Die ökonomische Vernunft hat sich kurzfristig durchgesetzt. Nun bleiben 90 Tage für eine umfassende Einigung. Um ihre Beziehung tatsächlich auf eine neue Grundlage zu stellen, müssten aber beide Seiten über ihren Schatten springen.
War es die schöne, beruhigende Sicht von der Residenz des Schweizer Botschafters bei der Uno auf die Alpen und den friedlichen Genfersee, die derart entspannend wirkte? Wir wissen nicht, wie viel die Guten Dienste der Schweiz an den Genfer Gesprächen zur soeben verkündeten Deeskalation im Handelsstreit zwischen den USA und China beitrugen. Vermutlich war es eine Mischung zwischen ökonomischer Vernunft und innenpolitischer Notwendigkeit, welche beide Parteien dazu bewog, ihre prohibitiven bilateralen Strafzölle vorerst wieder auf 30 beziehungsweise 10 Prozent zu senken.
Erst ein Waffenstillstand
Trotz aller Rivalität sind die beiden grössten Volkswirtschaften der Welt wirtschaftlich nämlich immer noch viel zu sehr verbunden, als dass ein plötzlicher Stillstand und die Umlenkung des bilateralen Handels Sinn ergeben würden. Die USA und China wollen zwar voneinander unabhängiger werden, aber die ökonomischen Kosten einer umfassenden Entkoppelung sind auf beiden Seiten viel zu hoch.
Trump muss sich vor einem kräftigen Inflationsschub und dem Wegfall eines wichtigen Abnehmers seiner Landwirte und der Agrarwirtschaft fürchten. China kämpft sowieso schon mit den Folgen der geplatzten Immobilienblase und den Schwierigkeiten, die sich dadurch für die hoffnungsvollen chinesischen Studienabgänger dabei ergeben, eine adäquate Stelle zu finden. Sollten nun auch noch all die Lohnarbeiter, welche Smartphones, Elektronik, Spielzeuge, Einrichtungsgegenstände und Schuhe für den amerikanischen Markt herstellen, ihre Stelle verlieren, käme das der chinesischen Führung sicher nicht gelegen.
Die am Montagmorgen verkündete Einigung zwischen den USA und China stellt deshalb einen erfreulichen Durchbruch der zumindest unmittelbaren wirtschaftlichen Vernunft dar. Sie ist aber vorerst vor allem ein ganz in trumpscher Manier gehaltener Waffenstillstand. Vereinbart wird – ähnlich wie Trump dies mit den anderen Ländern getan hat, gegen die er «reziproke» Zölle verhängt hat – eine Frist von 90 Tagen, während deren beide Seiten ihre prohibitiven Zölle aussetzen und zum Status vor der Eskalation in ihrem Handelsstreit zurückkehren.
Ähnlich wie schon beim «Phase One Agreement»
In den kommenden drei Monaten sollen intensive Diskussionen zu einer breiteren Übereinkunft führen, welche die Anliegen beider Seiten berücksichtigt. Zum Ende der Genfer Gespräche haben die chinesischen und die amerikanischen Verhandlungsführer gelobt, man verstehe sich besser. Der amerikanische Handelsbeauftragte Jamieson Greer erklärte, man sei zur Einsicht gelangt, dass die Differenzen zwischen den beiden Seiten vielleicht nicht so gross seien wie ursprünglich gedacht. Nun wolle man die Ursachen angehen, die zum Trumpschen «nationalen Notstand» geführt hätten.
Das hört sich ähnlich an wie vor den Verhandlungen, die in der ersten Präsidentschaft Trumps im Januar 2020 schliesslich zum sogenannten «Phase One Agreement» geführt hatten. Dieses sollte strukturelle Handelshemmnisse beseitigen. Zudem versprach China damals, für 200 Milliarden Dollar mehr als bisher Güter in den USA einzukaufen. Doch die Übereinkunft wurde nie richtig umgesetzt. Man kann darin mangelnden Willen sehen, aber auch die Corona-Pandemie, die dazwischenkam.
Es braucht mehr Vertrauen und Akzeptanz
Wenn die USA und China nun wieder dort ansetzen, wo sie unter Trump vor der Pandemie aufgehört hatten, so wird das in aller Dringlichkeit erneut die Frage stellen, wie ernsthaft die beiden Seiten tatsächlich ihr Verhältnis verbessern und die strukturellen Ungleichgewichte im bilateralen Handel beseitigen wollen und können.
Entscheidend wird dabei sein, ob und wie sehr die chinesische Führung unter Xi Jinping bereit ist, trotz aller Rivalität und systemischen Differenzen der amerikanischen Administration zu trauen und mit ihr ein konstruktives Verhältnis zu suchen. In den USA wiederum ist die zentrale Frage, ob sich entgegen allen sicherheitspolitischen Falken die Einsicht durchsetzt, dass der Aufstieg Chinas zu einer leistungsstarken, innovativen Wirtschaftsmacht nicht mehr aufzuhalten ist und man besser konstruktiv damit umgeht.
Xi und Trump verlangt das ziemlich viel Einsicht und Vertrauen ab. Die beiden selbstbewussten Staatschefs müssen regelrecht über ihren Schatten springen. Ob aus dem nun vereinbarten Waffenstillstand tatsächlich ein neues, friedliches Verhältnis zu beider Vorteil wird, ist deswegen noch alles andere als sicher. Vorerst bleibt dies Hoffnung, doch die Spitzengespräche vom Wochenende mit Aussicht auf den Genfersee haben der Weltwirtschaft zumindest eine willkommene Atempause verschafft.