Rieter übernimmt das Chemiefasergeschäft von Oerlikon. Durch den Kauf wird der Textilmaschinenhersteller zu einem führenden Anbieter für die Verarbeitung von Natur- und Chemiefasern zu Garnen. Dies ist ein strategischer Wendepunkt für Rieter und bietet Chancen.
Rieter wagt den Befreiungsschlag: Für 713 Mio. Fr. übernimmt der Winterthurer Textilmaschinenhersteller das Chemiefasergeschäft der Oerlikon-Gruppe.
Die Börse quittiert die Nachricht mit einem leichten Kursrückgang: Die Rieter-Aktien, die 2025 unter der schleppenden Erholung im Textilmarkt gelitten haben, verlieren am Dienstagmorgen 0,5%.
Finanziert wird die Übernahme zunächst über einen Überbrückungskredit von 400 Mio. Fr. Anschliessend sind eine garantierte Bezugsrechtskapitalerhöhung in gleicher Höhe sowie eine Privatplatzierung über 77 Mio. Fr. vorgesehen.
«Die Kapitalerhöhung ist substanziell, aber das klare Bekenntnis der Grossaktionäre Peter Spuhler und Martin Haefner wirkt vertrauensbildend», sagt Zana Mamelli, Analyst bei Baader Helvea. Der voraussichtliche Verschuldungsgrad von rund 3 (Nettoschulden/Ebitda) sei laut Rieter vorübergehend und durch positive Cashflows schnell rückführbar – ein Zeichen für eine solide Finanzierung.
Transformativer Schritt für Rieter
Mit Barmag verdoppelt Rieter seinen Umsatz nahezu: 2024 setzte Barmag 734 Mio. Fr. um, Rieter selbst kam auf 859 Mio. Fr. Der kombinierte Umsatz liegt mit 1593 Mio. Fr. auch über den Rekordverkäufen des Jahres 2022.
Noch bedeutsamer ist die strategische Neuausrichtung: Rieter wird künftig nicht nur führend bei Naturfasermaschinen sein, sondern auch im wachstumsstarken Chemiefasersegment.
«Die Übernahme von Barmag wirkt für Rieter wie ein Befreiungsschlag», sagt Walter Bamert, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Oder wie es Rieter-CEO Thomas Oetterli in der Medienpräsentation formulierte: «Mit der Übernahme ist Rieter der unangefochtene Marktführer in der Textilmaschinenindustrie.»
Zudem erzielte Barmag (2024: 11%) über den Zyklus eine leicht höhere Ebitda-Marge als Rieter (2024: 9,3%). Und das Geschäft mit Chemiefasern gilt als weniger konjunktursensibel.
Rieter und Barmag sind komplementär
Barmag ist führend bei Anlagen für die Herstellung von Chemiefasern und erlaubt es Rieter, sich seine Position in der Textilindustrie und im Markt für synthetische Fasern zu stärken. «Im Grunde genommen ist Barmag sehr komplementär zu Rieter. Das könnte sich Rieter zunutze machen», sagt Mamelli.
Die Naturfaserproduzenten – Rieters derzeitige Kunden – sind stark abhängig von Klima, Boden und traditionellen Anbaumethoden. Je nach Faserart dominieren bestimmte Regionen: So gehören China, Indien und die USA dank grosser Anbauflächen und günstiger Klimabedingungen zu den führenden Baumwollproduzenten.
Barmag entwickelt Spinnanlagen für Chemiefasern wie Polyester, Nylon und Polypropylen. Kunden sind Chemiefaserproduzenten, primär aus Asien – einem Markt mit hoher Nachfrage, niedrigen Kosten und staatlicher Förderung. Europa und die USA sind führend bei Spezialfasern und technologischen Innovationen.
Auch im Servicegeschäft bestehen Unterschiede: Während Rieter kontinuierliche Umsätze mit mechanischen und pneumatischen Ersatzteilen erzielt, ist Barmags serviceintensives Geschäft stärker projektgetrieben, mit Fokus auf hochtechnische Komponenten wie Extruder oder Spinnpakete.
Barmag bedient darüber hinaus ein breiteres Kundenspektrum – neben Bekleidung auch Anwendungen in Automobil, Infrastruktur, Verpackung, Medizin und Filtration.
Interessante Bewertung und klare strategische Logik
Der bezahlte Unternehmenswert (EV) entspricht dem 6,3-fachen des Ebitda – ein moderater bis attraktiver Wert für ein technologisch führendes Unternehmen mit überdurchschnittlichen Margen in der Branche und relativer Konjunkturresistenz. «Die strategische Komplementarität zur bestehenden Plattform schafft zusätzlichen Mehrwert», so Mamelli.
Die ausserordentliche Generalversammlung zur Genehmigung der Finanzierung ist für das zweite Halbjahr 2025 geplant. Über 50% der Kapitalerhöhung sind durch die beiden Hauptaktionäre bereits zugesichert, was dem Erfolg des Vorhabens wohl weitgehend den Weg geebnet hat.
Die Übernahme von Barmag markiert einen strategischen Wendepunkt für Rieter. Gelingt die Integration, dürfte das Unternehmen finanziell wie strukturell deutlich gestärkt daraus hervorgehen.