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Startseite » Santiago Calatrava: «In der Notre-Dame begriff ich zum ersten Mal, dass die Architektur existiert – es ist das Licht, das sie zum Leben erweckt»
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Santiago Calatrava: «In der Notre-Dame begriff ich zum ersten Mal, dass die Architektur existiert – es ist das Licht, das sie zum Leben erweckt»

MitarbeiterVon MitarbeiterMai 17, 2025
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Eigentlich wollte der Architekt Santiago Calatrava Maler werden. Dann wurde er in der Kathedrale Notre-Dame in Paris zur Architektur bekehrt. Im Gespräch mit Roman Bucheli erzählt er, dass er trotzdem sein Leben lang gemalt habe und dass er in Zürich die besten Bedingungen für seine Lebens- und Arbeitsweise fand.

Wenn Santiago Calatrava spricht, dann ist alles in Bewegung. Seine Hände und Arme, vor allem aber seine Augen. Man muss ihn sehen, wenn er über den Zürcher Hauptbahnhof redet, über Rembrandts Bild «Die Rückkehr des verlorenen Sohnes» oder über Goya. Dann leuchten seine Augen, und er sagt «wahnsinnig schön». Mag das auch floskelhaft klingen, so kommt es doch aus innerster Betroffenheit und tiefster Überzeugung. Sein Enthusiasmus ist ganz genuin und erweckt den Eindruck, als habe er gerade zum ersten Mal die Schönheit solcher Werke entdeckt.

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Auf Fragen antwortet Calatrava, indem er lange ausholt. Er ist ein leidenschaftlicher Zeichner, aber auch ein ebenso hinreissender Erzähler, der seine Schilderungen gerne mit Zitaten französischer Denker und Künstler untermalt, im genauen Wortlaut, versteht sich. Und gleichgültig, wie lange er abschweift, immer findet er den Bogen dahin zurück, wo sein weitläufiger Gedankengang begonnen hat.

Dabei zeichnet er unentwegt in die Luft, und wenn das nicht reicht, was mehrmals geschieht, dann holt er Papier und Zeichenstift und beginnt zu skizzieren: die Stützmauern am Walensee zum Beispiel, die ihn zu den Konstruktionen beim Bahnhof Stadelhofen inspirierten, oder das Spielerische seiner equilibristischen Modelle, die er für seine Kinder geschaffen hat und mit denen er die Gesetze der Schwerkraft zu überlisten scheint.

Herr Calatrava, Sie sind ein weltweit tätiger Architekt, berühmt für kühne, elegante Brücken oder für spektakuläre Bahnhöfe. Wenige wissen, dass Sie auch als bildender Künstler tätig sind. Wie alle Kinder malten Sie, noch ehe Sie lesen und schreiben konnten. Erinnern Sie sich an Ihre frühesten Zeichnungen?

Ich erinnere mich an Farbstifte, ich brauchte als Kind sehr viel Gelb und Rot, es war eine richtige Obsession. Später wurde ich vertrauter mit Blau und Grün, auch Bleistifte mochte ich sehr. Die früheste Erinnerung reicht vermutlich zurück in den Kindergarten, ich war ein kleines Kind und malte mit Kreide auf die schwarze Tafel. Schon damals hatte man mich gelobt und ermutigt, was wichtig war. Daran erinnere ich mich sehr deutlich. Es hatte mich sehr bestärkt.

Erinnern Sie sich an die Sujets, die Sie gezeichnet haben?

Das Malen mit Kreide wiederholte sich in der Schule. Wenn ein Lehrer Geburtstag hatte, gab es stets eine kleine Feier. Ich fertigte dann zum Vergnügen meiner Mitschüler enorme Zeichnungen auf der Wandtafel an. Prägend jedoch war, dass wir damals zum Zeichnen häufig hinausgingen und nach der Natur malten. Ich erinnere mich an eine der Kirchen in Valencia mit einer aus blauen Ziegeln gebauten grossen Kuppel. Vermutlich war ich 11-jährig, als ich sie malte, und lange bewahrte ich das Blatt auf. Ich schaute es gelegentlich an und fand, es sei eine sehr gute Zeichnung.

Waren es hauptsächlich Gebäude, die Sie damals zeichneten?

Wir besuchten häufig Orte in der Nähe der Schule, die mitten in der Altstadt von Valencia lag. So zum Beispiel den sehr schönen Marktplatz aus dem 19. Jahrhundert mit seiner grossen Halle. Räume faszinierten mich damals sehr, auch den Hauptbahnhof zeichnete ich als Kind.

Offenbar hatte man Ihr Talent früh entdeckt, denn bereits mit acht Jahren erhielten Sie eine erste künstlerische Schulung. Wie kam es dazu?

Ich zeichnete sehr viel, eigentlich immer, wenn sich die Gelegenheit bot. Und vermutlich insistierte ich auch, ich erinnere mich, dass ich zu meinem Vater immer sagte, dass ich Maler werden wolle. Es war bei uns zu Hause häufig von Künstlern die Rede, obwohl niemand in unserer Familie künstlerisch tätig war. Aber man sprach über Bekannte, die malten, und man tat es immer mit grossem Respekt.

Entstand so eine frühe Faszination für die künstlerische Existenz?

Nicht in einem romantischen Sinne oder im Sinne der Bohème, aber erstens gab es eine Veranlagung und zweitens die Bewunderung in meiner Familie für bedeutende Künstler. Voller Ehrfurcht sprach man von ihren Werken, seien es Bilder von Velázquez, El Greco oder Goya. Ich hörte diese Namen ständig zu Hause. Und dann nahm mich mein Vater in Madrid in den Prado mit. Das war eine Offenbarung.

Zu der Anschauung im Museum kam dann die Ausbildung.

Als Jugendlicher, als Kind eigentlich, wurde ich in die Kunstschule aufgenommen. Dort habe ich meinen ersten Unterricht erhalten. Ich ging nach der Schule für vielleicht zwei Stunden in die Akademie, an fünf Tagen in der Woche. Ich traf auf angehende Maler, die viel älter waren als ich. Und ich konnte junge Leute beobachten, die hervorragend zeichneten und modellierten. Das beeindruckte mich sehr.

War damit auch Ihr weiterer Weg vorgezeichnet?

Mit sechzehn machte ich die Matura. Längst war ich entschlossen, Maler zu werden. Und ebenso klar war mir, dass ich nach Paris an die École des Beaux-Arts gehen wollte. Aber es war der Sommer 1968, und die Schule war geschlossen, von den Studentenunruhen im Mai 1968 wussten wir nichts. Als ich Ende Juni ankam, wurde gerade der Boulevard Saint-Germain asphaltiert, bis dahin gab es noch das alte Kopfsteinpflaster, das die Studenten aufgerissen hatten. Nach den Protesten herrschte eine interessante Stimmung, aber die École des Beaux-Arts existierte nicht mehr, sie blieb etwa zwei Jahre lang geschlossen, und es gab keinen Unterricht.

So hat also der Mai 68 dazu geführt, dass Sie nicht Künstler wurden, sondern Architekt?

Man könnte es so sagen, ja, trotzdem habe ich in Paris sehr viele Porträts gemalt. Ich habe während dieser Zeit in Paris bei «Les Petits Frères des Pauvres» gearbeitet, einer Organisation für ärmere, ältere Menschen. Nachmittags hatte ich frei, da malte ich Porträts der Gäste. Das waren meistens ältere Leute. Das war sehr interessant, weil diese Menschen eine ganze Geschichte in ihrem Gesicht mit sich herumtrugen. Dann zeigten sie einmal eine Auswahl dieser Porträts in ihren Räumen. Das war vermutlich meine erste Ausstellung. Aber ich habe nie aufgehört zu malen, die Malerei begleitet mich mein ganzes Leben, bis heute.

Wir zeigen in dieser Ausgabe einige zeichnerische und skulpturale Werke aus Ihrem bildnerischen Schaffen. Daran lässt sich leicht ersehen, dass das Bildnerische eine eigene Qualität hat. Es steht nicht in Abhängigkeit von Ihrer Arbeit als Architekt. Eher gilt das Umgekehrte. Entsteht Ihre expressive Architektur aus dem bildnerischen Schaffen?

Ich glaube, es geht immer darum, die Grenzen zu überwinden. Die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft und Wahrnehmung, sei es im Künstlerischen oder in der Architektur. Dazu gibt es Methoden – meine besteht darin, sehr viele Skizzen und Zeichnungen zu machen. Es kann dabei nicht ausbleiben, dass man die Zeichnungen und Skizzen als ein autonomes künstlerisches Werk zu betrachten beginnt, aber es ist zugleich der Weg, um über Hunderte von Skizzen oder Aquarellblättern eine gültige Form zu finden. Das repetitive und serielle Arbeiten bringt einen dorthin, wohin man gar nicht gelangen wollte. Auch Monet hat so gearbeitet. Er malt seinen Heuhaufen immer von neuem, er kommt damit an kein Ende.

Oder die Brücken im Londoner Nebel und Smog.

Und auch die Kathedrale von Rouen, 33 Mal, stellen Sie sich vor. Es ist wahnsinnig, aber es ist seine Methode. Wichtig ist, es gibt keine Rezepte. Man bekommt im Studium einen Rucksack, aber um darüber hinausgehen zu können, muss man die Instrumente aufbauen. Das kann einem niemand geben. Man kann sie sich nur in der Praxis erarbeiten.

Würden Sie sagen, dass etwas Metaphysisches geschieht, wenn Sie dahin gelangen, wohin Sie nie haben gehen wollen? Etwas, das sich unabhängig von Ihrer willentlichen Anstrengung vollzieht?

Es hat gewiss mit dem zu tun, was Matisse auf die Frage antwortete, ob er an Gott glaube. «Oui, quand je travaille.» Die Arbeit ist so gesehen ein Instrument, die das Physische ins Metaphysische erhöhen kann. Das ist mein System. In der letzten Zeit kaufe ich unablässig Papier. Ich will erst sterben, wenn ich alle diese Papiere aufgebraucht habe. Es ist fast, als gäbe ich mir eine «raison d’être».

Das Malen wäre also auch etwas, das Sie am Leben hält. Und trotzdem wurden Sie Architekt. Nach dem vergeblichen Versuch, in Paris in die École des Beaux-Arts aufgenommen zu werden, kehrten Sie zurück nach Valencia und wechselten dort von der Kunstschule bald in die Architektur. Was war geschehen?

Ich fand die Akademie in Valencia nicht besonders interessant. Ausserdem hatte ich in Paris etwas erlebt, was mich schlagartig in eine neue Richtung lenkte. Ich habe Ihnen von der Brasserie erzählt, wo ich im Sommer arbeitete. Am späten Vormittag hatte ich jeweils eine Pause, etwa gegen 11 Uhr, und natürlich hatte ich von der Kathedrale Notre-Dame gehört, man hatte uns davon im Unterricht eine Vorstellung gegeben. Aber dann kam ich einmal an einem späten Vormittag durch einen Seiteneingang und sah, wie das Sonnenlicht in die Kirche hereinfällt. Das war unfassbar schön und hat mich sehr berührt, ja getroffen. Zum ersten Mal begriff ich, dass die Architektur existiert – nicht durch sich selbst, es ist das Licht, das sie zum Leben erweckt. Das Licht und die Schönheit treffen aufeinander, das hat mich tief bewegt. Danach dachte ich, dass die Architektur vielleicht ein guter Kompromiss zwischen Kunst und Zeichnen sein könnte. Darauf trat ich in Valencia in die Architekturschule ein, wo das Zeichnen einen Schwerpunkt darstellte.

Der Mai 68 verhinderte den Künstler, das Erlebnis in der Notre-Dame brachte den Architekten hervor. So wie Sie es schildern, war es tatsächlich ein Erweckungserlebnis. Sind Sie eigentlich ein religiöser Mensch?

Bei Ihrer Frage muss ich an den Bildhauer Auguste Rodin denken. Es gibt ein phantastisches Buch von Rodin, es heisst «Entretiens réunis par Paul Gsell». Darin fragt er Rodin, ob er religiös sei. Und Rodin antwortet: «Si la religion n’existait pas, j’aurais eu besoin de l’inventer. Les vrais artistes sont, en somme, les plus religieux des mortels.» Im orthodoxen Sinne war er kaum ein religiöser Mensch, aber im geistigen Sinne gewiss. Denken Sie an sein «Höllentor» oder «Adam und Eva», er behandelte häufig biblische Themen, er hat auch eine sehr provozierende Skulptur mit Magdalena und Christus geschaffen. Darüber hinaus ist Religiosität eine geistige Haltung, die aus der blossen Materie etwas Neues, anderes hervorbringen will. Rodin hat mich aber immer auch durch seine Texte inspiriert, nicht nur durch sein Schaffen.

Er hat ja auch ein bedeutendes Buch über Frankreichs Kathedralen geschrieben.

Er hatte verschiedene Kathedralen besucht, jene in Reims und viele andere. Sie waren damals in Gefahr, fast hätte man auch die Notre-Dame in Paris zerstört. Man hat es in Liège gemacht, Liège hatte eine phantastische Kathedrale, die abgerissen wurde. Die Französische Revolution und die Kommune haben diesen Geist hervorgebracht, nach ihrer Auffassung mussten die alten Sachen einfach weg. Und dann kommt Rodin und veröffentlicht ein kleines Büchlein. «Les cathédrales de France». Er beschreibt darin die verschiedenen Kathedralen und macht sehr schöne Zeichnungen dazu. Und hier schreibt er dann diesen erstaunlichen Satz: «Ce jeu, cet emploi harmonieux du jour et de la nuit, c’est le but et le moyen, c’est proprement la raison d’être de tous les arts. N’est-ce pas, par excellence, l’architecture tout entière?» Und später heisst es auch noch: «La sculpture n’est qu’une espèce dans le genre immense de l’architecture.»

Das ist eine erstaunliche Aussage für einen Bildhauer.

Und noch erstaunlicher ist es, dass ein sehr begabter Architekt sie im 20. Jahrhundert wieder aufgreifen sollte. Er hiess Charles-Édouard Jeanneret, genannt Le Corbusier. Er schreibt, was uns nun ganz bekannt vorkommt: «L’architecture est le jeu savant, correct et magnifique des volumes assemblés sous la lumière.» Das ist Rodin! Corbusiers Verdienst war es, dass er Rodins Genie erkannt hatte. Es ist also interessant, dass ein Bildhauer die kanonische Definition für die Architektur des 20. Jahrhunderts gegeben hat.

Erkennen Sie sich als Architekt in Corbusiers und Rodins Beschreibung?

Zum Glück hatte ich Verwandte, die Bauern waren. Wer mit Bauern lebt, hat einen besonderen Bezug zur Natur und zum Land. Sie wollen es dann beschützen. Ich begreife die Architektur als Teil der Natur. Dabei befand ich mich immer in einer paradoxen Lage. Die meisten Bauaufträge erhalte ich von der öffentlichen Hand, so wurden Brücken und Bahnhöfe zu den dominanten Themen meines Werks. Nun sind solche Bauwerke extrem funktionalistisch, doch gerade mit dem Funktionalismus habe ich die grössten Schwierigkeiten. Allerdings zeigen genügend Beispiel aus der Geschichte, dass das Funktionale sowohl schön wie respektvoll gegenüber der Natur sein kann.

Woran denken Sie?

Nehmen Sie Robert Maillarts Brücke über das Salginatobel bei Schiers, die 1930 gebaut wurde. Das ist eine unfassbar schöne und elegante Brücke, die allein dazu dient, eine abgelegene Alp zu erschliessen. Oder schauen Sie sich in Paris den Gare de Lyon an mit dem Restaurant Le train bleu oder den Gare Saint-Lazare, den Monet gemalt hat. Auch der Zürcher Hauptbahnhof ist ein Meisterwerk, dessen grosse Halle hat eine geradezu römische Anmutung, als würde man Caracallas Therme betreten.

Was zeichnet gute Architektur aus?

Es gibt zwei Sachen, die sehr wichtig sind in der Architektur. Das eine ist die Landschaft, in der gebaut wird. Da haben wir viel gelernt. Das andere ist der Raum, da sind wir noch nicht, wo wir sein könnten. Wenn man in der zeitgenössischen Architektur von Luxus sprechen kann, dann findet man ihn da, wo Raum und Licht zusammenkommen.

Geben Sie uns ein Beispiel dafür.

Zürich hat einen Ort, wo Raum und Licht exemplarisch zusammenwirken. Es ist der Lichthof der Universität. Ich staunte, als ich ihn erstmals betrat. Denn man geht durch eine kleine Türe hinein. Dann erinnerte ich mich an die lateinische Inschrift «Per aspera ad astra». Das richtet sich an die Studenten der Universität: Ihr gelangt durch eine schmale Tür ins Licht des Wissens. Was ich damit sagen will: Es gibt ein Jenseits der Funktionalität, natürlich muss die Architektur funktionieren, aber Architektur ist auch ein Mittel, mit dem man sich ausdrücken kann, wie ein Maler, wie ein Bildhauer es machen kann. Bahnhöfe haben mir immer wieder die Gelegenheit gegeben, bedeutungsvolle Räume zu schaffen. Ich unternahm es in Liège, in New York, und vor kurzem wurde in der belgischen Stadt Mons ein neuer Bahnhof eröffnet.

Kann man sagen, das Bauwerk entstehe erst mit dem Licht, so wie Sie es in der Notre-Dame erlebt haben?

Vielleicht könnte man es so formulieren: Das Licht dematerialisiert das Bauwerk. So etwas Materielles wie Architektur braucht Tonnen von Stahl, Beton und Holz, Jahre der Arbeit mit der Materie. Die höchste Qualität der Bauwerke aber liegt im Immateriellen, im Licht und im leeren Raum. Bei Laotse heisst es, der Wert eines Gefässes liege nicht im Materiellen, sondern in der Leere des Hohlraums.

Ich finde es erstaunlich, dass Sie Laotse zitieren, von dem man nicht weiss, ob er eine Legende ist oder ob er als Philosoph und Mönch gelebt hat. Darum noch einmal die Frage: Sind Sie ein religiöser Mensch?

Sagen wir es so. Ich bin gläubig, ich glaube an eine spirituelle Welt, nicht nur an eine. Ich glaube an das Jenseits. Das ist schon sehr viel. Doch religiös im Sinne des Liturgischen, im Sinne des religiösen Geschehens, bin ich eher nicht. Lieber halte ich es mit Matisse: Ich glaube an Gott, wenn ich arbeite.

Ist das Malen darum auch ein religiöser oder mystischer Akt, weil dort geschieht, was ausserhalb Ihrer rationalen Kontrolle steht?

Was Rodin gesagt hat und auch Matisse, das ist für mich eine Lehre. Das ist der spirituelle Ort, wo ich mich finde. Es hört nicht auf damit, dass ich religiös erzogen worden bin. Vielmehr hat das Religiöse in der künstlerischen Praxis eine Fortsetzung gefunden. Le Corbusier hat es so formuliert: «Travailler n’est pas une punition, travailler c’est respirer!»

Das klingt sehr protestantisch.

Das spielt in dieser Hinsicht keine Rolle. Von meiner Mutters Seite her könnte ich auch Jude sein. Sie stammte von spanischen Juden ab, die vor 200 Jahren konvertieren mussten, aber trotzdem sehr mit ihrer Religion verbunden blieben, die christliche Kirche hatte ihnen diesen kleinen Freiraum gelassen. In der jüdischen Tradition bedeutet Arbeit Mitwirkung an der Vollendung der Schöpfung. Und sogar Gott ruht sich am siebten Tag aus. Man kann das übrigens auch an unscheinbaren baulichen Einrichtungen erkennen. Wenn Sie das Restaurant Kronenhalle in Zürich betreten, steht gleich beim Eingang ein Lavabo. Das heisst: Wer hier ausruht, kommt von der Arbeit und muss sich zuerst die Hände waschen.

Sie sind der Poet des Betons. Sie haben riesige Bauwerke aus Stahlbeton geschaffen, indem Sie das Gewicht der Materialität in schwebende, schwerelose Eleganz verwandelt haben. Sie haben in Valencia Architektur und an der ETH Zürich Ingenieurwissenschaften studiert. Wenn man Ihre Werke anschaut, könnte man denken, Sie seien Ingenieur geworden, um die Gesetze der Schwerkraft zu überlisten. Sind Sie so etwas wie ein romantischer Rationalist oder ein rationalistischer Romantiker?

Auch Einstein wurde übrigens einmal gefragt, ob er an Gott glaube. Seine Antwort war erstaunlich. Er glaube an den Gott Spinozas. Das ist grandios, denn Spinoza galt als Atheist. Das ist dialektisches und romantisches Denken in einem. Einstein stellte sich das Universum als etwas Geordnetes dar, er sagte: Gott würfelt nicht, er spielt nicht einfach. Es hat einen inneren Sinn. Und nun entwirft Einstein seine berühmte Formel: Energie ist gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat. Rationalität ist nicht alles. Ich habe an der ETH enorm viel gelernt, aber man muss das Wissen transzendieren.

Heisst das, die Grenzen der Theorie zu sprengen und zu überwinden?

Romantizismus setzt den intuitiven Menschen voraus. Er operiert jenseits der mathematischen Formeln mit einer emotionalen Form des Wissens. Das Studium ist wichtig, aber man muss sich aus dieser Welt auch wieder freischwimmen. Dabei hilft das Spielerische, das Scherzo oder Divertimento. Am Ende meines Studiums begann ich mich mit der Equilibristik zu beschäftigen. Ich konstruierte Spielzeuge für meine Kinder, das war die Fortsetzung konstruktiver Logik im Künstlerischen.

Dann dient Ihnen die Kunst auch dazu, Wege in eine Welt jenseits der reinen Materialität zu öffnen?

Vor einigen Jahren sah ich Rembrandts Bild «Die Rückkehr des verlorenen Sohnes» in der Eremitage in St. Petersburg. Er hatte es als eines seiner letzten Werke kurz vor seinem Tod 1669 fertiggestellt. Vor diesem Bild sind mir die Tränen gekommen, nicht nur, weil es technisch vollkommen und etwas Gewaltiges ist. Sondern auch, weil er sich selbst gemalt hat; der vor dem Vater kniende Sohn ist Rembrandt selber. Das erinnert mich an den spanischen Dichter, der über den Maler Fra Angelico gesagt hat, er habe den Himmel kniend gemalt. Ja, die Malerei öffnet andere Horizonte.

Von Goya, den Sie sehr verehren, gibt es ein Selbstporträt als alter Mann, er hat es mit einer Inschrift versehen: «Ich lerne immer noch», steht da. Gilt das auch für Sie?

Auf jeden Fall. Und Goya ist für mich sehr wichtig. Er gehörte zu den spanischen Künstlern, die im Ausland gestorben sind. Das Leben war für diese Künstler im Exil nicht einfach. Goya war bis zuletzt auf der Suche. Und diese kleine, anrührende Zeichnung spricht auch davon, die Hoffnung nicht aufzugeben. Das ist der Mensch im Exil.

Sie leben auch im Ausland, aber Sie fühlen sich in Zürich nicht im Exil?

Es ist mein Leben. Meine Vorfahren mütterlicherseits entschieden sich, in Spanien zu bleiben, obwohl sie konvertieren mussten. Das ist Teil meiner Geschichte, so wie die Schweiz Teil meines Schicksals geworden ist.

Sie arbeiten sehr viel und befolgen dabei einen klar geregelten Tagesablauf mit Tätigkeiten im Architekturbüro und am Zeichentisch. Das kommt mir vor, als würden Sie eine mönchische Existenz führen. Empfinden Sie es so?

Die Benediktiner hatten eine Regel: Ora et labora. Wenn Zürich ein Kloster wäre, dann hiesse die Regel für mich: Mora et labora. Lebe und arbeite. Mit der Ruhe hier in Zürich werden die Stunden und Tage lang, ich arbeite sehr gut und sehr viel. Und wenn ich nach Hause komme, mache ich Feuer im Kamin und arbeite weiter bis zehn oder elf Uhr. Es ist ein sehr guter Ort für meine Arbeit. Auch wenn viele es nicht glauben wollen, so habe ich hier länger als irgendwo anders gelebt. Das ist eine Tatsache. Und es ist wie mit meiner Frau: Ich lebe nicht das ganze Leben mit einer Frau, die ich nicht liebe. Man lebt auch nicht das ganze Leben in einer Stadt, zu der man keinen Bezug hat.

Sie sind unter Franco in Spanien aufgewachsen, als Sie studierten, herrschte er noch immer. War Zürich auch eine Befreiung?

Wissen Sie, hierherzukommen, c’était la gloire. Ich war vermutlich einer der ärmsten Studenten, aber ich habe sehr sparsam gelebt. Nur einen Luxus leistete ich mir: 160 Franken habe ich für die Musik ausgegeben. So viel kostete das Jahres-Abo für das Zürcher Kammerorchester, das damals von Edmond de Stoutz geleitet wurde. Er holte die bedeutendsten Solisten nach Zürich. Bruno Leonardo Gelber, Yehudi Menuhin und viele andere, auch Martha Argerich, als sie noch sehr jung war. Ich liebe die Musik, und so war das für mich ein grosses Geschenk. Über allem aber liebe ich die Ruhe und Konzentration in dieser Stadt. Es war von allem Anfang an ein sehr schöner Ort, eine hervorragende Wahl.

Hat Sie das Leben hier auch geprägt?

Ich wäre ein anderer geworden ohne diese Ruhe, dieses Klösterliche meiner Existenz in Zürich, ohne das Mönchische meiner Arbeits- und Lebensweise. Hier war es mir möglich. Und ebenso gilt das auch für die ETH. Das war eine grosse Offenbarung und Erleichterung nach den Jahren in Spanien, wo immer wieder die Polizei die Universität besetzte, wo Kollegen in Gefängnissen verschwanden, wo überall Spione lauerten. Die Nüchternheit in Zürich, die Stille und zugleich das Licht in dieser Stadt am See, das alles bedeutete eine Befreiung. Ich atmete wieder leichter. Hier erlebte ich den Aufbruch in eine neue Kunst, denn ich habe Architektur immer als Kunst verstanden.

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