Die Trennung des Serben von Andy Murray zeigt nur eines: Die ehemalige Nummer 1 kämpft mit der Motivation. Djokovic hat sich müde gesiegt.
Anfang Januar, ein paar Tage ehe mit dem ATP-Cup in Perth das Tennisjahr begann, postete Novak Djokovic ein Video auf den sozialen Plattformen. In diesem liess der Serbe seine Anhänger wissen: «Ich bin, wie ihr alle wohl auch, enorm aufgeregt und gespannt darauf, was das neue Jahr bringen wird.»
Mit 37 Jahren steht der 24-fache Grand-Slam-Sieger im letzten Abschnitt seiner aussergewöhnlichen Karriere. Eines der wenigen Ziele, die er an diesem Punkt noch verfolgt, ist der alleinige Major-Rekord, den er derzeit noch mit der Australierin Margaret Court teilt. Dazu wartet Djokovic auch auf seinen 100. Titel auf der ATP-Tour, dem er mittlerweile seit über einem Jahr hinterherjagt. Seit dem Sieg gegen Jannik Sinner an den World-Tour-Finals im November 2023 hat der Serbe mit einer Ausnahme in jedem Turnier früher oder später verloren. Die Ausnahme war Olympia in Paris, das allerdings nicht zur ATP-Tour zählt.
Tennis produziert mehr Verlierer als Sieger. Und doch ist Djokovics Durststrecke erstaunlich für einen Spieler, der während mehrerer Jahre praktisch jedes Turnier gewann, zu dem er angetreten war. Auch deshalb hat er Andy Murray nach dessen Verpflichtung mit folgendem Post willkommen geheissen: «Wir haben gegeneinander gespielt, seit wir Kinder waren. Wir haben uns gegenseitig an unsere Grenzen gebracht. Wir haben einige epische Duelle in unserer Sportart gegeneinander bestritten. Ich dachte, unsere gemeinsame Geschichte sei vorbei. Doch es zeigte sich, wir haben ein letztes Kapitel zu schreiben. Willkommen in meinem Team, Andy Murray.»
Eine ungewöhnliche Niederlagenserie
Nun, nur ein knappes halbes Jahr später, kommuniziert der Serbe über dieselben Kanäle das Ende der Zusammenarbeit mit dem Schotten. Er schreibt: «Vielen Dank, Coach Andy, für all die harte Arbeit, den Spass und die Unterstützung in den letzten sechs Monaten auf und neben dem Platz. Es hat mir wirklich Freude gemacht, unsere Freundschaft zusammen zu vertiefen.»
Die Freundschaft zu vertiefen? Darum ist es wohl nicht gegangen in den letzten paar Monaten. Murray und Djokovic sind im Mai 1987 mit genau nur einer Woche Abstand zur Welt gekommen. Seit dem Juniorenalter haben sich die Wege der beiden immer wieder gekreuzt.
Dass sich Djokovic an seinen alten Rivalen erinnert hat, hat nicht zuletzt mit der ungewöhnlichen Niederlagenserie zu tun. Er verliert immer öfter gegen Spieler, die ihn noch bis vor kurzem kaum vor ernsthafte Probleme gestellt hätten. Im laufenden Jahr hat er 7 von 19 Partien verloren. Seine letzten Bezwinger hiessen Alejandro Tabilo in Monte Carlo und Matteo Arnaldi in Madrid. Erstmals seit 2018 hat er drei Partien in Folge verloren. Im Ranking liegt der ehemalige Weltranglistenerste noch auf Platz 6.
In Madrid sprach er desillusioniert von einer «neuen Realität». Auf die Teilnahme am ATP-1000-Turnier in dieser Woche in Rom, das er bereits sechsmal gewonnen hat, verzichtet er. Stattdessen hat er wie schon vor einem Jahr eine Wild Card für das 250er-Turnier von kommender Woche in Genf akzeptiert. Er hofft wohl, an diesem weniger stark besetzten Anlass etwas Spielpraxis vor dem zweiten Grand-Slam-Event zu sammeln, der in einer Woche in Roland-Garros beginnen wird.
Wer in Genf und Paris an seiner Seite sein wird, ist noch offen. Ebenso wie die Frage, wie lange Djokovic noch gewillt ist, als Schatten seiner selbst durch den Tenniszirkus zu reisen. Nach seiner Trennung von Murrays Vorgänger Goran Ivanisevic hatte er offen darüber sinniert, ob es wirklich noch nötig sei, einen Coach zu beschäftigen; vorübergehend reiste Nenad Zimonjic mit ihm.
In verschiedenen Foren wurde darüber spekuliert, ob wohl als Nächster Roger Federer der Coach des Serben werden würde. Das war mehr ein Witz als ein ernsthafter Gedanke. Doch es zeigt, in welchen Sphären Djokovic und seine Anhänger mittlerweile denken. Statt auf Federer fiel die Wahl dann auf Andy Murray.
Es war nicht das erste Mal, dass Novak Djokovic mit einer überraschenden Trainerwahl von sich reden machte. 2013 hatte er kurz nach Weihnachten Boris Becker in sein Team geholt. Das ungleiche Duo funktionierte überraschend gut und arbeitete drei Jahre zusammen. In dieser Zeit gewann Djokovic sechs Major-Turniere. Djokovics Erfolgsserie setzte sich auch nach der Trennung von Becker weiter. Er sammelte Titel um Titel, nichts und niemand schien ihn stoppen zu können.
Djokovics Trainerverschleiss war bisher nicht überdurchschnittlich. Jahrzehnte lang hatte er mit Marian Vajda zusammengearbeitet. Mit dem Slowaken gewann er 85 seiner 99 Titel. Vajda war bei 20 der 24 Grand-Slam-Titel an der Seite des Serben. Mehr noch als sein Coach war er eine Art väterlicher Berater.
Federer beispielsweise hat in einer ähnlichen Zeitspanne mit mehr Betreuern zusammengearbeitet. Der Südafrikaner Peter Carter war sein erster wirklicher Förderer und eine nahe Bezugsperson. Auf ihn folgten Peter Lundgren, Tony Roche, Paul Annacone, Stefan Edberg und Ivan Ljubicic. Einzige Konstante blieb Severin Lüthi, der ab 2007 bis zum Karriereende im Herbst 2022 an der Seite von Federer arbeitete. Der Berner war nicht nur sein Coach, sondern auch sein Freund.
Doch wie beim Schweizer fragte man sich auch bei Djokovic immer wieder: Wie gross ist der Einfluss des Coaches auf die Erfolge seines Schützlings wirklich? Die wenigsten Spieler haben ein ähnlich enges Verhältnis zu ihrem Trainer, wie zum Beispiel Rafael Nadal zu seinem langjährigen Coach und Onkel Toni.
Federer, Nadal, McEnroe – drei Spieler, drei Überzeugungen
Lüthi sagt, die Aufgabe eines Coaches sei es, frische Impulse einzubringen. Er sei überrascht gewesen, wie schnell sich Djokovic und Murray wieder getrennt hätten: «Aber grundsätzlich weiss ich zu wenig über ihre Zusammenarbeit, um mir ein Urteil zu erlauben. In dieser Phase der Karriere, in der Djokovic steht, geht es nicht zuletzt noch darum, eine Motivation zu finden. Er hat schon so viel gewonnen.»
Auch aus diesem Grund hatte Federer in der letzten Phase seiner Karriere sein Jugendidol Stefan Edberg in sein Umfeld geholt. Andere Topspieler wie der Amerikaner John McEnroe verzichteten gänzlich auf einen Coach. Im Podcast «Here’s the Thing» erzählte der New Yorker einmal: «Coaching kann überbewertet werden, und manchmal kann es auch kritisch sein. Ich hatte keinen Coach, der mit mir gereist ist. Ich mochte das nicht.»
Je älter ein Spieler wird, desto stärker verändert sich die Rolle seiner Begleiter. Die Episode mit Murray in Novak Djokovics Box war wohl nicht mehr als ein schmuckes Detail, möglicherweise auch der Ausdruck einer gewissen Ratlosigkeit. Über Jahre gelang Novak Djokovic alles. Nun ist eine neue Generation angekommen, die ihn wohl auf Dauer verdrängen wird. Verhindern kann das niemand.
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