Keine Branche beschäftigt so viele Lobbyisten in Washington wie die Pharmaindustrie. Derzeit bangen auch Roche und Novartis um ihre Pfründe in den USA: Präsident Donald Trump will tiefere Medikamentenpreise erzwingen.
Da wäre zum Beispiel dieser Berater der BGR Group, einer grossen Lobbyingfirma in Washington, D. C. Sein Werdegang ist typisch für die Branche: Der Mann hat schon mehrfach zwischen dem Parlamentsbetrieb und der Privatwirtschaft hin und her gewechselt. Er war Stabschef bei einem demokratischen Politiker, Lobbyist für den Restaurant-Verband und vorher Berater für verschiedene Parlamentarier.
Heute ist er bei der BGR Group für Gesundheitsthemen zuständig und war in dieser Funktion schon verschiedentlich für den Schweizer Pharmakonzern Novartis tätig.
Es sind Leute wie er, die derzeit in der amerikanischen Hauptstadt besonders gefragt sind. Seit US-Präsident Donald Trump Anfang Woche angekündigt hat, dass er eine radikale Senkung der Medikamentenpreise erzwingen will.
Denn wie heisst es doch im Claim auf der Website des Lobbyingunternehmens? «Wir sorgen für die richtige Mischung von Taktiken, um erfolgreiche Ergebnisse zu erzielen.» Die Firma bezeichnet sich als überparteilich, gilt aber als nahe bei den Republikanern.
Rätseln über Trump
Was im Moment «die richtige Mischung» ist, um Trumps Ideen abzuwenden, darüber rätselt die Industrie. An professioneller Unterstützung spart die Branche zumindest nicht.
Mit gegen 400 Millionen Dollar haben die Hersteller von Medikamenten und anderen Gesundheitsprodukten 2024 weit mehr für Lobbyarbeit ausgegeben als jede andere Branche.
Weit vorne mit dabei sind auch die beiden Schweizer Konzerne Roche und Novartis. Diese haben im vergangenen Jahr 10,7 beziehungsweise 6,2 Millionen Dollar dafür aufgewendet laut den Zahlen der Organisation Open Secrets, die öffentliche Daten zu den Lobbying-Ausgaben aufbereitet.
Mit diesen Ausgaben versuchen die Unternehmen, bei amerikanischen Politikern Unterstützung für ihre Anliegen zu gewinnen. Und das ist jetzt, wo Präsident Trump Big Pharma ins Visier genommen hat, besonders wichtig, denn es geht um viel. Roches Pharmadivision etwa erzielte 2024 mit fast 25 Milliarden Franken mehr als die Hälfte ihres Umsatzes in den Vereinigten Staaten. Bei Novartis sind es mit 21 Milliarden Dollar 42 Prozent des Umsatzes.
Alle Präsidenten sind gescheitert
Könnte Trump seine Ankündigung von Anfang Woche wahr machen, käme das für die Pharmafirmen einer Vertreibung aus dem Paradies gleich: eine Senkung der hohen Medikamentenpreise in den USA auf das Niveau anderer Industrieländer. Dort liegen sie oft um ein Vielfaches tiefer.
Die Tatsache, dass die zum Teil krassen Unterschiede bis heute Bestand haben, kann die Branche für sich als Lobbying-Erfolg verbuchen. Denn bis jetzt haben schon viele Präsidenten versucht, das Problem der hohen Preise anzugehen. Doch keiner hat es geschafft, es zu lösen.
Das hat eben auch damit zu tun, dass die Gesundheitsindustrie auf Verbündete unter den Kongressmitgliedern zählen kann – sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten.
Für die Bearbeitung der Politiker steht ein Heer von registrierten Lobbyisten bereit: Rund 1800 sind es allein für den Bereich Pharma und Gesundheitsprodukte. Zum Vergleich: Das sind mehr als drei Personen pro Mitglied des Repräsentantenhauses und des Senats. «Der Kongress wird von der Pharmalobby kontrolliert», sagt der US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Junior.
Lästern über Biden
Ein wichtiger Einsatzbereich für die Lobbyisten war und ist die Bekämpfung der Inflation Reduction Act, die noch aus der Amtszeit von Joe Biden stammt. Mit dieser Massnahme kann die Regierung ab 2026 bei zehn wichtigen Medikamenten tiefere Preise verordnen.
Eine der davon betroffenen Arzneien ist das Herzmittel Entresto von Novartis. Dieses war 2024 mit einem weltweiten Umsatz von 7,8 Milliarden Dollar das wichtigste Medikament für den Konzern. Seine Bedeutung wird aber aufgrund des Patentablaufs ohnehin bald abnehmen, weil dadurch die Preise wegen der Generika-Konkurrenz sinken.
Trump liess bei seinem Auftritt am Montag denn auch kein gutes Haar am von Biden aufgegleisten Programm. Doch nun muss er erst einmal beweisen, dass er in Sachen Senkung der Medikamentenpreise mehr erreichen kann als sein Vorgänger.
Wie er das bewerkstelligen will, ist unklar. Zumal der Versuch Trumps für eine Meistbegünstigungsregelung in seiner ersten Amtszeit gerichtlich gestoppt wurde. Schon damals wollte er damit die Preise für Medikamente in den USA an jene im Ausland anpassen.
In der Branche verfällt man deshalb noch nicht in Panik. Die Pharmaunternehmen ihrerseits werden kaum in vorauseilendem Gehorsam grosse Preissenkungen anbieten. Vielmehr werden ihre Lobbyisten, wo sie nur können, darauf hinweisen, dass neue Medikamente für Patienten in den USA oft Jahre früher verfügbar sind als anderswo.
Auch die wirtschaftliche Bedeutung von Big Pharma für den Standort USA werden die Lobbyisten ständig betonen. So hat etwa Roche bereits angetönt, dass sie ihre angekündigten Investitionen von 50 Milliarden Dollar in den USA bei einer Einführung des neuen Regimes wohl nicht in vollem Umfang finanzieren könne.
Was ist der «faire» Preis?
So oder so hat Gesundheitsminister Kennedy eine knifflige Aufgabe: Das fängt schon mit der schieren Menge an Medikamenten an, für die sich seine Behörde einen «fairen» Preis im weltweiten Vergleich ausdenken muss. Denn schon in 30 Tagen soll sie mit konkreten Forderungen bei den Pharmafirmen aufkreuzen.
Dazu kommt: Ein Preisvergleich ist insofern schwierig, als es sich bei den grossen Unterschieden zwischen den USA und Europa um Listenpreise handelt. Der effektiv bezahlte Preis kann aufgrund von Rabatten auf beiden Seiten deutlich tiefer sein – oder der Unterschied weniger krass, als es den Anschein macht. Das Problem ist, dass solche Preisnachlässe oft geheim sind.
Doch möglicherweise sei Trumps Ankündigung ohnehin weniger als eine radikale Systemänderung zu sehen, heisst es aus Pharmakreisen. Sondern eher als eine Art Ouvertüre zu einer grossen Verhandlungsrunde, bei der man mit hohem Einsatz einsteigt und sich dann irgendwo bei einem gemeinsamen Nenner findet – einem Deal, für den alle irgendwelche Konzessionen machen.
Bei dieser Einschätzung mag Zweckoptimismus mitspielen. Tatsache ist aber: Trumps Handhabe, um Preissenkungen durchzusetzen, ist begrenzt. Eigentlich wollte das Weisse Haus die Meistbegünstigtenklausel für die Medikamentenpreise in einen Gesetzesvorschlag zum Budget packen und so vom Kongress gutheissen lassen. Doch das hat bisher nicht geklappt – offenbar wegen des Widerstands aus den Reihen der Republikaner, wie US-Medien schreiben.
Es ist also fraglich, wie viel Trump effektiv gegen die Pharmafirmen in der Hand hat, um diesen Zugeständnisse abzuringen. Für den Fall, dass es keine signifikanten Fortschritte gebe, bleibt die Executive Order vage. Dann müsse eben der Gesundheitsminister einen Plan vorschlagen, wie man tiefere Preise durchsetzen könnte, heisst es dort einfach.
Als zusätzliche Drohung stellt Trump die Möglichkeit von Parallelimporten für Medikamente in den Raum. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie bei dieser Regierung, die sich für ihren Kampf gegen das Aussenhandelsdefizit rühmt.
Statt den «Mördern» die «Mittelsmänner»
Bemerkenswert ist, wie sich Trumps Rhetorik gegenüber der Pharmaindustrie im Vergleich zu seiner ersten Amtszeit als Präsident geändert hat. Damals hatte er die Hersteller ganz zu Beginn in einer Pressekonferenz mit Mördern verglichen, weil Patienten aufgrund der hohen Preise nicht an die nötigen Medikamente kämen.
Diese Woche hörte sich das ganz anders an. Er wolle ja eigentlich nicht auf der Pharmaindustrie herumhacken, sagte er. Viel schlimmer seien die europäischen Länder, welche die Firmen zu Rabatten zwängen.
Als gemeinsamen Feind hat Trump zudem die «Mittelsmänner» identifiziert. Damit meint er die Zwischenhändler, welche die Rabatte, die ihnen die Pharmafirmen gewähren, nicht vollständig an die Patienten weiterreichen. Doch diese mächtigen Akteure werden es nicht kampflos hinnehmen, wenn ihnen ihre Pfründen weggenommen werden. Ihre Lobbyisten haben sie schon längst in Stellung gebracht.