Unsere Autorin wollte sich die Gebühren fürs teure Fitnessstudio sparen und wurde dabei zur Expertin für Fitnesstrends. Ein Parcours durch New York, wo alle süchtig sind nach Sport.
Eine Frau in Leggings, Pelzmantel und mit einem Paar dieser trendigen Holzzoggeli eilt vor mir die Strasse hinauf. Ein normaler Anblick in New York City. So sieht die durchschnittliche Stadtbewohnerin auf dem Weg ins Yogastudio aus. Alle sind modisch, bis auf mich. Ich schaue an mir hinunter: Turnhose, gekauft anno 2004 für etwa 20 Dollar, dazu ein Gratis-T-Shirt – es wirbt in Regenbogenfarben dafür, sich auf sexuell übertragbare Krankheiten testen zu lassen. Zumindest beim Sport bin ich mir für keine Kleidung zu schade.
Ich befinde mich seit zwei Jahren auf einer Sportodyssee durch New York City. Sie begann, als mein Fitnesszentrum in Chelsea die Mitgliedschaft von 200 auf 260 Dollar pro Monat erhöhte. Auf der Suche nach einer günstigeren Alternative fand ich damals die billigste: kostenfreie Probelektionen. Allein im Umkreis meiner Wohnung gibt es Hunderte von Studios. Sie bieten die abenteuerlichsten Kurse an: «Dynamic Body Pilates», «Soul Cycling» oder «Total Body Warrior Conditioning». Jede Woche wird hier eine neue Variation des ewig Ähnlichen eröffnet, für das man früher nur ein Wort brauchte: turnen.
Süchtig nach Sport
Im Ausland verbindet man den amerikanischen Lebensstil gerne mit Übergewicht, Diabetes und Autofahren, wenn das Ziel mehr als fünf Meter entfernt ist. Die New Yorker allerdings sind süchtig nach Sport. Einige tausend Fitnessstudios gibt es in dieser Stadt, die meisten USA-weit. Fast ein Fünftel aller Bewohner ist angeblich irgendwo dabei. Und dies trotz Preisen, die ebenfalls zu den höchsten landesweit gehören.
123 Milliardäre leben hier. Ich gehöre zwar nicht dazu; aber dass Sport gesund sein soll, ist auch zu mir durchgedrungen. Deswegen die Taktik mit den Probelektionen. Man kann mir nun vorwerfen, ich sei «cheap» oder sogar geizig, aber ich rede mir ein, den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Ich nenne es Studio-Hopping. Und immerhin gibt es sogar eine App, die mein Verhalten fördert, sie heisst «Class Pass».
Mit diesem und weiteren Angeboten in den sozialen Netzwerken hüpfe ich nun von Studio zu Studio. Ständig auf der Suche nach einer neuen Adresse finde ich mich doch fast jedes Mal im selben Szenario wieder: in einem stickigen Raum voller Frauen, die halb so alt und halb so schwer sind wie ich. Deren Uniform besteht aus farblich aufeinander abgestimmten Leggings sowie Tops, die man früher als Sport-BH unter etwas trug. Die «Wunder Train High-Rise Pants» der angesagten Marke Lululemon kosten 128 Dollar. Ich falle unter diesen potenziellen Sportartikelmodels aus dem Rahmen, aber niemand scheint mich je zu beachten. Wenn ich auf meine Weise sportlich angezogen bin, kommt mir diese Anonymität sehr entgegen. Ich will ja nicht gross auffallen als Studio-Hopperin.
Ist das hier eigentlich noch Yoga?
Manchmal muss ich trotzdem eine Frage stellen: «Warum muss es so laut sein?», beispielsweise. «Du kannst Oropax nehmen», heisst es dann. Oder: «Warum muss es so heiss sein?» – «Die Leute mögen das», lautet die Antwort. In der Gratiswoche von «Core Power Yoga» rutsche ich fast aus auf meiner schweissnassen Matte, am Ende lagen wir in der Totenstellung («Savasana») in unseren Pfützen. Der Gedanke an die Energieverschwendung macht mich im Hot Yoga aggressiv. Ich bin überzeugt davon, dass die Yogis in Indien froh wären um milde Frühlingstage, derweil hier tropische Klimazonen imitiert werden. Allergisch bin ich auch auf Wörter wie «detox» oder esoterische Ratschläge, die den Sprüchen auf Zuckerbeuteln gleichen.
«Bis ich jeweils begriffen habe, welche Gewichte und Bänder gerade an welchen Körperteilen angebracht werden müssen, ist die Übung halb vorbei.»
Doch dann lande ich auf meiner Odyssee bei Victor Colletti. Er trägt farbige, schlabbrige Tanks und Shorts zum halblangen Haar. Von der Figur her ähnelt er weniger einem Yogi als Buddha selbst. «Ich hoffe, dass ich nicht wie ein Archetyp aussehe, im Yoga geht es ja gerade nicht ums Materielle», sagt er, darauf angesprochen. In Victors Yogastunden ist die Musik von Madonna heilig und lautes Fluchen Teil der «practice». Das finde ich so seltsam wie witzig.
Madonna verkörpere für ihn Disziplin, Hingabe und Beharrlichkeit, wichtige Yogawerte, fährt er fort. «Sie kam mit nichts nach New York, kämpfte für ihre Kunst und veränderte die Welt.» Zur unorthodoxen Musik kommt allerlei «Hüft-» und anderes «Rumgewackel» hinzu, so dass ich mich am Ende frage: «Ist das hier eigentlich noch Yoga?» – «Hauptsache, es macht Spass», sagt Victor. Am Ende gehe es um Erleuchtung. Da klingelt er wieder, mein innerer Esoterikalarm. Vielleicht brauche ich etwas ganz Pragmatisches?
Trainieren mit Akin Akman
Liegestütze, Ausfallschritte, Rumpfbeugen und vorne ein kraftstrotzender Mann, der schreit. In einer fensterlosen Halle, Matte an Matte, praktiziert eine Armee von Sportlerinnen und Sportlern (hier sind die Geschlechter für einmal gut durchmischt) Übungen mit bis zu 15 Kilo schweren Hanteln. Das Tempo ist hoch. Die Lautstärke der Musik und die Belichtung in grellem Pink und Neonblau erinnern an eine Disco. An der Wand prangt das Logo, ein Doppel-A. Ich überlebe die fünfzig harten Minuten dank meiner Ungeschicklichkeit – denn bis ich jeweils begriffen habe, welche Gewichte und Bänder gerade an welchen Körperteilen angebracht werden müssen, ist die Übung halb vorbei.
Ich hätte es wissen müssen: Der Kurs heisst «Aarmy». Und so stelle ich mir ein Armeetraining auch vor. Der sympathische, muskelbepackte Gründer und Cheftrainer, Akin Akman – gemäss seiner eigenen Website gilt er weithin als «die Nummer eins unter den Gruppenfitnesstrainern der Welt» –, korrigiert meine Vorurteile leicht: «Aarmy» sei kein Work-out für Soldaten, sondern funktionales und mentales Training in einem, eine Basis für alles Weitere. Der Name «Aarmy» rühre daher, dass sich seine Kunden gerne scherzhaft als Teil seiner «Armee», also der «Akins Army», bezeichneten. Manchmal gibt er auch Workshops in der Schweiz – ich empfehle ihn nur auf eigene Gefahr.
Sport unter Strom
Die meisten mir bekannten New Yorker trainieren mehrere Male pro Woche, manche sogar täglich. So viel Zeit mag ich nicht in Fitness investieren. Mich zieht deshalb ein Kurs an, der ein Wunder an Effizienz verspricht: Sport unter Strom. Was aussieht wie das Milgram-Experiment, nennt sich «Electric Muscle Stimulation» (EMS). Eine Gratiseinführung offeriert «Iron Bodyfit». Zwanzig Minuten Training, angeschlossen an dem Gerät, entsprächen vier Stunden im Gym, behauptet der Studiomanager. Das funktioniere, weil mithilfe der elektrischen Impulse die Muskelfasern zu hundert Prozent belastet würden.
«EMS ist erwiesenermassen gut für den Muskelaufbau, aber schlecht fürs Portemonnaie.»
Als Erstes muss ich mich in einen Taucheranzug quetschen. Dann werden mir um Bauch, Beine, Po und Arme Bandagen gezurrt, die wiederum mit Kabeln verbunden sind. In dieser futuristischen Montur machen wir gute alte Turnübungen wie Kniebeugen, allerdings gegen mehr Widerstand. Auf einer Art Stehpult dreht der Trainer verschiedene Rädchen – Stromimpulse für meine Muskeln. «Bitte fest anspannen!» Wenn ich die vorgegebenen Bewegungen nicht genau befolge, fühle ich mich, als ob ein Marvel-Bösewicht mich mit einem Elektroschock-Zapper in einer Position gefroren hielte. Anfängerfehler! Es schmerzt nicht, aber angenehm ist es auch nicht.
Zwei andere Teilnehmerinnen stöhnen – nicht weil sie Schocks abbekommen, sondern weil es sehr anstrengend ist. EMS ist erwiesenermassen gut für den Muskelaufbau, aber schlecht fürs Portemonnaie. Und so viel effizienter als normales Krafttraining ist es auch wieder nicht, wie ich daheim nachlese.
Zwei Jahre und zweihundert Fitnesslektionen später sieht mir immer noch kein Mensch an, dass ich in meinem Leben ein Fitnessstudio von innen gesehen habe. Vielleicht sind es die Hormone, die Gene oder die Strafe für mein Studio-Hopping. Aber wenigstens bleibe ich in Bewegung und habe Spass wie bei einer Schnitzeljagd.
Heute habe ich die nächste Probelektion gebucht: für ein professionelles Stretching. Das Studio, Stretch Zone, hat mir per E-Mail freundlich mitgeteilt: «Your stretching journey starts soon!» Ein bisschen plagt mich mein schlechtes Gewissen schon, denn ich weiss: Für mich wird es nur ein Zwischenhalt.