Maximal diskret haben die Chefunterhändler am Mittwoch die 800 Seiten Abkommenstexte mit ihren Initialen versehen. Die nächste Unterschrift kommt vom Bundesrat.
Ohne Aufsehen zu erregen, haben sich fünfzehn hochrangige Diplomaten am Mittwoch in einem Haus in einer schattigen Gasse der Berner Altstadt versammelt. Das Aussendepartement hatte das Treffen klandestin vorbereitet. Keine Ankündigung, kein Fototermin, gar nichts. Nicht, dass am Ende plötzlich noch die SVP-Oberen mit ihren Hellebarden vor dem Haus stehen, um die Unterwerfung der Schweiz zu verhindern (oder zumindest medienwirksam so zu tun).
Der Plan ging auf. Unbehelligt haben sich die Unterhändler der Schweiz und der EU im Von-Wattenwyl-Haus getroffen, um die Verhandlungen über die neuen bilateralen Abkommen formell abzuschliessen. Sie taten dies, indem sie die Verträge paraphierten: Sie setzten ihre Initialen darunter, um zu bezeugen, dass die Texte juristisch geprüft worden sind und korrekt wiedergeben, was verhandelt worden ist.
Das einzige verfügbare Bild von dem historischen Akt hat das Aussendepartement auf der Plattform X in die Welt gesetzt.
Es zeigt die Chefunterhändler, den Schweizer Patric Franzen und sein Gegenüber aus Brüssel, Richard Szostak, nach der Prozedur. Sehr erfreut sehen sie nicht aus, eher etwas angestrengt. Namentlich bei Szostak ist das keine Überraschung. Für ihn war die Paraphierung nicht halb so gemütlich, wie man meinen könnte. Denn Diplomaten pflegen ihre Vertragstexte nicht nur auf der letzten Seite zu paraphieren, sondern auf jeder einzelnen.
800 Mal die Initialen hingeschrieben
Und das ist im vorliegenden Fall folgenschwer: Die ausgehandelten Abkommen umfassen rund 800 Seiten Text. Der Chef des Schweizer Verhandlungsteams hatte es gut, er konnte sich die Schreibarbeit mit vierzehn Kolleginnen und Kollegen aus der gesamten Bundesverwaltung teilen, die in den Verhandlungen für die einzelnen Dossiers von der Zuwanderung bis zum Strom zuständig waren.
Szostak hingegen war ohne seine Mitstreiter aus Brüssel angereist und musste sich allein paraphierend durch die vielen Seiten kämpfen. Wie lange die bilaterale Autogrammstunde dauerte, ist nicht überliefert. Offensichtlich ist hingegen, dass die EU-Kommission sich alle Mühe gibt, hierzulande für gute Stimmung zu sorgen.
Ende 2024 war die Präsidentin höchstselbst, Ursula von der Leyen, nach Bern gereist. Nun hat Szostak das Flugzeug bestiegen und in Bern 800 Mal seine Initialen auf ein Blatt Papier geschrieben, um hiesige Kritiker milde zu stimmen, die schnöden, das sei doch typisch: Immer seien es die Schweizer, die nach Brüssel reisen müssten.
Die SVP schlägt zu
Dahinter steht das alte Missverständnis, für die EU seien die bilateralen Verträge ebenfalls überragend wichtig, nur weil sie das für die Schweiz seien. Dass es nicht so ist, musste vergangene Woche ein glühender Gegner der Verträge erfahren: der SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Bei einem Treffen mit dem EU-Parlament führte er die Schweizer Delegation. Von den achtzehn Mitgliedern der EU-Delegation sass zu Beginn der Sitzung ein einziges am Tisch, drei weitere kamen verspätet. Die übrigen hatten andere Prioritäten.
Insofern sind die beiden Besuche in Bern – zuerst von der Leyen und jetzt Szostak – bewusste Signale an die sensible Schweizer Seele. Umso mehr fällt auf, wie still und leise das EDA den Besuch vom Mittwoch abgewickelt hat, ohne jeden öffentlichen Auftritt. Das sagt einiges aus über die Nervosität beim Bund. Schon jetzt, mehrere Jahre vor der finalen Abstimmung, verläuft die Debatte heftig bis rabiat. Selbst Details sind explosiv. Da hat man es im EDA offenkundig vorgezogen, keine weitere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Die SVP reagierte mit einer ungewöhnlichen Verzögerung von drei Stunden, dafür aber in der erwarteten Vehemenz: In einer Mitteilung raunte sie von der «Zerstörung der direkten Demokratie» und der «Entmündigung der Bürger». Auch sonst hält sie sich mit Falschaussagen und Übertreibungen nicht zurück – abgesehen von einem Punkt: Dass die SVP die neuen Verträge «mit allen Mitteln bekämpfen» wird, ist nicht zu bezweifeln.
Paraphiert ist nicht ratifiziert
Etwas schneller als die SVP war die Europäische Bewegung Schweiz: Sie feiert die Paraphierung als «historischen Meilenstein» 25 Jahre nach der Zustimmung des Volkes zu den Bilateralen I. Geht es nach ihr, müsste die Volksabstimmung über die neuen Verträge noch vor den Wahlen 2027 stattfinden. Das dürfte knapp werden.
Der Bundesrat will das Dossier im Frühling 2026 ins Parlament bringen. Dass National- und Ständerat eine politisch und technisch derart schwierige Vorlage so rasch verabschieden, dass die Abstimmung am letzten möglichen Termin vor den Wahlen – im Juni 2027 – stattfindet, wirkt nicht realistisch. Und nur wenn die neuen Verträge irgendwann die Volksabstimmung überstehen, folgt der letzte Akt: die Ratifizierung.
Zuerst aber ist nun der Bundesrat am Zug: Auf die Paraphierung durch die Diplomaten folgt die Unterzeichnung durch die Regierung. Dieser Akt ist im Juni geplant – mit Sicherheit weniger heimlich als jener vom Mittwoch. Am gleichen Tag will der Bundesrat die Vernehmlassung zum gesamten Paket eröffnen, womit endlich alle die Vertragstexte einsehen können. Allerdings ohne die 800 Signaturen von Richard Szostak.