Jedes Jahr tourt der Circus Knie durch die Schweiz, stets mit neuen Kostümen. Für diese ist Mary-José Knie zuständig. Im Gespräch erzählt sie, wie sie entstehen, wer Stücke aus der Manege sogar privat trug – und welche grossen Modeschöpfer schon im Knie-Zelt sassen.
Frau Knie, welche Rolle spielen die Kostüme im Zirkus?
Eine sehr grosse! Die Nummer an sich kann phantastisch sein, doch muss sie auch schön verpackt werden. Dafür sind Kostüme zusammen mit der Musik und Lichteffekten essenziell. Nur so gelingt es, unser Publikum in eine magische Welt zu entführen.
Wo lassen Sie ihre Kostüme produzieren?
In Paris. Ich weiss nicht, wo ich sie sonst anfertigen lassen sollte. Viele sagen Indien, wegen der Stoffe. Aber ich gehe doch nicht nach Indien! Das Raffinement in Paris ist unübertroffen. Das ist Haute Couture. Die Fracks lassen wir allerdings in Wien produzieren. Wien steht für Frack. Dort können sie das besser als in Paris.
Ein Zirkuskostüm muss vielen Ansprüchen gerecht werden: Es soll elegant aussehen und gleichzeitig funktional sein. Wie verbindet man diese Gegensätze?
Unsere Schneider kennen unsere Arbeit gut. Die Anforderungen sind je nach Nummer unterschiedlich. Für die Stehreiterei beispielsweise ist wichtig, dass bei den Schultern genügend Platz bleibt, damit sich die Arme bewegen können. Beim Finale hingegen ist das weniger wichtig.
Für welche Kostüme sind Sie verantwortlich?
Hauptsächlich für die meiner Familienmitglieder. Manchmal auch für jene der Artisten, wenn uns die, die sie mitbringen, nicht gefallen.
Woher stammen Ihre Ideen für die Kostüme?
Unterschiedlich. Manchmal habe ich sofort Ideen, manchmal brauche ich mehr Zeit. Ich überlege, was zum Thema des Auftritts und zur Musik passen könnte. Einmal hat mich der Film «Fluch der Karibik» für ein Kostüm meines Enkels Ivan inspiriert. Das war super!
Schlüpfen die Kinder gerne in die Kostüme?
Ja. Ausser im Hochsommer.
Kinder wachsen schnell. Spielt das bei der Herstellung eine Rolle?
Ja. Die Kostüme für die Kinder lassen wir immer etwas zu gross anfertigen, damit sie sie das ganze Jahr über tragen können. Zu Beginn der Tournee im März sind die Hosen deshalb immer etwas lang. Im Dezember passen sie dann.
Gibt es im Nachwuchs bereits einen Interessenten, der das Kostümdesign von Ihnen übernehmen möchte?
Nicht wirklich. Ivan ist modeinteressiert und weiss genau, was er tragen will. Für Chanel hingegen spielen Kleider im Moment eine weniger grosse Rolle. Sie hat nur die Pferde im Kopf.
Obwohl sie heisst wie eine der grössten Modeschöpferinnen aller Zeiten.
Ja, sie hat einen schönen Namen.
Was ist Ihr eigener Bezug zur Mode?
Ich mag Mode sehr gerne. Früher, zu der Zeit, als ich Fredy kennenlernte, habe ich als Model gearbeitet.
Und jetzt sind Sie selbst Designerin. Wie läuft der Designprozess bei den Zirkuskostümen ab?
Im Oktober kommen die Leute aus Paris zu uns in die Schweiz. Weil ich selbst nicht zeichnen kann, arbeite ich gemeinsam mit einem Maquettiste an den Entwürfen. Diese gehen dann ins Atelier nach Paris und anschliessend in die Stickerei. Im Dezember sind sie dann fertig bei uns – ausser sie bleiben im Zoll stecken. Das kam auch schon vor.
Wie gelingt eine gute Mischung aus Kitsch und . . .
Non, non, non. Kitsch ist schön. Ein wenig davon gehört zum Zirkus dazu. Aber schöner Kitsch!
Wie macht man denn schönen Kitsch?
So wie wir (lacht). Uns gelingt die Mischung aus Eleganz, Glamour und Kitsch gut.
Wie viele Kostüme lassen Sie pro Jahr anfertigen?
Das ist von den Nummern abhängig. Dieses Jahr sind es sechs verschiedene.
Finden Sie es schade, dass diese aufwendig und teuer hergestellten Kostüme nur ein Jahr lang getragen werden?
Ja. Aber sie mehrfach zu verwenden, entspräche nicht unseren Standards. Das wäre zu langweilig. Wir haben immer neue Nummern und neue Musik, da müssen auch die Kostüme neu sein.
Würden Sie gerne öfter in Zirkuskostümen durch die Welt spazieren?
Ja, aber nur zu speziellen Anlässen. Prinzessin Stéphanie aus Monaco, eine gute Familienfreundin, hat mich einmal gefragt, ob sie einen meiner Fracks für einen grossen Anlass tragen dürfe. Natürlich habe ich ihn ihr ausgeliehen. Als die Prinzessin ihn dann trug, stellte sie fest, dass in den extra für die Vitamine der Pferde eingenähten Seitentaschen noch welche drin waren. Da musste sie sehr lachen.
Wie haben sich die Zirkuskostüme im Laufe der Zeit verändert?
Früher, in den siebziger Jahren, da hatten wir wunderschöne Kragen mit Federn. Allgemein waren die Kostüme opulenter. Mit mehr Glanz und Steinen verziert. Das haben die Kostüme heute schon auch noch, aber in einer feineren Form.
Gibt es in der Welt der Zirkuskostüme Trends?
Ich glaube schon. Im Moment wäre es eben diese leichte Zurückhaltung. Übrigens auch bei den Tieren. Früher trugen die Pferde unseren Kostümen angepassten Kopfschmuck mit Federn. Heute ist nackt am schönsten.
Lassen Sie sich von den Laufstegen inspirieren?
Ja. Eine Kollektion von Dior hat mich zu diesem spanischen Look mit langen Jupes und kleinen Boleros inspiriert.
Und umgekehrt hat die Manege auch schon so manche Kollektion grosser Modehäuser inspiriert.
Ja. Ich habe mir schon ein paar Mal gedacht: Die zeigen auf dem Laufsteg die Jacke, die ich in der Manege getragen habe. 2019 präsentierte Dior eine ganze Kollektion, die vom Zirkus inspiriert war.
Sassen Designer auch schon bei Ihnen im Zelt?
Ja klar! Albert Kriemler von Akris natürlich. Und Guram Gvasalia von Vetements.
Haben Sie aus Ihrer gesamten Karriere im Zirkus ein Lieblingskostüm?
Ich habe einmal eine Nummer mit Kamelen gemacht. Dafür trug ich ein von der Mongolei inspiriertes Kostüm mit aufwendigen Stickereien. Das war eines meiner teuersten und liebsten Kostüme. Und natürlich das Kleid, das Jean-Paul Gaultier für mich für ein Finale gemacht hat.