Früher waren die Ratschläge eindeutig: Austern wurden ausschliesslich in den Monaten mit r verzehrt, schwarze Trüffeln gab es lediglich im Winter. Doch derartige Regeln sind in Zeiten weltweiten Handels und moderner Technik obsolet. Ganzjährige Verfügbarkeit freilich hat auch ihre Tücken.
Mein Besuch in einer Austern-Farm im französischen Süden fiel in eine Zeit, in der kaum jemand in der Grande Nation Austern zu konsumieren pflegt. Fast alle Produzenten von Marseillan hatten im Juli jenes Jahres geschlossen, die improvisierten Bistros vor Ort, wo im Frühjahr noch zahlreiche Touristen mal eben sechs oder zwölf Fines de Claire oder Spéciales im Stehen oder im Sitzen verzehrt hatten, waren ausgestorben.
Austern im Sommer, das ist für viele Franzosen noch eine Unsitte. Die Meeresfrüchte bestellt man gern in den kühlen Monaten, ganz sicher massenweise in der Weihnachtszeit. So war es immer, schon in der Epoche des Römischen Reiches, so ist es auch heute. Auch wenn die Begründung längst entfallen ist. Die Saisonalität resultierte ja nie aus einer mangelnden Verfügbarkeit, sondern aus den suboptimalen Transport- und Lagerbedingungen bei 30 und mehr Grad.
Austern ganzjährig? Warum nicht!
Doch die Kühlmöglichkeiten sind mittlerweile ausgezeichnet, und immer mehr Gastronomen wagen den Versuch, auch ihren Terrassenkunden Austern anzubieten. Das ergibt schon deshalb einen Sinn, weil es sich um eine leichte, wie für den Sommer gemachte Delikatesse handelt, die sich zudem prima mit Weisswein und Champagner kombinieren lässt.
Mehr noch: Die Austern stellten gerade im Sommer oft eine besondere Delikatesse dar, behaupten viele Kenner. Sie schmeckten fülliger und intensiver. Fortgeschrittene Gourmets raten sogar dazu, Austern im Stadium der Schwangerschaft zu geniessen; in den Sommermonaten laichen sie, bilden unzählige Miniatureier. Ein Geschmackserlebnis, das sich vom Verzehr der winterlichen Auster deutlich unterscheidet, aber nicht weniger empfehlenswert ist – sofern man sich einmal an den Geschmack gewöhnt hat.
Schwarze Trüffeln nicht nur im Winter: eine spannende Entwicklung
Während Austern ganzjährig aus europäischer Erzeugung verfügbar sind, limitiert das Klima das Wachstum der Trüffeln. Neben den weissen Wintertrüffeln, etwa aus Piemont, sind vor allem die raren schwarzen Périgord- oder Provencetrüffeln (Tuber melanosporum) gefragt. Doch genau die sind im Sommer nicht verfügbar, werden erst ab dem Herbst geerntet, können allerdings von der anderen Seite der Erdkugel importiert werden.
Australien begann vor ein paar Jahren, sich einen Namen zu machen bei der Produktion schwarzer Trüffeln im dortigen Winter, und liess Köche weltweit aufhorchen. Während die schwarzen Schlauchpilze sonst mit Wild und Foie gras, deftigen Winterzutaten, kombiniert wurden, waren nun auch Kreationen mit Fisch, Hummer oder Frühlingsgemüse möglich. Eine neue kulinarische Welt tat sich auf. Und was schmeckte, ausser winterlich wärmenden Rotweinen, besser zu Trüffeln als hochklassiger Champagner?
Das Problem der Verfügbarkeit lässt die Kunden ratlos zurück
Doch was für die einen grossartig sein mag, ist den anderen ein Greuel. Saisonalität sei eine Kultur, behaupten die Kritiker, und allgegenwärtige Verfügbarkeit irritiere die Konsumenten. Wenn Austern und Trüffeln, aber auch Erdbeeren und Spargel, Garnelen und Fisch immer im Angebot wären, unabhängig von Monaten und Jahreszeiten, könnte man sich nicht mehr auf das besondere Erlebnis freuen, nicht mehr dem Start der Saison entgegenfiebern.
Gewiss ein Grund für Gastronomen, über die eigene Speisekarte nachzudenken und Neues ausfindig zu machen. Nur ein Bruchteil der Pflanzen und Pilze, die in unseren Wäldern und Feldern gedeihen, der Fische und Muscheln, die in unseren Gewässern wachsen, findet sich bis anhin auf den Menukarten; viele tatsächlich bloss saisonal erhältliche Zutaten werden noch verschmäht. Neugier und Abwechslung wären hilfreich – und könnten die Sommeraustern prima ergänzen.