Raphaël Tschanz vermutet, dass nun weitere Unternehmen den Kanton Zürich verlassen werden.
Das Zürcher Stimmvolk hat klar entschieden: Es ist gegen eine Senkung der Gewinnsteuern. 54,5 Prozent der Bevölkerung legten ein Nein in die Urne, selbst in wirtschaftsfreundlichen Gemeinden war die Gegnerschaft grösser als erwartet. Raphaël Tschanz ist Direktor der Zürcher Handelskammer, die die Kampagne für die Reform geleitet hat – und unterlegen ist.
Raphaël Tschanz, das Nein heute war deutlich, obwohl der erste Schritt zur Umsetzung der Unternehmenssteuerreform 17 im Jahr 2019 noch angenommen wurde. Sind Sie überrascht?
Wir bedauern das Resultat sehr, wir haben hart gekämpft und uns extrem engagiert mit einem beherzten Abstimmungskampf. Deshalb sind wir natürlich sehr enttäuscht, dass es uns nicht gelungen ist, mit unseren Argumenten zu überzeugen.
Ihre Handelskammer führte die Kampagne an. Tragen Sie die Verantwortung für die Niederlage?
Es war eine breite Allianz aus Verbänden, Organisationen, SVP, FDP, GLP und der Mitte, die die Kampagne getragen hat. Wir haben alle an einem Strang gezogen und haben versucht, unsere jeweilige Basis zu überzeugen. Die Verantwortung, wenn man so möchte, tragen wir zusammen.
Es sind also alle ein bisschen schuld.
Ich würde nicht von Schuld reden. Es ging darum, die Wählerinnen und Wähler von unseren Argumenten zu überzeugen. Das ist uns offenbar nicht gelungen. Von Schuld zu sprechen, finde ich nicht angebracht.
Und doch: Die Wirtschaftsverbände haben selbst in wirtschaftsfreundlichen Gemeinden Unterstützung verloren. Beispielsweise hat Stäfa am rechten Seeufer die Vorlage abgelehnt. Das muss Ihnen doch zu denken geben.
Den Wirtschaftsverbänden, ja, aber vor allem auch den Parteien. Sie müssten schliesslich ihre Basis überzeugen. Es gab Landgemeinden, bürgerliche Hochburgen, die die Vorlage abgelehnt haben. Da gilt es jetzt zu analysieren, warum die Wählerinnen und Wähler nicht überzeugt werden konnten.
Was denken Sie, was der Grund war?
Es geht dem Kanton gut. Wir haben Vollbeschäftigung, Überschüsse in der Rechnung. Das könnte ein Grund gewesen sein, dass die Stimmbevölkerung nicht das Gefühl hatte, dass es Handlungsbedarf gibt. Aber das ist reine Spekulation.
War es ein Fehler, die Kompensationsmassnahmen aus der Vorlage zu streichen?
Zu glauben, dass die Vorlage mit der Erhöhung der Dividendenteilbesteuerung weniger stark bekämpft worden wäre, ist ein Irrtum. Links hätte genau den gleichen Abstimmungskampf mit den gleichen Argumenten geführt.
Vielleicht hätten Sie stärkere Gegenargumente gehabt.
Nein. Es wären vor allem kleinere und mittlere Unternehmen von der Dividendenteilbesteuerung betroffen gewesen, die im Besitz der Eigentümer sind. Dann hätten wir dort eine grössere Gegnerschaft gehabt.
Wie geht es jetzt weiter?
Es werden weiterhin mehr Unternehmen den Kanton verlassen, als zuziehen. Das bedeutet einen Verlust von Steuersubstrat. Steuern sind aber nicht der einzige Standortfaktor. Auch die Belastung der Unternehmen durch Regulierungen und Gebühren ist wichtig. Da müssen wir eine saubere Bestandesaufnahme machen. Dann müssen wir schauen, wo es Entlastungsmöglichkeiten durch die Digitalisierung gibt. Ausserdem beobachten wir, dass die öffentliche Hand die Privatwirtschaft zunehmend konkurrenziert – etwa auf dem Arbeitsmarkt, durch ihre Konditionen für Mitarbeitende. Da müssen wir ansetzen.