Die Stadt Zürich braucht beim Verkehr konkrete Projekte – keine Planspiele.
Das gibt es selten in Zürich: Ein Veloprojekt wird von allen Seiten gelobt. Die Stadträtinnen Simone Brander (SP) und Karin Rykart (Grüne) stehen am Dienstag Seite an Seite mit Stadtrat Michael Baumer (FDP). Gemeinsam weihen sie den Velotunnel ein. Unter dem HB hat die Stadt ein nie in Betrieb genommenes Autobahnstück für 40 Millionen Franken umgebaut. Das ist ein stolzer Betrag, aber die Kosten-Nutzen-Rechnung ist vertretbar: Velofahrerinnen und Velofahrer müssen das grossräumige HB-Areal nicht mehr mühselig umfahren.
Man fragt sich: Warum kann es nicht immer so sein?
Wahre Erfolgsmeldungen beim Veloverkehr sind die Ausnahme. Die Bilanz nach bald vier Jahrzehnten linker Dominanz ist beim Veloverkehr dürftig. Velowege enden unvermittelt auf mehrspurigen Strassen, das Queren grosser Kreuzungen ist nach wie vor abenteuerlich.
Der falsche Fokus
Natürlich lassen sich im engen Zürcher Strassenraum nicht alle Verkehrsprobleme auf Knopfdruck lösen. Doch es hat auch mit den Prioritäten zu tun, die die rot-grüne Politik beim Velo setzt: Sie widmet sich nicht den drängendsten Problemen.
Statt sich auf Gefahrenherde im Zentrum zu konzentrieren, legt sie den Fokus auf Quartierstrassen. Darauf soll ein Netz aus Velorouten entstehen. Dabei gibt es dort im Gegensatz zum Zentrum kaum Probleme. Aber es lassen sich wunderbar Anwohnerparkplätze abbauen.
Für Rot-Grün ist das Velo mehr als ein Verkehrsmittel. Velopolitik steht für den grossflächigen Umbau der Stadt, für den Kampf gegen das verhasste Auto, für die Umerziehung der Stadtbevölkerung – mit dem Abbau von Parkplätzen als Selbstzweck. Entsprechend viel Energie investiert die Stadt in Konzepte, Planungen, Studien.
Die Umsetzung der Velorouten-Initiative, 2020 an der Urne angenommen, ist dafür ein gutes Beispiel. Sie stösst in den Quartieren auch deshalb auf so grossen rechtlichen und politischen Widerstand, weil sie als Zwängerei empfunden wird, entworfen von realitätsfernen Planern am Schreibtisch. Die Folge: Erst 4 von 130 geplanten Kilometern sind umgesetzt.
Normale Velowege sind für die Stadt nicht genug. Sie will «Velostrassen», von denen sie die Autos möglichst verbannen kann. Dafür ist aber wieder ein gigantischer Planungsaufwand nötig, der Verkehrsfluss in fast jedem Quartier würde auf den Kopf gestellt. Die Folge: Für die Umsetzung der neu geplanten Velorouten sind nicht weniger als 80 Millionen Franken veranschlagt. Obwohl sie im Wesentlichen aus Farbe auf der Fahrbahn bestehen.
Der Glaube, maximaler Planungsaufwand führe zum Erfolg, ist weit verbreitet. Just am Tag, als der Stadtrat den Velo-Tunnel eröffnete, machte die ETH ihre Studie über den Veloverkehr der Zukunft in der Stadt Zürich öffentlich. Die Hälfte aller Zürcher Strassen sollen autofrei und zu E-Bike-Strecken werden. Nicht weniger als neun Professorinnen und Professoren sind gemeinsam angetreten, um zu beweisen, dass dies ohne grössere Einschränkungen machbar wäre.
Nur: Die Studie geht davon aus, dass der Anteil des Veloverkehrs am Stadtverkehr auf 50 Prozent hochschnellt – obwohl er seit vielen Jahren unter 10 Prozent verharrt. Und Pendler aus der Agglomeration sollen mehr als eine Stunde pro Tag auf dem Fahrrad verbringen, dies möglichst bei jedem Wetter.
Dabei zeigen Zählstellen in der Stadt Zürich, dass im Sommer fast dreimal so viele Leute Velo fahren wie im Winter. Man kann sich fragen, was für einen Wert eine Studie hat, die solch grundlegende Parameter ignoriert.
Infrastrukturprojekte können nicht jedes Problem lösen. Doch sie sind es letztlich, die im Stadtbild spürbaren Fortschritt bringen. Wobei gerade Tunnellösungen den Vorteil haben, dass sie keine anderen Nutzungen konkurrenzieren. Die Umfahrung durch den Üetlibergtunnel hat den Kreis 4 vom Durchgangsverkehr befreit. Die Autobahn-Überdachung lässt Schwamendingen wieder zum Quartier zusammenwachsen. Und in der vergessenen Röhre unter dem HB rollen ab Donnerstag die Velos.
Die Stadt braucht mehr solch konkrete Projekte. Und weniger abstrakte Konzepte.