Bis jetzt profitierte das Startup von Yue Cao von der De-minimis-Regelung. Der Wegfall der Zollbefreiung für Kleinlieferungen in die USA könnte den Ruin für das junge Unternehmen bedeuten.
Am Freitag fiel die Zollbefreiung für Lieferungen in die USA bis zu einem Warenwert von 800 Dollar weg. Die Umsätze dürften bei Zehntausenden chinesischen Firmen auf Talfahrt gehen. Denn seit gestern erheben die amerikanischen Behörden auf Päckchen aus China und Hongkong mit Spielzeug, T-Shirts oder Turnschuhen Zölle in Höhe von 120 Prozent oder eine Einmalzahlung von 100 Dollar.
Viele der kleinen und grossen Unternehmen aus dem Reich der Mitte vertreiben ihre Produkte über die E-Commerce-Plattformen Shein und Temu. So auch das im Jahr 2023 von Yue Cao gegründete Startup, dessen Namen der 25-Jährige lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Auch wollte er sich nicht abfotografieren lassen.
Sein Unternehmen entwirft und druckt Sticker für Autos und Lkw. Auf den Aufklebern prangen flotte Sprüche wie «Don’t touch my truck». Die Firma beschäftigt zehn Mitarbeiter, der Firmensitz mit Produktion befindet sich in der achten Etage eines schmucklosen Hochhauses am Rande Guangzhous im Süden Chinas. Überall stehen überquellende Aschenbecher. In einer Ecke des Büros stapeln sich gefaltete Pappschachteln für den Versand der Sticker ins Ausland. Im Raum nebenan steht die Druckerpresse.
Verheerende Auswirkungen
«Wir haben alle Verbindungen in die USA gekappt», sagt Yue Cao im Gespräch, «es finden keine Verkäufe mehr statt.» 30 Prozent des Umsatzes erwirtschaftete die Firma des jungen Chinesen bisher in den USA. Yue Cao sagt: «Die US-Politik hat gravierende Auswirkungen für uns, man könnte auch sagen, sie sind verheerend.»
Der Gründer und Chef des Unternehmens aus Guangzhou war sich von Anfang an sicher, dass der US-Präsident Donald Trump die Zölle auf Waren aus China anheben werde. Mit derart drastischen Erhöhungen hatte Yue Cao allerdings nicht gerechnet. «Zusätzliche Zölle von 20 bis 30 Prozent hätten uns kaum getroffen», sagt der Chinese, «der Wegfall der De-minimis-Regelung wirft allerdings unsere gesamten Geschäftspläne über den Haufen.»
Shein und Temu wollen die Preise anheben
Die E-Commerce-Plattform Temu, über die Yue Caos Startup seine Sticker vertreibt, will die Preise anheben. Doch auch andere Plattformen wie das zum Alibaba-Konzern gehörende Portal Aliexpress, Shein und Tiktok Shop dürften Trumps Zölle schwer treffen.
Die Unternehmen haben während der vergangenen Jahre schnell wachsende und komplexe Modelle aufgebaut, bei denen preisgünstige Konsumgüter aus China binnen kürzester Zeit an amerikanische Verbraucher geliefert werden können. Shein etwa lieferte bis vor kurzem eine Million Päckchen in die USA – pro Tag.
Die Portale unterstützten die Hersteller beim Marketing und bei der Logistik. Shein will den chinesischen Firmen nun bei der Erschliessung neuer Märkte helfen. Temu bietet Herstellern aus China einen reduzierten Service zu niedrigeren Gebühren an.
Für die USA und ihren Präsidenten Donald Trump hat Yue Cao nur noch Verachtung übrig. «Ich bin extrem aufgebracht», sagt der Firmenchef und fragt: «Wie kann die grösste Volkswirtschaft der Welt und so ein grosses Land einen Präsidenten wie diesen wählen?»
Mitleid für das amerikanische Volk
Trump fehle jedes logische Denken, schimpft Yue Cao, «er scheint schlechter informiert zu sein als ein Grundschüler». Für das amerikanische Volk empfindet der Unternehmensgründer Mitleid. «Dieser Präsident hat die über so viele Jahre aufgebaute Reputation der USA zerstört.»
So wie Yue Cao denken viele Chinesinnen und Chinesen, manche sind regelrecht entsetzt. In den 1980er und 1990er Jahren waren die USA Sehnsuchtsort und eine bewundernswert starke und innovative Volkswirtschaft mit coolen Marken und Produkten. China gab den USA den chinesischen Namen «Meiguo», das «schöne Land». Von dem Glanz ist spätestens nach 100 Tagen Trump 2.0 nicht mehr viel übrig.
Yue Cao, ein aufgeklärter junger Chinese mit guter Bildung, fragt sich, was denn nun eigentlich die vielzitierten «universellen Werte» des Westens seien. «Bedeuten sie, dass man die Menschen auf der ganzen Welt leiden lässt?» Die chinesische Führung kann sich über solche Äusserungen freuen. Denn das, was sie seit Jahren predigt, nämlich, dass es mit dem Westen bergab und mit dem Osten aufwärtsgehe, scheint nun auch das Volk zu verinnerlichen.
Chinas Wirtschaft wird Blessuren davontragen
Natürlich wissen viele Chinesinnen und Chinesen, dass die Wirtschaft ihres Landes durch Trumps Zölle Blessuren davontragen wird. Doch die meisten sind sich sicher, dass Chinas Volkswirtschaft ausreichend widerstandsfähig ist, um halbwegs ungeschoren durch die schweren Zeiten zu kommen.
Die Machthaber in Peking scheinen sich da nicht so sicher zu sein. Sie sprechen inzwischen von «Notfallplänen», die es vorzubereiten gelte, und verweisen in den vergangenen Tagen auffallend oft auf einen «Kampf» und einen «langwierigen Krieg», den China gewinnen müsse. In der Tat häufen sich die Berichte über massenhafte Fabrikschliessungen.
Am Freitag sendete Peking denn auch erste Signale der Entspannung Richtung Washington. China prüfe mögliche Gespräche mit den USA über Handelsfragen, heisst es in einer Mitteilung des Handelsministeriums. Die USA hätten in jüngster Zeit «Botschaften gesendet», in denen die Regierung ihre Hoffnung auf baldige Gespräche mit China ausgedrückt habe. «Wir prüfen dies jetzt», heisst es in der Mitteilung.
Yue Cao weiss aber, dass auch Amerika leiden wird. «Produkte werden knapp werden, und die Preise werden steigen», sagt der Gründer, die Realität sei nämlich, dass kein Land der Welt China mit seinen ausgefeilten Lieferketten ersetzen könne.