Wendet sich ein Partner einer sektenhaften Ideologie zu, ist die Beziehung meist nicht mehr zu retten. Am meisten leiden die Kinder.
Der Boulevard ist in heller Aufregung. Eines der Vorzeigepaare der Cervelatprominenz hat sich getrennt: Nach sechzehn Jahren Ehe lassen sich Renzo und Ladina Blumenthal, Eltern von vier Kindern, scheiden. Zu den Gründen haben sich die beiden nicht detailliert geäussert. Für die People-Redaktionen und die von ihnen befragten Experten war aber schnell klar: Die Trennung muss etwas mit Ladinas Spiritualität zu tun haben. Ihre esoterische Ader scheint nicht kompatibel gewesen zu sein mit der bodenständigen Art von Renzo, dem Biobergbauern aus dem Lugnez und früheren Mister Schweiz.
Auf Instagram bezeichnet sich Ladina Blumenthal als «Frequenz- und Bewusstseinstrainer». Auf ihrer Website schreibt sie Sätze wie: «Du kannst alles erreichen, wovon du träumst, wenn du es wirklich willst.» Sie bietet Klangtherapien, Hypnosen und Körpersprays an, die angeblich Quantenphysik, Geometrie, altes Wissen, Naturschätze, Selbstheilung und Selbstbestimmung in sich vereinen. «Verstehen musst du das nicht, nur sprühen und sprühen . . . Ist das nicht genial?»
Ladina Blumenthal hat kürzlich verkündet, dass sie die Ausbildung als «Oneness Rose Creation Coach» erfolgreich absolviert habe. Angeboten wird dieser Kurs von der deutschen Esoterikerin Patricia Saint Clair. Diese behauptet, sie gehe seit 1987 als Pionierin der neuen Zeit voran. Man kann bei der 63-Jährigen Online-Ausbildungen für einige tausend Euro buchen. «Ich behaupte, dass jeder Mensch, der es wirklich möchte, superreich und happy sein kann! Ich weiss, wie es zu 100 Prozent funktioniert!», so Saint Clair.
Die zerstörerische Kraft der Religion
Der Glauben an das Übersinnliche kann Menschen glücklich machen, ihnen in schwierigen Zeiten Trost spenden. Aber er kann auch zerstörerisch wirken. Im Grossen, wenn der Fanatismus zu Krieg und Terror führt. Und im Kleinen, wenn Ehen und Familien daran zerbrechen, dass ein Partner in eine Form von Spiritualität abdriftet, der die Angehörigen nichts abgewinnen können.
So wie das offenbar bei den Blumenthals passiert ist. Oder bei Irene Stocker.* «Irgendwann kam der Punkt, an dem ich nicht mehr konnte. Ich sagte meinem Mann: Du musst dich entscheiden. Die Familie. Oder Indien.» Stocker sitzt am Küchentisch ihres grossen Hauses in einer Gemeinde im Schweizer Mittelland. Auch ihre älteste Tochter Anna,* die bereits studiert, ist dabei. Irene und Heinz Stocker haben noch weitere Kinder. Für lange Zeit eine normale, mehr oder weniger glückliche Familie. Doch am Schluss, da entschied sich Heinz Stocker für «Indien». Und liess Frau und Kinder hinter sich.
Es fing an mit einem Buch, das Heinz Stocker geschenkt bekam. Es handelte von der neohinduistischen Lehre eines indischen Gurus. Dieser behauptet, er könne für seine Schülerinnen und Schüler einen Kontakt zur himmlischen Energie herstellen und ihnen so zur schnellen Erleuchtung und zur Heilung seelischer Wunden verhelfen. Ziel der Bewegung ist es, die ganze Menschheit zur Einsicht zu bringen, dass der Kosmos eine Einheit bilde. Darauf soll ein goldenes Zeitalter folgen.
Heinz Stocker, den seine Frau schon lange als «suchend» wahrnahm, war vom Buch fasziniert. 2009 reiste er ein erstes Mal nach Indien, wo sein Meister einen prächtigen weissen Tempel errichtet und eine eigene Universität geschaffen hat. Er blieb zwei Wochen und kam verwandelt zurück.
Ziel: die absolute Erleuchtung
In einem Nebenraum richtete sich Heinz Stocker einen kleinen Meditationsbereich ein, mit Bildern des Gurus, Kerzen und Räucherstäbchen. Stocker ist Universitätsabsolvent, er arbeitet in einem naturwissenschaftlichen Beruf. «Er sagte, in seinem Kopf denke es immer. Und die neu entdeckte Lehre helfe ihm endlich, das Denken auch einmal abzuschalten», erinnert sich seine Frau. Am Anfang habe sie das noch super gefunden.
Heinz Stocker setzte sich dann aber zum Ziel, ein fliegender Yogi zu werden und die absolute Erleuchtung zu erreichen. Dafür muss man zahlreiche Kurse absolvieren, die jeweils Tausende von Dollars kosten. Und tatsächlich schaffte es Stocker in den Kreis der Auserwählten rund um den Meister. Früh war er im ersten Schweizer Ableger der Gemeinschaft aktiv. «Durch seinen hohen Status im inneren Kreis hat er viel Anerkennung bekommen, das hat ihm natürlich gefallen», sagt seine Tochter Anna.
Für die Familie hingegen wurde das Ganze zunehmend zur Belastung. «Sein Wesen veränderte sich, er begann, seinen Glauben exzessiv auszuleben», erzählt Irene Stocker. «Er reiste immer häufiger nach Indien und blieb immer länger dort, die Kurse dauerten bis zu sieben Wochen.» Einmal hätte ihr Mann fürs Weihnachtsfest heimkommen sollen. «Aber er blieb. Ich hatte es geahnt.»
Die Probleme daheim wachsen
2012 geriet Heinz Stocker in Panik. Denn sein Meister hatte angekündigt, dass die Erde von Naturkatastrophen erschüttert werde, wenn es nicht bis in diesem Jahr gelinge, Zehntausende von «erwachten» Menschen in seiner Bewegung zu versammeln. «Mein Mann ging nach Indien, um die Welt zu retten. Für uns organisierte er Schutzräume und Essen, immerhin», sagt Irene Stocker lakonisch. Das Anhängerquorum wurde offenbar erreicht, der Weltuntergang blieb aus. Stattdessen habe die Menschheit eine neue Evolutionsstufe erreichen können, verkündete der Guru.
Bei den Stockers allerdings wuchsen die Probleme. Ihr Mann habe sich in einem Kurs das Raum- und Zeitgefühl wegmeditiert, sagt Irene Stocker. Das habe das Autofahren mit ihm zu einem Abenteuer gemacht. Wegen spezieller Rituale, die angeblich im Hirn neurologische Veränderungen auslösen, begann Heinz Stocker zu zittern, auch in der Öffentlichkeit. «Das war sehr unangenehm für uns», erinnert sich Tochter Anna.
Heinz Stocker wollte die Kinder auf seinem Pfad zur Erleuchtung mitnehmen. Er brachte Anna an Veranstaltungen der Gemeinschaft mit und krempelte die Erziehung gemäss den Lehren des Gurus um. So sollen Teenager Freunde ihrer Eltern sein. «Er wollte nur noch spielen mit ihnen und gab die Erziehung an mich ab, die Haushaltsarbeit sowieso. Das führte zu grossen Konflikten», sagt Irene Stocker. «Wir sollten nach der Lehre immer glücklich sein, immer lachen. Aber das Lachen war aufgesetzt, es kam nicht von Herzen.»
Irene sagte ihrem Mann wiederholt, sie wolle nicht, dass er die Kinder indoktriniere. «Er antwortete, die Pharisäer hätten Jesus auch verkannt. Die Pharisäerin, das war ich für ihn.»
Zerreissprobe für die Familie
Jürg Treichler kennt den Fall von Irene Stocker. Und viele ähnliche. Bis vor einem Jahr hat er eine Selbsthilfegruppe der Beratungsstelle Infosekta geleitet. Der 81-Jährige war einst selbst in einer evangelikalen Gemeinschaft und versuchte, seine Familienmitglieder zu missionieren. Aus seiner eigenen Erfahrung und den Gesprächen mit den über hundert Teilnehmern, die im Lauf von zwölf Jahren in der Selbsthilfegruppe waren, weiss er: Es ist eine Zerreissprobe für eine Familie, wenn eine Ehefrau, ein Vater, eine Tochter in einer sektenhaften Organisation landet. «Diese Person betrachtet sich selbst als erlöst und will auch ihre Familienmitglieder am neu entdeckten Heil teilnehmen lassen. Wenn diese ablehnend reagieren, verhärten sich die Fronten schnell – manchmal bis zum Kontaktabbruch.»
Ein Partner könne meist nicht viel mehr machen, als abzuwarten und zu hoffen, dass die Gattin irgendwann selbst zur Vernunft komme und sich von einem Guru abwende. «Versuche, jemanden aus einer solchen Gemeinschaft herauszuholen, sind oft kontraproduktiv. Das ist ähnlich wie bei Personen, die im Drogensumpf stecken», sagt Treichler, der lange auf der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich gearbeitet hat.
Oft sind es Männer und Frauen mittleren Alters, die sich auf eine spirituelle Sinnsuche begeben. Es beginnt harmlos, etwa mit einem Faible für Astrologie oder Kraftsteine, mit Besuchen in esoterischen Buchhandlungen. Aber irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem die Partnerschaft in Gefahr gerät. «Das ist meistens dann der Fall, wenn jemand einen Grossteil seiner Zeit und auch seines Geldes in eine solche Gemeinschaft investiert», sagt Treichler.
Verloren in der Spiritualität
Irene Stocker erzählt, sie habe irgendwann die kleineren Kinder nicht mehr mit ihrem Mann allein lassen können. Er habe so sehr in seiner Welt gelebt, dass er Gefahren nicht mehr habe kommen sehen. Er verlor das Gespür für die Kinder, merkte nicht mehr, wie er sie mit Witzen verletzte. Oder mit seinem Fehlen am Unterhaltungsabend des Fussballklubs. Er vergass ihre Geburtstage. Einmal legte Heinz Stocker Schokolade vor ein Bild seines Meisters, dieser sollte sie abholen kommen. «Die Schokolade kam natürlich schon weg, aber nicht durch ein Wunder. Das gab einen Riesenzoff!», erinnert sich Irene Stocker an die absurde Szene.
Am schlimmsten waren für Irene Stocker jeweils die Wochen nach der Rückkehr ihres Mannes aus Indien. «Er war neben der Spur, fast manisch. Er verstand nicht, warum wir uns nicht mit ihm freuten über sein ‹neues Ich›. Mit so jemandem zusammenzuleben, wurde unmöglich. Ich verlor alle Energie, konnte kaum mehr den Alltag bewältigen.» Weil sie Angst hatte, dass ihr Mann die Kinder für irgendwelche Kurse ins Ausland mitnehmen könnte, versteckte sie die Reisepässe. Dann, nach einer vergeblichen Paartherapie, stellte sie ihm sieben Jahre nach seinem ersten Indien-Trip das Ultimatum – ahnend, dass sie diesen Kampf nicht mehr gewinnen konnte.
Heute bereut Irene Stocker, dass sie nicht früher einen Schlussstrich gezogen hat. In der Scheidungsvereinbarung verpflichtete sich ihr Ex-Mann, seine Kinder nicht zu missionieren. Er darf sie bis zur Volljährigkeit nicht nach Indien mitnehmen und keine Rituale nach der Lehre des Gurus mit ihnen durchführen.
Wie eine Co-Alkoholikerin
Irene Stocker holte sich Hilfe bei einer Psychologin, die auf Sektenthemen spezialisiert ist – etwas, das sie allen Betroffenen dringend empfiehlt: «Als Angehörige ist man wie eine Co-Alkoholikerin, die immer stärker in die Problematik hineingezogen wird.» Zudem wurde sie Teil der Selbsthilfegruppe von Jürg Treichler. Dort traf sie neben Sektenaussteigern auch auf Menschen, deren Angehörige wie ihr eigener Mann schleichend in eine problematische Religionsgemeinschaft oder esoterische Kreise hineingeraten sind. Und auf solche, bei denen dies rasend schnell passierte.
Die Infosekta-Leiterin Susanne Schaaf wendet einen grossen Teil ihrer Beratungstätigkeit für besorgte Angehörige auf. Sie sagt, die Belastung, die in einer Familie entstehe, wenn sich ein Mitglied einem sektenhaften Milieu zuwende, hänge von verschiedenen Faktoren ab. «Zum Beispiel, wie problematisch die Gruppe ist und wie entschlossen oder gar radikal sich eine Person mit dem neuen Gedankengut und der Gruppe identifiziert: Besteht noch eine gewisse gemeinsame Basis für den Austausch und ein ernsthaftes Interesse, die Situation gemeinsam zu bewältigen – oder hat sich die betroffene Person bereits emotional verabschiedet, innerlich gekündigt?»
Gegen eine Wand reden
Charakteristisch für familiäre Probleme ist laut Schaaf die grosse Entfremdung, die durch das Sektenengagement entsteht. Angehörige reden gegen eine Wand, sie fühlen sich ohnmächtig, sehen keine Perspektive mehr. «In gewissen weltanschaulichen Gemeinschaften werden solche Konflikte quasi ‹vorhergesagt›: ‹Deine Familie wird dich nicht verstehen, sie wird dich mit ihrer Kritik und den negativen Schwingungen von deiner spirituellen Berufung abhalten. Du musst dich mit positiven Menschen umgeben.›»
Wenn sich die Eltern dauernd über weltanschauliche Fragen streiten, ist das für Kinder extrem belastend. Aber dies akzentuiere sich noch, wenn ein Elternteil ungreifbar in esoterischen Sphären schwebe, sagt Schaaf. Oder wenn es ein – aus christlich-fundamentalistischer Perspektive – unerwünschtes Verhalten der Kinder als von «Dämonen» bewirkt einordne und Ängste schüre.
Ob die Krise bewältigt werden kann, hängt laut der Sektenexpertin von den Möglichkeiten und der Bereitschaft der Partner ab, sich ernsthaft um eine gemeinsame Lösung zu bemühen. «Unsere Beratungsarbeit zeigt, dass die Situationen oft bereits sehr verfahren sind und jene Seite, die zu neuen Ufern aufgebrochen ist, vor Verblendung nicht bereit oder in der Lage ist, sich sachlich zu beteiligen.» Manche Paare würden sich um der Kinder willen irgendwie arrangieren und zusammenbleiben. «Aber viele trennen sich, weil die gemeinsame Grundlage verlorengegangen und das Leiden zu gross geworden ist.»
Kein Erfolg bei der Tochter
So wie bei der Familie Stocker. Tochter Anna hat nach ihrem 18. Geburtstag zweimal an Kursen in der Universität der Gemeinschaft in Indien teilgenommen, die mehrere zehntausend Franken kosteten, alles bezahlt vom Vater. Sie durfte sich dabei eine halbe Stunde mit dem Guru unterhalten – ein Privileg, weil sie die Tochter von Heinz ist. Der Führer der Gemeinschaft habe eine spezielle Präsenz, sagt sie zwar. «Aber ich würde ihn nie als Gott sehen, als zweiten Jesus, wie das mein Vater tut.» Entsprechend hat sich Anna rasch wieder von der Gemeinschaft distanziert. Manche Elemente der Lehre kommen ihr grotesk vor. Etwa, dass der Guru ein Lichtwesen sei, das an mehreren Orten gleichzeitig sein könne.
Heinz Stocker wollte sich auf Anfrage nicht zu seinen spirituellen Erfahrungen und deren Auswirkungen auf die Familie äussern.
* Name von der Redaktion geändert.