Der Verkauf der Biotechfirma Actelion trug Jean-Paul und Martine Clozel ein Milliardenvermögen ein. Doch nun kämpfen die beiden um den Fortbestand ihres zweiten Unternehmens. Der Ausgang ist ungewiss.
Die Arbeitstage von Jean-Paul und Martine Clozel sind lang. Meist beginnen sie schon morgens um 6 Uhr und enden erst um Mitternacht.
Auch abends, wenn die beiden von ihrem Arbeitsplatz bei der Allschwiler Biotechfirma Idorsia in ihr nahe gelegenes Haus zurückgekehrt sind, ist, so wird es kolportiert, selten Feierabend. Sie sässen dann getrennt in ihren Arbeitszimmern und widmeten sich dem Studium von Protokollen klinischer Studien, sagt ein langjähriger Weggefährte der beiden. Dabei tauschten sie sich ausgiebig per Telefon aus, fügt der Insider hinzu, der namentlich nicht genannt werden will.
Zeit ist für Jean-Paul Clozel, der diesen April 70 geworden ist und längst im Ruhestand sein könnte, und seine beinahe gleichaltrige Frau nach wie vor kostbar. Aufzustehen und zum Gespräch die paar Schritte zum Arbeitszimmer des anderen zu gehen, kommt für beide nur in Ausnahmefällen infrage.
Dies war schon so, als Jean-Paul Clozel noch bei guter Gesundheit war. Seit einigen Jahren erschwert ihm indes eine Muskelschwäche das Gehen. Sie zwingt ihn zur Benutzung eines Rollators.
Bewunderung weit über die Schweiz hinaus
Für das Paar, das wegen seiner Schaffenskraft sowie seiner unternehmerischen und wissenschaftlichen Leistungen weit über die Schweizer Gesundheitsbranche hinaus bewundert wird, ist das ein schwerer Schlag. Es hat die beiden, die sich schon während des Medizinstudiums in Frankreich kennenlernten und neben ihrer intensiven beruflichen Tätigkeit drei Kinder grosszogen, aber noch stärker zusammengeschweisst. «Sie sind ein rührendes Paar», sagt Patrick Amstutz, der Präsident der Branchenvereinigung Swiss Biotech Association.
Jean-Paul und Martine Clozels Glanzleistung war der Aufbau der Firma Actelion Pharmaceuticals, der Vorgängerin des heutigen Biotechnologieunternehmens Idorsia. Sie starteten Actelion 1997 mit nur drei Partnern, nachdem sie zuvor während zwölf Jahren in der Forschung des Basler Grosskonzerns Roche gearbeitet hatten. Der Grund für ihren Gang in die Selbständigkeit war, dass Roche die Entwicklung eines Medikaments, von dessen Wirksamkeit sie überzeugt waren, einstellen wollte.
Das Präparat, das später den Namen Tracleer bekam, wurde damals noch gegen Herzinsuffizienz erprobt. Seine grösste Wirkung entfaltete es hingegen, wie sich später herausstellte, gegen Lungenhochdruck, auch pulmonale Hypertonie genannt.
In der Öffentlichkeit steht hauptsächlich er
Das Unternehmerpaar wurde für seine Arbeit rund um die pulmonale Hypertonie lange Zeit belächelt. Ob sich diese schwere Erkrankung denn überhaupt behandeln lasse, fragen sich viele Skeptiker. Kritik musste vor allem Jean-Paul Clozel einstecken. Er stand als Geschäftsführer von Actelion von Anfang an stärker im Licht der Öffentlichkeit als Martine Clozel, die sich bis heute auf ihre Tätigkeit im Bereich der Forschung und Entwicklung konzentriert.
Ein Sturkopf zu sein, dieser Ruf begleitet Jean-Paul Clozel noch immer. Er tue alles so, wie er es für richtig halte, sagt sein langjähriger Weggefährte. Sein Verhalten erinnere an jenes des amerikanischen Unternehmers Steve Jobs. Doch genauso wie dem 2011 verstorbenen Gründer von Apple, der den bis heute erfolgreichsten Elektronikkonzern der Welt aufbaute, gab Jean-Paul Clozel sein unternehmerischer Erfolg recht.
Tracleer entwickelte sich zu einem Medikament mit einem jährlichen Umsatz von über 1 Milliarde Franken. Für eine Biotechfirma ist dies eine riesige Leistung. Die meisten Unternehmen in diesem Sektor schaffen es nicht einmal, ein Produkt auf den Markt zu bringen, sondern verschwinden vorher.
An einem Verkauf zunächst nicht interessiert
Als Anfang 2017 der weltgrösste Gesundheitskonzern Johnson & Johnson (J&J) in Allschwil anklopfte, beschäftigte Actelion über 2500 Mitarbeitende. Der Gesamtumsatz der Firma, die sich bereits im Jahr 2000 an der SIX Swiss Exchange dem Publikum geöffnet hatte, erreichte rund 2 Milliarden Franken.
Der amerikanische Riese offerierte 30 Milliarden Dollar, um Actelion übernehmen zu können. Hartnäckig, wie sich Clozel auch in dieser Situation zunächst verhielt, lehnte er einen Verkauf entschieden ab. Lieber wollte er weiterhin eigenständig die Entwicklung und Markteinführung der nächsten Medikamente anpeilen.
Angesichts des grosszügigen Angebots, das J&J den Aktionären unterbreitete, musste der Patron aber klein beigeben. «Die Leute von J&J nahmen ihn zur Seite und gaben ihm zu verstehen, dass er nur einer von vielen Anteilseignern war», sagt Stefan Schneider, der seit vielen Jahren als Analytiker bei der Bank Vontobel Schweizer Pharma- und Biotechfirmen bewertet. Der Mitgründer Jean-Paul Clozel hielt damals nur noch eine Beteiligung von gut 3 Prozent.
Gründung der nächsten Firma
Der Verkauf machte Jean-Paul und Martine Clozel gleichwohl zu Milliardären. Der Verlust der Unabhängigkeit von Actelion war für die beiden zugleich ein Schock. Jean-Paul Clozel schwor sich, dass ihm das als Unternehmer kein zweites Mal widerfahren würde.
In den Verhandlungen mit J&J schaffte es das Paar, die Aktivitäten im Bereich der frühen Erforschung von Wirkstoffen einschliesslich der Produkte der frühen klinischen Pipeline vom Besitzerwechsel auszunehmen. Jean-Paul und Martine Clozel waren so in der Lage, direkt nach dem Abschluss der Veräusserung im Sommer 2017 die Nachfolgefirma Idorsia ins Leben zu rufen. Dank dem Erlös aus dem Verkauf ihres Pakets an Actelion-Aktien konnten sie sich zudem von allen Anteilseignern die grösste Beteiligung sichern. Sie beträgt bis heute nicht ganz 30 Prozent, was eine Übernahme von Idorsia ohne ihre Zustimmung faktisch verunmöglicht.
Anders als zwanzig Jahre zuvor mussten Jean-Paul und Martine Clozel indes nicht quasi bei null beginnen. Sie verfügten bei Idorsia von Anfang an über ein breit abgestütztes Portfolio von potenziellen Medikamenten. Auch zählte Idorsia vom ersten Tag an rund 650 Mitarbeitende.
Die Beschäftigten waren allesamt zuvor für Actelion tätig gewesen. Sie wussten somit, was sie bei Idorsia erwartete, auch weil Jean-Paul und Martine Clozel an ihrer bisherigen Rollenverteilung festhielten. Wie zuvor bei Actelion wirkte er als CEO und sie als Leiterin der Forschungsabteilung.
Vorbilder für eine ganze Branche
Für Amstutz, den Präsidenten der Swiss Biotech Association und Chef des Schlieremer Medikamentenentwicklers Molecular Partners, haben Jean-Paul und Martine Clozel den Aufbau der Schweizer Biotechnologiebranche entscheidend geprägt: «Ohne sie stünde unser Sektor nicht da, wo er sich heute befindet.» Inzwischen gibt es in der Schweiz mehr als 300 Unternehmen, die Medikamente in eigener Arbeit entwickeln. Noch 2015 waren es erst gut 200 gewesen.
Viele dieser Firmen eifern dem Vorbild von Actelion nach. Jean-Paul und Martine Clozel haben ihr unternehmerischer und wissenschaftlicher Erfolg mehrere Preise eingetragen. Martine Clozel wurde 2022 mit dem Prix Suisse ausgezeichnet, der jedes Jahr nur einer einzigen Persönlichkeit verliehen wird. Im selben Jahr erhielt das Paar gemeinsam die Ehrendoktorwürde der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel. Jean-Paul Clozel war damals wegen seiner Erkrankung gezwungen, erstmals mit dem Rollator in der Öffentlichkeit zu erscheinen.
Die Nachfolgefirma Idorsia verfehlt hohe Erwartungen
Wegen der Schwierigkeiten, in denen die Nachfolgefirma Idorsia steckt, hat der Ruf des Unternehmerpaars inzwischen aber deutliche Kratzer abbekommen. Jean-Paul Clozel stand ebenso wie Martine Clozel dieses Mal für ein Interview nicht zur Verfügung. Noch im November 2022 hatte der Franzose, der seit einigen Jahren auch die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzt, gegenüber der NZZ aber, kühn und selbstsicher, wie er ist, die Erwartung vertreten, dass Idorsia bis 2025 beim Umsatz die Grenze von einer Milliarde Franken knacken würde.
Daraus ist ebenso wie aus dem damals noch gemachten Versprechen, bis 2025 die Gewinnschwelle zu erreichen, nichts geworden. Laut der jüngsten Prognose des Unternehmens dürfte im laufenden Jahr lediglich ein Umsatz von 175 Millionen Franken resultieren. Und angesichts eines erwarteten Verlusts von 85 Millionen Franken wird auch die diesjährige Erfolgsrechnung nochmals tiefrot ausfallen. 2024 erreichte der Fehlbetrag 264 Millionen Franken.
Was das Erreichen der Gewinnschwelle betrifft, werden die Aktionäre mittlerweile auf Ende 2027 vertröstet. Noch ist aber völlig offen, ob dem Unternehmen bis dann der erhoffte Turnaround gelingen wird. Idorsia hat es zwar geschafft, aus seiner von Anfang an reich bestückten Pipeline zwei Medikamente bis zur Marktreife zu bringen. Doch bei der Kommerzialisierung dieser Produkte habe die Firmenführung komplett versagt, werfen Marktbeobachter Jean-Paul Clozel seit Jahren vor.
Das vom Patron viel gepriesene Schlafmittel Quviviq ist bis heute ein Nischenprodukt geblieben. Es kämpft damit, dass es hauptsächlich in Deutschland und in Frankreich, aber weiterhin kaum in den USA verschrieben wird. Mit rund 3 Euro pro Tablette betrage der Preis in Europa weniger als ein Drittel des amerikanischen Niveaus, gibt Stefan Schneider, der Analyst von Vontobel, zu bedenken.
Firmenkasse ist fast leer
Aprocitentan, das zweite schon zugelassene Medikament von Idorsia, ist zur Behandlung von resistentem Bluthochdruck vorgesehen. Auch ihm bescheinigen klinische Studien eine hohe Wirksamkeit. Allerdings hat das Allschwiler Unternehmen bis anhin vergeblich nach einem Partner Ausschau gehalten, der es für ihn vermarkten könnte.
Per Ende März 2025 verfügte Idorsia nur noch über ein Barvermögen von 51 Millionen Franken. Dank einer Finanzspritze von 150 Millionen Franken aus dem Kreis von Obligationären der Firma, zu denen auch das Ehepaar Clozel zählt, sollte die Liquidität nun für die Finanzierung des Betriebs bis Mitte 2026 ausreichen. Die Biotechfirma wird aber auch so kaum um eine weitere Kapitalerhöhung herumkommen, um die Finanzierung längerfristig zu sichern. Mit der Einladung an die nächste Generalversammlung, die am 28. Mai in Basel stattfinden wird, wurde den Aktionären eine solche auch bereits in Aussicht gestellt.
Jean-Paul Clozel übergab an der letztjährigen Generalversammlung den CEO-Posten dem langjährigen bisherigen Finanzchef André C. Muller und wechselte ins Präsidium. Seine gesundheitlichen Probleme liessen ihm keine andere Wahl, als die Verantwortung für das Tagesgeschäft abzugeben.
Die meisten Marktbeobachter sind sich sicher, dass Jean-Paul Clozel zusammen mit seiner Frau für die Existenz von Idorsia weiterkämpfen wird, auch mit eigenem Geld. Seit der Gründung hat das Paar mehr als eine Milliarde Franken an Kapital in die Firma eingeschossen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es sich auch an der nächsten Kapitalerhöhung anteilmässig beteiligen. «Jean-Paul Clozel ist nicht einer, der in der grössten Krise des Unternehmens davonläuft», sagt Schneider.
Stille im ehemaligen Actelion-Hauptsitz
Im einstigen Hauptgebäude von Actelion hat sich derweil eine gespenstige Stille ausgebreitet. Der Bau, der vom Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron entworfen wurde, trägt wegen seiner wie Mikado-Stäbchen aufeinandergestapelten Stockwerke den Namen «Mikado». Der Empfang ist längst nicht mehr besetzt, aus dem Boden ragen unbenutzte Kabel. Viele Büros stehen leer.
In einer umzäunten Aussenanlage, die den Beschäftigten für Rauchpausen und das Arbeiten im Freien zur Verfügung steht, liegt Abfall herum. Sie wirkt ungepflegt und ist wohl schon lange nicht mehr benutzt worden.
Das «Mikado»-Bürohaus gehört inzwischen pikanterweise Hansjörg Wyss. Der Unternehmer und Mäzen gelangte 2022 mit dem Verkauf der Medizintechnikfirma Synthes an J&J seinerseits zu einem Milliardenvermögen.
Idorsia ist in Allschwil in insgesamt vier Gebäuden eingemietet. Ein Unternehmenssprecher sagt, es sei alles «sehr dynamisch». Man evaluiere die räumlichen Ansprüche laufend von neuem. Bestehende Mietverträge scheinen Idorsia aber daran zu hindern, nicht benötigte Flächen rasch zu räumen.
Dabei muss die Firma inzwischen jeden Franken zweimal umdrehen. Der Personalbestand, der bis Ende 2022 in Erwartung grosser Markterfolge noch auf 1300 Mitarbeitende ausgebaut worden war, ist auf 550 Beschäftigte geschrumpft. Die verbliebenen Angestellten können lediglich darauf hoffen, dass es Jean-Paul und Martine Clozel zusammen mit der restlichen Firmenführung irgendwie doch noch gelingen wird, das Steuer herumzureissen.