Das Unglück forderte zwölf Todesopfer und löste eine schweizweite Debatte über Sicherheit in öffentlichen Bauten aus. Eine Rekonstruktion mit bis jetzt unveröffentlichten Dokumenten und Augenzeugenberichten.
An jenem Abend des 9. Mai 1985 trainierte die Elite des Schwimmclubs Uster im Hallenbad – ambitionierte Jugendliche, die ihr Bestes gaben und auf den vier 25-Meter-Bahnen konzentriert ihre Längen schwammen. Vom Bassinrand aus gab ihnen der Trainer Philippe Walter Anweisungen. Vier waren bereits unterwegs, schon sprangen vier weitere ins Wasser und kraulten hinterher. Eine nächste Staffel stand bei den Sprungböcken, bereit für das Startzeichen.
Plötzlich schreckte ein lautes Geräusch die Schwimmenden auf. Ein Knirschen und Knallen war in der Halle vernehmbar. Der Trainer Walter machte den Bademeister auf den seltsamen Lärm aufmerksam. Er zeigte nach oben: «Stimmt da etwas mit der Decke nicht?» Der Bademeister zuckte die Schultern, winkte ab: Das Geräusch stamme wohl von einem Fussball, der draussen gegen die Hallenbadscheibe geknallt sei. Das komme manchmal vor. Die Decke sei unlängst überprüft worden. Da oben sei alles in Ordnung.
Das Hallenbad Uster war 1985 ein relativ neues Gebäude. 1972 war das Bad als erste Etappe eines künftigen Sportzentrums eingeweiht worden, ein eher schmuckloser und möglichst zweckdienlicher Betonbau. Schon bald offenbarten sich allerdings erste Mängel, die mehrere Renovationen und Verbesserungen notwendig machten.
Gäste klagten immer wieder, dass es in der Halle viel zu laut sei. Im Bad befand sich unterhalb des Daches eine an Eisenbügeln aufgehängte Betondecke, die sich über die ganze Fläche erstreckte und deren Funktion es war, die Lüftung und die Leitungen zu verdecken. Diese Aufhängung liess die Stadt Uster 1981 mit einer orangen Holztäferung verkleiden, um die Akustik und die Ästhetik in der Halle zu verbessern. Das Bad sei ein «Sorgenbau», urteilten die Medien, allzu rasch erstellt in der Zeit der baulichen Hochkonjunktur.
«Abtauchen!», rief der Trainer den Schwimmern zu
Um 20 Uhr 25 – etwa 20 Minuten nach dem ersten Krachen – begann es in der Halle wieder vernehmlich zu knirschen und zu knacken. Diesmal deutlicher, dringlicher. Der Schwimmtrainer Philippe Walter blickte nach oben. Sofort erkannte er die Gefahr. «Abtauchen!», rief er seinen Schwimmern zu. Da befand sich die grosse Betondecke bereits im Fall.
Selbst konnte er sich mit einem intuitiven Sprung zum geschützten Bademeisterhäuschen retten. Um Haaresbreite. Sekunden später, als Walter sich wieder umdrehte, war die Luft in der Halle voller Staub. Man sah kaum mehr die Hand vor Augen.
Die Betondecke war trotz ihrem Gewicht von 200 Tonnen nicht einfach augenblicklich heruntergefallen, wie ein Stein. Als kompakter Deckel hatte sie sich eher innert 10 bis 15 Sekunden «gesenkt» – vermutlich wegen des Luftwiderstands. Der Beton begrub alles unter sich.
Die Aussagen, die Überlebende später der Kantonspolizei zu Protokoll gaben, lesen sich beklemmend:
«Als ich so schwamm, kam etwas herunter. Ich wollte mit der Hand den Holzrost aufhalten, da ich dachte, dieser falle herunter. Danach schlug die Decke auf mich und tauchte mich unter Wasser. Ich schwamm irgendwie weiter. Mit dem Kopf stiess ich immer wieder an die Decke.»
«Als ich zum Luftholen auftauchen wollte, schlug ich den Kopf an etwas Hartem an. Ich konnte nicht auftauchen und schwamm dann mit fast berstenden Lungen Richtung Sprungbecken, weil ich dort einen Lichtschimmer wahrnahm.»
An vereinzelten Stellen liess die Betonplatte schmale Spalten mit Luft frei. Etwa dort, wo die Decke auf die etwas erhöht stehenden Sprungböcke oder den Sprungturm gefallen war. Auch beim Nichtschwimmerbecken gab es eine grössere offene Stelle – für viele eingeschlossene Schwimmer eine lebensrettende Lücke.
«Plötzlich wurde es dunkel, und irgendetwas war über mir. Ich bekam keine Luft mehr. Offenbar muss ich schnell an den Bassinrand gekommen sein, und dort hatte es noch einen kleinen Spalt breit Luft. Nach ungefähr einer halben Minute tauchte meine Schwester neben mir auf. Zu ihr sagte ich, sie solle sich ruhig verhalten. Bald darauf hörten wir draussen Rufe und Schreie. Es waren Kollegen von uns, die bereits draussen waren. Die sagten uns, wir sollten zum ‹Licht› schwimmen und dort herauskommen. Wir tauchten und schwammen zum Licht, und dort konnten wir aus dem Wasser steigen.»
Aus der Platz- und Badewartwohnung wurden umgehend die Rettungsdienste gerufen. Diese lösten Grossalarm aus. Einige Überlebende zögerten nicht lange und unternahmen sofort erste Rettungsversuche:
«Ich wusste ja, dass die andern unter dem Schutt sein müssen, geriet auch stark in Panik und wusste eigentlich nicht, was ich tat. Mit Werkzeugen oder Stangen schlugen wir auf die herabgestürzte Decke und wollten Löcher hineinschlagen. Es gelang aber nicht.»
«Bald darauf kamen Kollegen von mir, und zusammen wollten wir tauchen, um weitere Personen zu retten. Der Bademeister brachte eine Sauerstoffflasche. Schliesslich tauchte ich hinab und konnte noch zwei Schwimmer meines Klubs heraufholen. Die beiden atmeten aber nicht mehr.»
An jenem Abend befand sich zufällig eine Gruppe Sanitäter des Zivilschutzes ganz in der Nähe des Hallenbades. Sie waren mitten in einer grossangelegten, viertägigen Übung und warteten auf neue «Patienten». Eine Frau hielt mit ihrem Auto an. Sie kurbelte das Fenster herunter und rief den Zivilschützern zu: «Im Hallenbad ist die Decke heruntergefallen!»
Die Sanitäter lachten ahnungslos. Sie gingen davon aus, dass es sich um ein besonders originelles Übungsszenario handle. Niemand glaubte daran, dass es ein Ernstfall sei. Um zu ermitteln, was die Übungsleitung wohl diesmal im Schilde führte, sandten die Männer eine Erkundungspatrouille zum Hallenbad. Als die Zivilschützer an der Unglücksstelle eintrafen, waren sie fassungslos. Es verstrichen einige Minuten, bis sie überhaupt ansprechbar waren. Sie bestätigten das Unglück ihren Kollegen um 20 Uhr 50.
Im Hallenbad war es staubig, und es herrschte ein Durcheinander: Überall lagen Betonreste, verbogene Eisen, Glassplitter der zerborstenen Fensterscheiben und Holzreste der Deckenverschalung herum.
Die Verletzten wurden in einem kleinen Raum versorgt. Um Schaulustige abzuhalten, riegelten Helfer das Gelände ab. Sie organisierten Werkzeuge und Maschinen und begannen umgehend mit Presslufthämmern die Decke zu durchbrechen. Durch Löcher im Beton schickte man Taucher ins Wasser, die das Becken absuchten. Bald bargen sie die ersten Toten. Später, um 21 Uhr 30, schwand allmählich die Hoffnung, noch Überlebende zu finden. In einem nahen Geräteraum bei der Dammstrasse bereitete der Zivilschutz eine Totensammelstelle vor. Bis um 23 Uhr zählte man zehn Todesopfer.
Behördenvertreter erschienen bald vor Ort, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen. Im Scheinwerferlicht arbeiteten die Retter die ganze Nacht durch fieberhaft weiter. Unter der Leitung der Kantonspolizei waren insgesamt rund 350 Helfer im Einsatz.
Vor dem Hallenbad hatten sich unzählige Schaulustige versammelt. Wegen der Absperrung konnten sie die Bergung nur aus Entfernung verfolgen. Grosse Betroffenheit herrschte unter den Anwesenden. «Wie konnte das nur passieren?», war die Frage, die sich alle stellten. Und die doch niemand recht beantworten konnte.
Bis um 2 Uhr stieg die Zahl der Opfer auf zwölf an. Erst um 5 Uhr 30 waren sich die Rettungskräfte sicher, dass es keine weiteren Toten gab. Die Identifikation der Leichen gelang erst mit Verzögerung: Der Passepartout für die Garderobenschränke war nicht mehr auffindbar gewesen. Schliesslich musste man die Schränke aufbrechen. Erst um 8 Uhr waren die Opfer alle namentlich bekannt.
Nationale und internationale Medien berichteten tags darauf und auch in den folgenden Wochen intensiv über das tragische Unglück. Bundespräsident Kurt Furgler sendete der Stadt Uster ein Telegramm, in dem er seiner tiefen Betroffenheit Ausdruck verlieh. Es waren vor allem junge Menschen, die den Tod gefunden hatten. Die Opfer waren im Alter zwischen 12 und 38 Jahren, unter ihnen vier Schwimmer der Nachwuchselite, eine Mutter mit zwei Kindern sowie ein junges Ehepaar. Die Opfer stammten aus der Region: aus Dietlikon, Dübendorf, Greifensee, Ottikon, Pfäffikon, Uster, Volketswil und Zumikon.
Schon kurz nach dem Unglück waren in der Presse Vermutungen laut geworden, dass der Rost Schuld haben könnte am Deckensturz. Die 207 Bügel, an denen die acht Zentimeter dicke Betonplatte aufgehängt gewesen war, hätten eigentlich aus rostfreiem Chromnickelstahl bestehen sollen. Die aufgefundenen Bruchstellen zeigten aber eindeutig, dass zahlreiche Stangen von Rost befallen waren. Nachdem die ersten Bügel nachgegeben hatten und gerissen waren, musste es zu einer Kettenreaktion gekommen sein: Die verbleibenden Bügel waren unter der zunehmenden Last gebrochen, einer nach dem andern.
Die Ermittlung der Ursachen des Unglücks und die Frage der strafrechtlichen Verantwortung beschäftigten in den Monaten danach das ganze Land. Verunsichert stellten sich viele Bürger die Frage nach der Sicherheit in öffentlichen Bauten. Werden diese Gebäude sorgfältig genug gebaut? Finden nachträgliche Kontrollen statt? Und sind diese gewissenhaft genug?
Die Empa stellte ausführliche Untersuchungen an, mögliche Gründe des Deckensturzes wurden diskutiert und von allen Seiten beleuchtet. Am Ende kamen die Experten zu dem Schluss, dass beim Bau des Hallenbads Uster nicht wie angenommen gepfuscht worden war. Es liess sich einzig feststellen, dass der Architekt mit der Deckenaufhängung eine eher «unübliche Konstruktion» gewählt hatte, die es auch in keinem anderen Hallenbad in dieser Art gab.
Die Betonplatte war beim Bau rund zwölf Millimeter dicker gegossen worden, als dies in den Plänen eigentlich vorgesehen war. Wie statische Berechnungen zeigten, war dadurch der geforderte Sicherheitskoeffizient unterschritten worden. Durch das Gewicht der nachträglich montierten Holzverkleidung hatte sich dieser zusätzlich verschlechtert.
Das allein hätte laut den Experten allerdings nicht zwangsläufig zum Unglück führen müssen. Schuld waren vielmehr die Chlordämpfe im Hallenbad. Das Chlor griff dabei die Stahlträger an, die ja gleichzeitig unter hoher Zugspannung standen. Das Wissen, dass Chromnickelstahl unter bestimmten Bedingungen sehr wohl rosten kann, war zum Zeitpunkt des Baus im Jahr 1971 unter Baufachleuten im Allgemeinen nicht verbreitet. Bei Fachexperten wie Metallurgen oder Korrosionsfachleuten war das allerdings schon seit Jahrzehnten bekannt.
Wie die Öffentlichkeit später erfuhr, hatte ein Bauhandwerker im Juli 1984 – also knapp ein Jahr vor dem Unglück – bei Arbeiten im Hallenbad zufällig einen gerissenen Bügel entdeckt. Er meldete dies den vorgesetzten Stellen. Daraufhin inspizierten der bauleitende Architekt und ein Angestellter des Ingenieurbüros die Aufhängekonstruktion. Einige Bügel wiesen braune Flecken auf. Die Inspekteure schlossen aber – gemäss ihrem damaligen Kenntnisstand – Rost als Ursache aus. Sie kamen zu dem Schluss, dass der defekte Bügel wohl während der Bauphase gebrochen sein musste.
Der Bügel wurde repariert, und weiter wurde nichts unternommen. In ihrem Bericht an die Stadt Uster wurde die Reparatur auch nicht erwähnt. Die Untersuchenden hielten fest, die Deckenkonstruktion befinde sich in einwandfreiem Zustand.
Fachleute zu bedingten Gefängnisstrafen verurteilt
Als es später zu einem juristischen Verfahren kam, konnten die 1972 am Bau des Hallenbads beteiligten Personen wegen Verjährung nicht belangt werden. Zur Anklage kam es aber gegen die drei Fachleute, die 1984 nach der Inspektion die Ustermer Behörden informiert hatten, es sei alles «einwandfrei». Das Gericht verurteilte sie wegen fahrlässiger Tötung zu bedingten Gefängnisstrafen von einigen Monaten.
Der Deckensturz im Hallenbad Uster ist heute noch vielen Menschen in der Region in Erinnerung. Durch das Unglück wurden sich Behördenvertreter bewusster, wie hoch die Sicherheit in öffentlichen Bauten zu gewichten ist. Auch die Baubranche zog Lehren aus dem Fall – nicht nur in der Ausbildung von Baufachleuten, sondern auch, was die regelmässige Überwachung und den Unterhalt von Grossbauten betrifft.
Und die Überlebenden? Gleich nach dem Unglück war kein psychologisches Care-Team zur Stelle gewesen, das sich um sie gekümmert hätte – so wie das heute praktiziert wird. Wer den Deckeneinsturz überlebt hatte, war danach einfach nach Hause gegangen. Alle versuchten auf ihre eigene Weise mit den Geschehnissen fertigzuwerden. Im Schwimmclub Uster etwa thematisierte man das Vorgefallene nicht mehr, es wurde weitertrainiert. Das Leben musste weitergehen.
Annette Schär ist Kommunikationsberaterin und Autorin des lokalhistorischen Buches «Greifensee-Geschichten», das im Th.-Gut-Verlag erschienen ist. Dieser Text ist ein gekürzter Beitrag daraus.