Die britische Künstlerin, Performerin und Ethnologin sorgt in ihrer Ausstellung für ein ganz neues Besuchererlebnis. Und zitiert viel aus Kunst und Film.
Sie ist der Fellini der Kunst und hat als Performerin den Humor von Monty Python. Und weil die seit je von den verrücktesten Einfällen und absurdesten Bildfindungen getriebene Britin schon als junge Frau in Night-Clubs wilde Performances aufführte, erhielt sie von ihren Freunden den liebevoll gemeinten Spitznamen «Monster». Sie selber schätzt sich so ein: «Ich bin sehr hartnäckig, ich arbeite immer, ich produziere immer, ich bin unaufhaltsam einfallsreich und sehr verspielt, und ich lache eigentlich die ganze Zeit, also bin ich in gewisser Weise ziemlich monströs.» Ihre jetzige Ausstellung im Kunsthaus Zürich monströs zu nennen, wäre allerdings fast schon eine Untertreibung.
Die 1973 in London als Alalia Chetwynd geborene Künstlerin, die als Monster Chetwynd international Furore macht, ist eine kreative Hydra mit unzähligen Gesichtern. 2012 wurde sie als erste Performancekünstlerin überhaupt für den Turner Prize nominiert. In Erscheinung tritt sie gerne auch unter den Pseudonymen Spartacus oder Marvin Gaye. Und jetzt hat sie im Chipperfield-Erweiterungsbau zwei Räume in einen bunt-schillernden, phantasmatisch-grotesken Kunstkosmos verwandelt. Wobei man ein Schwellenritual absolviert, um in die Ausstellung einzutreten: nämlich durch ein riesiges Monstermaul.
Chetwynd ist kosmopolitisch aufgewachsen und lebt seit einiger Zeit in Zürich, der Stadt der Dadaisten. Das passt. Höchste Zeit also, sie hier am Kunsthaus, dem Museum mit der weltweit bedeutendsten Dada-Sammlung, breiter bekannt zu machen. Eine Unbekannte ist sie in der Limmatstadt allerdings längst nicht mehr. Bereits 2007 richtete ihr der Schweizer Kurator Raphael Gygax im Migros-Museum eine üppig garnierte Einzelausstellung aus. Er war es auch, der Monster Chetwynd 2019 an die Zürcher Hochschule der Künste holte, wo sie heute unterrichtet.
Abenteuerpark mit Ungeheuern
Die Dadaisten waren gleichsam die Vorläufer des Surrealismus und der Pop-Art. Und der Geist dieser Kunstrichtungen lebt in Monster Chetwynd fort. Sie ist weder eine verspätete Dadaistin noch eine Neo-Surrealistin, aber versteht es bestens, Humor und Nonsens mit smarter Reflexion über Kunst zu verbinden.
Ihr Werk ist handgemacht, hat Bricolage-Charakter – eine riesige Bastelei aus Pappmaché. Und so ist das Format ihrer Ausstellung im Kunsthaus auch ein Experiment, das ein ganz neues Besuchererlebnis schafft. Zusammen mit dem Kurator Raphael Gygax hat Chetwynd nun einen geradezu barocken Abenteuerpark eingerichtet mit zahlreichen, in ihrer Gestalt monströs anmutenden Pavillons, die selber als eigene Kunstkabinette und Wunderkammern funktionieren.
Die Grotten, Schlünde und Höhlen erinnern an einen manieristischen Sacro Bosco, ähnlich dem Bomarzo-Garten im italienischen Viterbo nördlich von Rom. In den einzelnen Pavillons begegnet man den vielen Aspekten von Chetwynds künstlerischer Praxis aus rund 25 Jahren.
Da wird auf die unterschiedlichsten kulturellen Quellen verwiesen: Die Referenzen reichen vom französischen Maler François Boucher und dem mittelalterlichen Maler altniederländischer Schule Hans Memling über die japanische «Porno»-Kunst des Shunga bis hin zu den historischen Tarotkarten aus der Sammlung des Metropolitan Museums in New York oder eben dem halluzinierenden Werk des grossen italienischen Cineasten Federico Fellini.
Bei Monster Chetwynd geht es nie nur darum, was man sieht. Sondern immer auch darum, wie man es sieht. So kann man sich in dem Kunsterlebnisraum nicht nur bestens amüsieren, sondern auch sein Wissen testen. Man stösst etwa auf Filmzitate des kanadischen Science-Fiction-Regisseurs David Cronenberg oder auch auf solche der amerikanischen Kult-Fantasy-Komödie «Ghostbusters». In die Hunderte gehen die Bezüge und öffnen einem die Augen, wie man Bekanntem immer wieder neu und eben auch ganz anders begegnen kann.
Chetwynd ist ausgebildete Ethnologin und studierte in London Malerei. Ihre zahlreichen Fledermaus-Gemälde muten denn zum Teil nicht nur wie zoologische Studien, sondern wie menschliche Porträts an. Omnipräsent sind auch überdimensionale Libellen, oft auf Bildzitate aus der Kunstgeschichte montiert. Diese bunten Pappmaché-Insekten sind Requisiten aus Monster Chetwynds Kostümbällen und Mysterienspielen, die sie jeweils mit Dutzenden von Künstlerfreunden aufführt.
Das karnevaleske Treiben, das in der Schau in einigen Filmen zu sehen ist, artet dabei regelmässig in eine Orgie mit selbst gebastelten Phantasiewesen aus. Viele dieser Objekte aus Monster Chetwynds Performances wie etwa die riesigen Tatzelwürmer haben nun in der Ausstellung ein zweites Leben bekommen.
Riesenskulptur mit Kletternetz
Wie aber findet sich die Künstlerin in diesem geradezu enzyklopädischen Kulturchaos zurecht? Sie selber sei permanent am Recherchieren. «Die Dinge fügen sich am Ende jeweils zusammen durch einen ‹blind-visionären Blitz›, wie es William Blake formuliert hat», sagt die Künstlerin an der Eröffnung ihrer Schau.
Die wichtigste Ingredienz sei für sie aber der Humor: «Für mich ist es ganz natürlich, Spass zu haben, Witze zu machen und die Komödie zu zelebrieren», sagt sie. Sie liebe eben «Kultur mit Zucker» wie etwa den magischen Realismus. «Wie deprimierend auch die Zeiten und die Menschen sein mögen, da gibt es immer ein Minimum an Frivolität im Leben, worüber man sich freuen kann.»
Die Ausstellung im Kunsthaus wird einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Denn Monster Chetwynd realisiert im Auftrag des Hauses auch ein monumentales Werk für den Chipperfield-Garten. Das erste Mal soll dort Ende Sommer Kunst ausgestellt werden: nämlich eine begehbare Skulptur in Form eines riesigen, grotesken Kopfes von rund 9 Metern Höhe. Dafür musste bei der Stadt ein Baugesuch eingereicht werden.
Im Inneren des Kopfes soll es ein Kletternetz, eine Rampe und Fallschutzmatten geben. Man kann im Kopf des Monsters also verstiegene Gedanken spinnen. Nicht anders, als es Monster Chetwynd selber tut für ihre verrückten künstlerischen Einfälle.
«Monster Chetwynd», Kunsthaus, Zürich, bis 31. August. Katalog: Fr. 48.–.