkaufen Berkshire-Tochterfirmen ihre Produkte mit Rabatt. Von Büchern über Schmuck bis hin zu Warren-Buffett-Plüschfiguren: Der Mann weiss, womit sich Geld verdienen lässt.
Das Herzstück des Events aber ist die Fragerunde am Samstag. Viereinhalb Stunden lang wird Buffett dem Publikum Rede und Antwort stehen.
Die Veranstaltung ist legendär. «Wir haben keine Ahnung, was Sie fragen werden», heisst es im offiziellen Programmheft. Und genau das macht für viele Besucher den Reiz aus: Buffett antwortet frei heraus, ohne Skript und Absprachen. Seine spontanen Bemerkungen offenbaren nicht selten mehr als so mancher Quartalsbericht.
Zwei Regeln gibt es dennoch: Keine Frage dazu, welche Aktien Berkshire Hathaway gegenwärtig kauft oder verkauft. Und keine Fragen zur Politik.
334 Milliarden Dollar in cash
Doch im Jahr 2025 lassen sich politische Themen schwer ausblenden. Die zweite Amtszeit von Donald Trump hat konfrontativ begonnen: Wirtschaftlicher Protektionismus und geopolitische Spannungen bestimmen die Gegenwart. Entsprechend interessiert sind die Anleger an Buffetts Einschätzungen – zur Wirtschaftslage, zur Zinspolitik der amerikanischen Notenbank und zum Zustand der Finanzmärkte. Einmal mehr könnten seine Worte die Strategien von Kleinanlegern und institutionellen Investoren beeinflussen.
Buffett ist berühmt für sein Credo: «Sei ängstlich, wenn andere gierig sind, und gierig, wenn andere ängstlich sind.» Als die Aktien grosser Tech-Konzerne im vergangenen Jahr rasant zulegten, trennte sich Berkshire Hathaway von Apple-Papieren im Wert von 167 Milliarden Dollar. Das Timing hätte geschickter kaum sein können, denn inzwischen treffen Trumps Zölle das kalifornische Unternehmen, das seine Smartphones derzeit noch in China produzieren lässt, im Kern.
Warum Buffett die Aktien verkaufte, verriet er damals nicht. Ob er in Omaha eine Erklärung nachliefert?
Mindestens ebenso interessant ist die Frage, was Berkshire Hathaway mit seinem gigantischen Bargeldpolster vorhat. Ende 2024 sass das Unternehmen auf 334 Milliarden Dollar an flüssigen Mitteln, die zu einem Grossteil in kurzfristigen amerikanischen Staatsanleihen parkiert sind. Doch deren Status als «sicherer Hafen» wird seit Trumps protektionistischem Kurs zunehmend infrage gestellt.
Die Nachfolger sind bestimmt
Jenseits aller Finanzthemen steht in Omaha aber eine andere Frage über allem: Wie lange noch?
Warren Buffett ist CEO und Verwaltungsratspräsident von Berkshire Hathaway und wird im August 95 Jahre alt. Schon im vergangenen Jahr fand die Generalversammlung zum ersten Mal ohne Buffetts jahrzehntelangen Weggefährten Charlie Munger statt – er war wenige Monate zuvor im Alter von 99 Jahren verstorben. Dieses Jahr wird Buffett auf dem Podium von zwei Schlüsselfiguren im Berkshire-Universum flankiert: Greg Abel und Ajit Jain.
Abel wurde im Februar von Buffett in einem Brief an die Aktionäre als designierter CEO vorgestellt. Auch eine zweite Personalie steht fest: Buffetts Sohn Howie soll künftig dem Verwaltungsrat vorstehen.
Buffett scheint sich seiner Endlichkeit bewusst geworden zu sein. Am Ende der letztjährigen Generalversammlung sagte er: «Ich hoffe nicht nur, dass ihr nächstes Jahr kommt, sondern ich hoffe auch, dass ich nächstes Jahr komme.»
Vor diesem Hintergrund wird nun darüber spekuliert, ob Buffett am Wochenende seinen Rücktritt bekanntgeben könnte. Vielleicht ist es deshalb mehr als je zuvor eine besondere Veranstaltung. Denn an dem Ort, wo die Fans ihren Helden noch einmal leibhaftig erleben können, wissen es alle: Die Ära des «Orakels von Omaha» geht bald zu Ende.