Der eine malt seine unmittelbare Lebenswelt so, wie sie ist. Der andere übt mit drastischen Bildern beissende Kritik an der Gesellschaft. Die Bilder von Adolf Dietrich und Otto Dix könnten gegensätzlicher nicht sein. Das Museum zu Allerheiligen zeigt sie in einer gemeinsamen Schau.
Bild links: Adolf Dietrich: «Gelbe Dahlien vor Seelandschaft», 1940. Bild rechts: Otto Dix: «Matrosenbraut», 1921.
Adolf Dietrich und Otto Dix lebten einige Jahre nicht weit voneinander entfernt – der Schweizer im thurgauischen Berlingen, der Deutsche in Hemmenhofen am Untersee. Die paradiesisch schöne Landschaft des Bodensees hat beide Maler inspiriert. Beide gehörten auch zu einer Kunstströmung, die ab 1920 als Neue Sachlichkeit bekannt wurde. Sie waren etabliert, in vielen Ausstellungen hingen ihre Werke direkt nebeneinander.
Teilweise wurden sie von denselben Galeristen und Sammlern gefördert. Doch haben sie einander gekannt? Ihre Kreise, ihr Leben hatten nichts Gemeinsames. Einiges spricht dafür, dass sie sich nicht verstanden haben.
Im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen sind Dietrich und Dix nun in einer gemeinsamen Ausstellung vereint. Es ergibt Sinn, sie zusammen zu zeigen, nicht nur durch die Nähe ihrer Lebensorte. Sie haben dieselben Sonnenuntergänge über dem See gemalt und das grandiose Schauspiel des aufbrechenden Eises. Die Gründe, weshalb sie hier waren, sind allerdings nicht vergleichbar.
Dietrich war ein Einheimischer, 1877 in Berlingen geboren und zutiefst vertraut mit der Region. Bis zu seinem Lebensende wohnte er im bescheidenen Elternhaus, wo er am Tisch sitzend seine Bilder malte. Er war Autodidakt. Auf Wunsch der Eltern lernte er in einer Trikotfabrik und arbeitete als Maschinenstricker. Erst ab 1920 konnte Dietrich allmählich von Bilderverkäufen leben.
Der 1891 geborene Otto Dix war ein Exilant am Bodensee. 1933 war er hierhergekommen, nachdem er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus seiner Professur an der Kunstakademie Dresden entlassen worden war. Er war ein Künstler, der das Getriebe der Grossstadt brauchte. In ihren Strassen und Etablissements fand er seine Motive: die Arbeiterkinder und die Prostituierten, die Fabrikherren und die Kriegsversehrten.
Die beissende Kritik dieser Bilder hatte ihm Ruhm eingebracht, ebenso wie das virtuose Spiel mit Techniken und Stilen. Am Bodensee war Dix auf sich selbst zurückgeworfen. Er arrangierte sich mit der «zum Kotzen schönen» Landschaft und betrieb seine Malerei als eine Art Emigration.
Sachlich und nicht naiv
Adolf Dietrich hatte seine kleinformatigen Bilder viele Jahre vor allem für sich selbst gemalt. An den Kunstvereinen von Schaffhausen und Konstanz wie auch an den Museen von Zürich und Winterthur hatte er sich vergeblich um Ausstellungsmöglichkeiten bemüht. Erst als der Mannheimer Galerist Herbert Tannenbaum eher zufällig auf ihn aufmerksam wurde und ihn in Berlingen besuchte, änderte sich Dietrichs Situation.
Tannenbaum muss damals in dieser Malerei etwas erkannt haben, eine Qualität, die den Autodidakten auszeichnete und mit der er in bedeutenden Ausstellungen bestehen konnte. Er vermittelte Dietrichs Bilder in ganz Deutschland. Der Kontakt zwischen Galerist und Maler blieb zeitlebens bestehen, auch nach der Emigration Tannenbaums in die USA.
Was war es, das den Schweizer Maler in den Augen des Galeristen auszeichnete? Man muss die Bilder als Originale anschauen, um zu erahnen, was Tannenbaum gesehen hat. Dietrich malt, als ob er allem einen gebührenden Platz geben müsste. Noch das kleinste Ästlein am winterlichen Baum ist ihm wichtig. Ob Landschaft oder Porträt – alles hat Wert, in den Raum seiner Bilder aufgenommen zu werden.
Dietrich hält die Dinge seiner Welt in über tausend Werken fest, versichert sich ihrer, als müsste er das Gesehene mitnehmen, um es nicht zu verlieren. Seine Malerei ist eine Form der Wirklichkeitsaneignung. In seinen Bildern sind die flüchtigen Dinge anwesend, selbst wenn sie vergangen sind.
An der scheinbaren Naivität von Dietrichs Malerei blieben Kritiker meist haften, auch als der Künstler längst anerkannt war: Er könne eben nicht anders als malen, hiess es etwa. Es sind merkwürdig relativierende Urteile, die eher etwas über die Haltung des Kritikers verraten als über die inneren Beweggründe des Künstlers.
Dietrichs Blick bleibt bei aller Liebe zu seinen Motiven immer kühl. Er ist eben nicht «innig», wie gern über ihn behauptet wurde. Er komponiert präzise – teilweise nach eigenen Fotos – wägt alle Teile seiner Bilder genau ab. Die Bezeichnung «sachlich» ist für Dietrichs Kunst treffend. Vielleicht war es diese Wahrheit des Sehens, die den Galeristen Tannenbaum fasziniert hat.
Die Wunden der Zeit
«Die Neue Sachlichkeit, das habe ich erfunden.» Otto Dix hatte keinen Mangel an Selbstbewusstsein. Die Malerei hat er professionell studiert, und zwar nicht nur an der Akademie, sondern auch bei den alten Meistern. Dix hat sich überall in der Geschichte der Kunst umgeschaut und sich ihrer Stile und Motive bedient.
Wer genauer hinsieht, findet, von Schongauer bis zum Kubismus, fast aus jeder Epoche etwas. Seine besten Bilder malte er, wenn er drastisch sein konnte: die Runde der Skatspieler mit Prothesen und zerschossenen Gesichtern, der verhärmte Arbeiter in der schäbigen Kammer. Dix brauchte die Wunden des Zeitgeschehens, um zur Höhe seiner Kunst zu kommen.
In Schaffhausen sind sowohl Bilder von Dix’ Kriegsmotiven zu sehen als auch einige seiner Grossstadtbilder. Die Landschaften der Hemmenhofener Emigration sind neben den Bildern von Dietrich platziert. Doch es sind weniger die Bodensee-Motive, die Aufschlussreiches zum Wesen der Maler liefern, als vielmehr manche Porträts. Beide haben ihre Eltern gemalt. Dietrich 1905 in zwei hieratisch wirkenden Frontalbildern vor dunklem Grund. Dix 1921, die Eltern beieinander sitzend in der häuslichen Stube. Beide Maler kamen aus einfachen, aber soliden Verhältnissen.
Dix, dem viele Porträts zur Karikatur geraten, malt seine Eltern mit Würde. Gealtert und durch ein arbeitsreiches Leben verhärmt, sitzen sie dem Betrachter gegenüber. Gesichter und Hände sind sprechend und zeigen zwei Menschen, die das Leben gezeichnet hat. In Dietrichs Frontalporträts hingegen erscheinen die Eltern streng und unnahbar, als zwei unverrückbare Instanzen. Anders als die Eltern von Dix haben sie die künstlerische Ausbildung ihres Sohnes nicht unterstützt.
Adolf Dietrich hat nie geheiratet. Nach dem Tod der Mutter lebte er mit dem Vater in einer Art Gemeinschaft. Seine Laufbahn als Künstler begann erst nach dessen Ableben. Dietrich blieb dem Elternhaus verhaftet, verliess nie den Ort. Dass seine Bilder in vielen Ausstellungen Deutschlands und der Schweiz gezeigt und verkauft wurden und sogar nach Paris und London kamen, änderte nichts daran. Im Grunde war er einfach glücklich, dass er ab einer gewissen Zeit nur noch malen konnte. Er brauchte kein Getriebe, seine Bilder offenbaren, dass die Welt im Thurgau sein kann.
Dietrich und Dix haben ausser manchen Motiven der Bodenseelandschaft nichts gemeinsam. Der Vergleich in der Ausstellung ist dennoch gewinnbringend. Denn jeder lässt die Eigenart des anderen schärfer hervortreten. Vielleicht würden die Bilder von Dietrich nicht so glasklar wirken, wenn nicht Dix’ heroisch aufgewühlte Landschaften daneben hingen. Das Konstante im Werk des einen zeigt die sprunghaften Wechsel des anderen umso deutlicher. Vielleicht wären beide erstaunt, hier so nah nebeneinander zu sein.
Otto Dix – Adolf Dietrich. Zwei Maler am Bodensee. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, bis 17. August. Katalog Fr. 38.–.