Kinder und Jugendliche brauchen ein breites Spektrum an Nährstoffen, damit sie sich gesund entwickeln. Eine Ernährungsberaterin erklärt, wie das auch mit rein pflanzlichem Essen gelingt.
Leserfrage: Meine 15-jährige Tochter hat beschlossen, sich vegan zu ernähren. Worauf sollten wir achten, um eine Mangelernährung zu verhindern?
Laut dem Forsa-Ernährungsreport 2023 ernähren sich zwei Prozent der Deutschen vegan. Sie essen also keine Produkte tierischen Ursprungs: zum Beispiel kein Fleisch, keinen Käse und kein Joghurt, keinen Honig. Betrachtet man nur die 14- bis 19-jährigen Deutschen, sind es noch mehr, nämlich fünf Prozent. Von den Schweizern leben hingegen nur 0,7 Prozent vegan.
In Umfragen sagen Veganer, ihre Ernährung schmecke ihnen gut, zudem wollten sie Tiere, Umwelt, Klima und ihre Gesundheit schützen. Womit sich viele jedoch nicht ausreichend auseinandersetzen, sind die ernährungsphysiologischen Fragen, die der Verzicht auf tierische Produkte insbesondere im Jugendalter aufwirft. Denn der Organismus junger Menschen befindet sich noch in einer heiklen Entwicklungsphase.
Die potenziellen Risiken seien vielfältig und oft subtil, sagt Karolin Rose, die als Ernährungsberaterin am Universitäts-Kinderspital Zürich arbeitet. Besonders die Aufnahme von Vitamin B12 sei für sie ohne Supplementierung praktisch unmöglich, da es in tierischen Lebensmitteln vorkomme. Ein Mangel daran oder auch an Eisen könne zunächst unbemerkt bleiben. Er habe aber negative Folgen. Defizite könnten sich in Form von Müdigkeit, Konzentrationsschwäche oder nachlassender schulischer Leistung bemerkbar machen. Manche Symptome, wie Haarausfall infolge eines Zinkmangels, würden hingegen schneller sichtbar. Eltern sollten deshalb nicht zögern, sich beraten zu lassen. «Eine fundierte Ernährungsberatung ist unerlässlich», rät Rose.
Worauf vegan lebende Kinder und Jugendliche achten müssen
Bis jetzt gibt es nur wenige Studien, die die langfristigen Auswirkungen veganer Kost auf Wachstum und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beleuchten. Eine der Studien, die sich explizit mit der Nährstoffversorgung vegan lebender Jugendlicher befasst, ist die VeChi-Youth-Studie, durchgeführt zwischen 2017 und 2019 in Deutschland. Darin wurde das Ernährungsverhalten von 401 Kindern und Jugendlichen untersucht.
Vegan lebende Jugendliche entwickelten sich vergleichbar wie ihre Altersgenossen, die entweder vegetarisch lebten oder Fleisch assen. Doch die Veganer nahmen im Vergleich zu den anderen weniger Calcium zu sich. Der Verzicht auf Milchprodukte erschwert nämlich die Versorgung damit. Ein möglicher Ausweg sind mit Calcium angereicherte pflanzliche Alternativen.
Dass Veganer manches künstlich zuführen müssen, ist vielen ohnehin bewusst. Das gilt gerade für Vitamin B12. «Erfreulicherweise zeigt sich eine sehr hohe Compliance in der Vitamin-B12-Supplementation», erklärt Rose, «was dazu führt, dass dieser ‹berühmte vegane Risikonährstoff› in der Praxis nicht mehr so relevant ist.»
Als Ausgleich für einen ebenfalls möglichen Omega-3-Mangel eignen sich etwa Algenölkapseln, die die beiden essenziellen Omega-3-Fettsäuren DHA und EPA enthalten.
Viele Nährstoffe können Veganer auch über eine pflanzliche Ernährung aufnehmen. Eine wichtige Säule ihrer Ernährung sollten Eiweisslieferanten wie Nüsse, Vollkornbrot, Samen, Kerne und Sojaprodukte sein. Als Faustregel gilt laut Rose mindestens 0,9 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht. Zwar können pflanzliche Proteine vom Körper schlechter aufgenommen werden als tierische, aber laut Rose erhöht sich die sogenannte biologische Wertigkeit, wenn Veganer auf Abwechslung achten und verschiedene Eiweissquellen kombinieren.
Regelmässige medizinische Check-ups
Neben einer Ernährungsberatung sind bei Jugendlichen – und auch erwachsenen Veganern – regelmässige medizinische Tests notwendig, um Mangelerscheinungen vorzubeugen oder gegenzusteuern. Check-ups alle ein bis zwei Jahre bei vegan lebenden Kindern und Jugendlichen hält Karolin Rose für sinnvoll. Ein Hausarzt oder eine Fachpraxis kann die wichtigen Werte überprüfen. Zu den empfohlenen Parametern zählen der Eisenstatus (Hämoglobin, Ferritin), Vitamin B12, Jod, Zink sowie optional Vitamin D, Calcium, Selen und der Eiweissstatus.
Jugendlichen und ihren Eltern sollte klar sein: Nicht nur im Kleinkindalter, sondern auch in der Pubertät werden erhöhte Anforderungen an den Organismus gestellt. Der Bedarf an den genannten Nährstoffen ist in beiden Phase besonders hoch: Kinder brauchen Nährstoffe für die Entwicklung von Knochen, Muskeln, Gehirn und Immunsystem, später dann für weitere Wachstumsschübe, die hormonelle Umstellung sowie die körperliche und geistige Entwicklung als Jugendlicher.
Wer das beachtet, der kann die vegane Ernährung seines Teenagers gutheissen. Langfristig hat die Ernährungsweise sogar positive Auswirkungen: Wer sich pflanzenbasiert ernährt, entweder vegetarisch oder vegan, kann damit seine Cholesterinwerte verbessern und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern.
Eltern sollten das Thema also konstruktiv unterstützen und Wege aufzeigen, wie die Ernährung ausgewogen möglich ist, findet Rose. Dass sich Jugendliche aktiv mit ihren Essgewohnheiten auseinandersetzten, fördere zudem eine Haltung der Eigenverantwortung. Um auch den Rest der Familie zumindest an manchen Tagen für eine pflanzenbetonte Ernährung zu begeistern, könne der oder die Jugendliche einmal pro Woche ein veganes Abendessen zubereiten, schlägt Rose vor.