Cook, Kolumbus, Kant, Churchill: Die Giganten der Geschichte werden vom Podest gezerrt. In der Empörung, mit der sich die Aktivisten an ihren Feindbildern zu schaffen machen, zeigt sich der überhebliche Zorn der Selbstgerechten.
Es war fast so etwas wie ein Lynchmord: Vergangene Woche haben Unbekannte das Denkmal von James Cook in Melbourne zerstört. Am Morgen des 26. Januar, an dem Australien den Beginn der Besiedlung des Kontinents durch die Briten feiert, war das Podest im St.-Kilda-Park leer. Die Statue lag daneben auf dem Boden. Von der Skulptur stehen gerade noch die Füsse, sauber abgesägt, auf Knöchelhöhe. Auf dem Sockel steht: «Die Kolonie wird fallen», mit roter Farbe hingesprayt.
Rund zweihundertfünfzig Jahre nachdem Cook in Hawaii von Einheimischen ermordet worden war, haben ihn die Vandalen in Melbourne nun auch symbolisch getötet. Es war nicht das erste Mal, dass das Denkmal attackiert wurde. Und Cook ist nicht der Einzige, gegen den sich die Wut der Aktivisten richtet. Auch das Monument für die britische Königin Victoria in Melbourne wurde mit Farbe besprayt. Die Botschaft dahinter ist klar: Die Ankunft der Briten in Australien ist kein Grund zum Feiern. Australien soll sich von seiner kolonialen Geschichte lösen.
Der Denkmalsturz von Melbourne ist kein Einzelfall. Seit «Black Lives Matter» sind Vandalenakte an Denkmälern an der Tagesordnung. Von James Cook und Christoph Kolumbus über Kant und Bismarck bis zu Winston Churchill: Nicht nur in Australien, auch in den USA und Europa wird die öffentliche Präsenz der grossen alten weissen Männer zusehends als anstössig empfunden. Als Ausdruck eines Geschichtsbilds, das Europa als Mittelpunkt der Erde versteht und die Teilung der Welt in Weiss und Schwarz, in Herrscher und Beherrschte, augenfällig macht.
Das Bild eines Rassisten
Falls die Täter von Melbourne gefasst werden, dürften sie ihre Aktion auf die gleiche Weise rechtfertigen wie die Aktivisten, die im Juni 2020 in Bristol das Denkmal von Edward Colston, einem Philanthropen des 17. Jahrhunderts, im Fluss versenkten: Sie bekannten sich zur Tat, bestritten aber, einen Schaden angerichtet zu haben. Vor Gericht stellten sie sich als Wohltäter der Menschheit dar. Die Schleifung des Denkmals sei gerechtfertigt gewesen, argumentierten sie. In jeder Hinsicht.
Denn das wahre Verbrechen bestehe nicht darin, eine Statue zu beschädigen, sondern darin, mitten in der Stadt das Bild eines Rassisten und Mörders aufzustellen. Die Statue von Colston sei ein «Denkmal für den Rassismus». Indem sie sie abgerissen hätten, hätten sie einem Hassverbrechen ein Ende bereitet, sagte einer der Angeklagten: Mitten in Bristol ein derart bedenkliches Denkmal – das sei, wie wenn man einem Holocaust-Überlebenden eine Hitler-Statue vor die Nase stellen würde.
Der Vergleich ist verfehlt, aber ob Edward Colston (1636–1721) als Vorbild taugt, ist tatsächlich fraglich. Er war nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann und Politiker. Er war Sklavenhändler. Sein Vermögen machte er, indem er als Deputy Governor der Royal African Company gegen hunderttausend Menschen aus Westafrika in die Karibik verschiffte, um sie dort zu verkaufen. Tausende von ihnen starben bei der Überfahrt. Ihre Leichen wurden ins Meer geworfen. Dass Colston in der Inschrift des Denkmals als «tugendhaft und weise» bezeichnet wird, ist schwer verständlich.
Was als vernünftig galt
Die Ankläger am Prozess in Bristol verteidigten das Monument. Sie argumentierten, Colston sei ein Mann seiner Zeit gewesen. Er habe getan, was damals als erlaubt und vernünftig gegolten habe. Abgesehen davon, dass er ein grosser Wohltäter gewesen sei, der in seiner Heimatstadt Schulen, Kirchen, Spitäler und Armenhäuser gestiftet habe. Und vor allem: Sachbeschädigung bleibe Sachbeschädigung, unabhängig davon, an welchem Objekt sie begangen werde.
Zur Ehrenrettung von James Cook könnte man ähnliche Argumente vorbringen. Doch die modernen Bilderstürmer überzeugt das natürlich nicht. Im Gegenteil. Genau darum geht es ihnen. Mit ihren Aktionen wollen sie zeigen, dass sich das herrschende Geschichtsbild an Personen und Vorstellungen orientiert, die nicht nur veraltet, sondern kriminell sind, mörderisch. Und sie wollen der Gesellschaft vor Augen führen, wie verletzend und diskriminierend es ist, dass die Sklavenhalter und Kolonialisten vergangener Zeiten nach wie vor öffentlich geehrt werden. Auch in den Ländern, die unter ihnen gelitten haben.
Cook, Colston, Kolumbus: Aus heutiger Sicht waren das Rassisten, keine Frage. Wohl keinem von ihnen würde man noch ein Denkmal setzen. Und ihre Verdienste werden wesentlich nüchterner eingeschätzt als vor hundert Jahren, als man sie als Helden glorifizierte. Cook war ein starrsinniger Eroberer, dessen höchstes Ziel darin bestand, Länder für die britische Krone in Besitz zu nehmen. Colston ging über Leichen, solange die Geschäfte einträglich waren, und Kolumbus’ grosse Entdeckung war letztlich ein grandioser Irrtum.
Der Zorn der Gerechten
Für die Nachfahren der Menschen, die im 18. Jahrhundert in Afrika ihren Familien entrissen und verkauft wurden wie Vieh, ist es verständlicherweise unerträglich, wenn Sklavenhändler und Kolonialisten öffentlich gefeiert werden, auch wenn die Ereignisse, die sich mit ihnen verbinden, mehr als zweihundert Jahre zurückliegen. Als Repräsentanten demokratischer Werte taugen die Herren, die in Stadtpärken auf ihren Podesten thronen, in vielen Fällen wenig. Und manche Denkmäler haben ihr Verfallsdatum tatsächlich schon längst überschritten.
Zeugen ihrer Zeit bleiben sie trotzdem. Kein Bildersturm macht die Verbrechen der Vergangenheit ungeschehen. Und Geschichte lässt sich nicht verdrängen. Wo sie schmerzhaft ist, am allerwenigsten. Edward Colston bleibt in Bristol präsent, auch wenn an der Stelle seines Denkmals jetzt das Bild einer «Black Lives Matter»-Demonstrantin steht. Cooks Erbe lässt sich nicht im Hafen von Melbourne versenken, und der Rassismus ist nicht besiegt, auch wenn die Statuen des Bürgerkriegsgenerals Robert Lee in den amerikanischen Südstaaten geschleift werden.
Runter vom Sockel! – Die Forderung passt in eine Zeit, die verlernt hat, mit Ambivalenzen zu leben. Was stört, muss weg. Und was nicht bewundert werden kann, wird verdammt. Natürlich, Geschichte muss nicht gefeiert, sondern diskutiert, verhandelt werden. Nur, in der Empörung, mit der sich die postkolonialen Aktivisten an den Statuen ihrer Feindbilder zu schaffen machen, zeigt sich nicht der Wille zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern der überhebliche Zorn der Selbstgerechten. Die Empörung derer, die sich auf der richtigen Seite der Geschichte sehen.
Weg mit ihm!
Ihnen geht es nicht um Aufklärung, sondern um symbolische Rache. Der Denkmalsturz wird zum Event, medienwirksam inszeniert – am toten, wenn auch manchmal untauglichen Objekt. Deutschland hat keinen James Cook und keinen Edward Colston. Also rückt man Bismarck zu Leibe. Oder Immanuel Kant. Sein Denkmal in Königsberg wurde vor ein paar Jahren mit Farbe beschmiert. Die Linke applaudierte: Kant? Klar, weg mit ihm, dem alten Rassisten! Und vor allem: dem Theoretiker der Vernunft, die den Weissen nach postkolonialem Verständnis nur als Vorwand dient, um den Rest der Welt zu unterjochen.
Man kann Kant das eine oder andere vorwerfen. Unter seinen Bemerkungen zu fremden Völkern finden sich einige, die nach heutigem Verständnis als rassistisch gelten. Das ist das eine. Das andere, historisch Wichtigere wäre, dass er die Freiheit als höchstes Menschenrecht definiert und begründet hat – und zwar ausnahmslos und für alle Menschen. Cook war zweifellos ein Kolonialist. Aber man kann ihn auch als Vorreiter der Globalisierung sehen, der das Bild, das wir uns von der Welt machen, ein für alle Mal verändert hat.
Wer die Geister der Vergangenheit vom Podest zerrt, muss ihnen auch in die Augen schauen. Und den Blick aushalten. Churchill, dessen Standbild am Londoner Parliament Square immer wieder besprayt wird, war ein Imperialist, von den «unterworfenen Rassen» hielt er nicht viel. Das soll man nicht verschweigen. Doch ohne Churchill wären Grossbritannien und Europa nicht vom Faschismus gerettet worden. Damit, ihn vom Sockel zu stossen, ist nichts gewonnen.
Das Auffallendste an Denkmälern sei, dass man sie nicht bemerke, hat Robert Musil einmal geschrieben. Sie würden aufgestellt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Aber sie seien auf seltsame Weise gegen Aufmerksamkeit imprägniert. Man könne Wochen und Monate an ihnen vorbeigehen, ohne dass man Notiz von ihnen nehme.
Es müsse, folgerte Musil, «eine ganz ausgesuchte Bosheit» darin liegen, dass man grossen Männern Denkmäler errichte. Er hatte dafür nur eine Erklärung: «Da man ihnen im Leben nicht mehr schaden kann, stürzt man sie, gleichsam mit einem Gedenkstein um den Hals, ins Meer des Vergessens.» Das ist klug gesagt. Aber falsch. Der Furor, mit dem postkoloniale Aktivisten die grossen Männer der westlichen Geschichte vom Platz zu fegen versuchen, beweist das Gegenteil. Geschichte bleibt gegenwärtig. Auch in den Denkmälern, an denen wir achtlos vorbeigehen. Und das ist gut so.