Im «Bistrot à Paris» zelebriert ein Wirtepaar am Zürcher Römerhof die französische Lebensart in wunderbar unaufgeregter Weise.
Kaum woanders liegen Verheissung und Ernüchterung so dicht beieinander wie in Paris: Es ist zu Recht seit Jahrhunderten bekannt für lukullische Höhenflüge, doch die Touristenfalle lauert hinter der nächsten Ecke. Und ausserhalb der Grande Nation gilt die klassische Cuisine française zwar weiterhin als Basis vieler Kochschulen, ist aber längst nicht mehr das Mass aller Dinge.
So mag es erstaunen, dass es in Zürich wieder in Mode gekommen ist, das Wort «Brasserie» im Namen zu führen – allerdings ohne die Speisekarte wirklich darauf auszurichten. Echt frankophile Lokale findet man vielleicht noch ein Dutzend, vom «Franzos» am Limmatquai über die nahe «Brasserie Lipp» bis zu «Le Rendez-vous» in der Enge, schräg vis-à-vis der Boulangerie «Juliette».
Vor gut zwei Jahren jedoch hat es am Fusse des Adlisbergs Zuwachs gegeben, und zwar als Bistrot deklariert. Das ist das Pendant zum helvetischen Beizlein, und wie das Beizensterben hierzulande wird an der Seine der dramatische Schwund der Bistrots beklagt. Deren Tradition bietet nun das «Bistrot à Paris» an der Asylstrasse ein Refugium, wenngleich der Platz Römer- und nicht Pariserhof heisst.
Das Wirtepaar Luc Manz und Marlis Bieri Manz hat sich hier mit Mitte fünfzig den Traum vom ersten eigenen Betrieb erfüllt. Sie hat ihr erstes Berufsleben im Pflegebereich verbracht, er ist ein ausgebildeter Koch, der auf die Pädagogik umsattelte und Sekundarlehrer wurde. Nun fanden die beiden, Zürich brauche endlich ein rechtes «Bistrot gastronomique», eine moderne Reverenz an Escoffier und Bocuse ohne Chichi. Unter dem Schlagwort «Bistronomie» wiederum wird in Paris gehobene Kochkunst mit zwanglosem Rahmen und moderaten Preisen verbunden. Solche bietet, für Zürcher Verhältnisse, auch das «Bistrot à Paris»: Für 75 Franken (fleischlos 65 Franken) lassen sich aus dem À-la-carte-Angebot eine Vor-, eine Haupt- und eine Nachspeise frei wählen.
Ein Hauch von Nostalgie durchweht das charmante, liebevoll eingerichtete Lokal, das auch ein Gärtchen bietet. Und die Gastgeberin bedient nicht einfach, sie umsorgt uns an diesem Abend mit Wärme, Witz und Weinwissen, das einen persönlichen Bezug zu Winzerfamilien offenbart. Französische Tropfen dominieren die Karte, offen wird aber etwa auch ein guter Bolgheri (Fr. 10.– / dl) ausgeschenkt.
Als Amuse-Bouche kommt eine feine Gougère, eine Art Käse-Windbeutel aus Brandteig mit Gruyère. Sie schmeckt formidabel, ebenso wie die bestellten Gerichte: Die Erbsensuppe ist herrlich erbsig, herzhaft die Quiche, die Begleiterin lobt auch die Nudeln mit Morcheln und Spargeln. Ein Bœuf bourguignon kommt in der kleinen Casserole und beweist: Im langsamen Garen liegt die wahre Kochkunst! Beim Kartoffelstock wird mit Butter nicht gespart, und als Supplément ordern wir mehr aus Gwunder denn aus Hunger die bei Steak-Frites aufgeführte Beilage: Besser können Pommes frites kaum sein.
Luc Manz hat sich unter anderem in der École Alain Ducasse in Paris weitergebildet, die Gästetoilette zieren persönliche Widmungen von Legenden, die ihn inspirieren: Familie Troisgros, Anne-Sophie Pic, Paul Bocuse . . . Diesem Erbe erweist Manz auch bei den Desserts gekonnt die Reverenz. Aus der Küche klingelt ein Glöcklein – L’Île flottante steht bereit: Die Spezialität, die man in Zürich kaum noch erhält, ist buchstäblich ein Ei-Land – ein mit Passionsfrucht-Mark gekröntes Eischnee-Inselchen schwimmt in Crème anglaise. Der Savarin au Rhum schliesslich, ein Artverwandter des Baba au Rhum, bezieht seinen Alkoholgehalt nicht von billigem Fusel, sondern vom Zuckerrohrschnaps der Aargauer Brennerei Humbel; in der hauseigenen Unkompliziertheit wird gleich die ganze Flasche auf den Tisch gestellt, damit Gäste den Hefeteig nach Gutdünken tränken können.
Vom vorher hier eingemieteten «Justus», einem Bioladen mit integriertem Lokal für «gerechten Genuss», hat sich das Paar zum Fokus auf Bioprodukte inspirieren lassen. Das ist gewiss löblich, allerdings würde es genügen, diesen Grundsatz einmal anzugeben und nicht fast jeden Eintrag mit dem Schlagwort «Bio» zu garnieren. Zumal Bio nicht immer besser ist: Beim Gin Tonic (Fr. 15.–) mit dem Bio-Gin White Socks (ebenfalls von Humbel) kommt das Tonic der «Organics»-Linie von Red Bull zum Einsatz, das definitiv nicht zu meinen Favoriten zählt.
Aber suchen wir nicht das Haar im Gin oder in der Suppe: Dieses hinreissend unprätentiöse Bistrot ersetzt zwar keine Reise nach Paris, hilft aber verlässlich darüber hinweg, wenn sie gerade nicht möglich ist.
Bistrot à Paris
Asylstrasse 79
8032 Zürich
Sonntags bis dienstags geschlossen
044 380 21 81
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
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