Auf Social Media legen sich Frauen mit Kollagenmasken, Klebestreifen und Kinnriemen schlafen. Sie tun es für ihre Schönheit. Ob sie so das Bett noch mit jemandem teilen, ist eine andere Frage.
Schlaf ist eine geniale Erfindung der Natur, aber für den leistungsorientierten Menschen eine ewige Provokation. Schrecklich unproduktiv geht es dabei zu, es gibt nichts zu erleben ausser ein paar schreckliche Träume, nichts zu konsumieren, total tote Zeit. Dass der Körper derweil sehr wohl etwas und sogar schier Unglaubliches leistet und sich repariert, erneuert und so weiter – geschenkt. Denn diese Frischzellenkur gibt es ja gratis und frei Haus für alle. Im Zeitalter von Selbstoptimierung und gnadenlosem Konkurrenzdenken ist derlei passive «Von nichts kommt viel»-Logik zutiefst unbefriedigend. Irgendwas geht immer. Es muss.
Zum Glück gibt es Tiktok und Menschen mit jeder Menge demonstrativer Energie. Dort zeigen manche Frauen seit einiger Zeit, was sie nachts alles anstellen, um am nächsten Morgen noch schöner, noch strahlender, noch glatter auszusehen. Der normale Schönheitsschlaf 1.0 war gestern, jetzt wird doppelt und dreifach nachgeholfen. Etwa mit einer Kollagenmaske, die nach dem Aufstehen abgezogen wird wie getrockneter Uhu-Kleber, einem Riemen um den Kopf für eine straffere Kinnpartie, einem Pflaster über dem Mund, um ausschliesslich durch die Nase zu atmen, und einer Seidenhaube über den lockengewickelten Haaren.
Das «Wall Street Journal» schrieb kürzlich, diese Frauen würden nachts wie «Monster» aussehen, aber das trifft es nicht ganz. Sie sehen mit all dem Zeug im und um das Gesicht nicht furchterregend, sondern vor allem bescheuert aus.
Wer schön sein will, muss leiden
«Morning shed», von «abschuppen», so nennen es die Influencerinnen, wenn sie morgens vor dem Spiegel die diversen Schichten abpellen. Wie Raupen, die aus ihrem verschrumpelten Kokon schlüpfen und plötzlich prallhydrierte Schmetterlinge sind. Klingt ein bisschen nach Science-Fiction, aber das Versprechen ist verführerisch.
Was hat der Mensch nicht schon alles getan, um schön zu sein. Sich liften, spritzen oder wie Linda Evangelista die Fettzellen wegkühlen lassen. Beim neuen Schönheitsritual scheint zur Abwechslung wenigstens das Leiden wegzufallen. Nur auflegen, hinlegen, einmal drüber schlafen, fertig ist der Glow. Das erinnert an Nachtzugfahren. Da kommt man auch schlummernd ans Ziel, nur dass man im Liegesessel am nächsten Morgen doppelt fertig aussieht.
Entsprechend viele Nachahmer findet der Trend der «overnight treatments». Einmal ausprobieren kann ja nicht schaden und kostet vergleichsweise wenig. Die Biodance Bio-Collagen Real Deep Mask ist für 7 Franken 50 die Packung zu haben. Statt eines «Klimm-» beziehungsweise «Kinnzugriemens» kleben sich manche einfach ein halbes Dutzend Streifen buntes Kinesiologie-Tape wie vom Physiotherapeuten ins Gesicht. Moderne Kriegsbemalung im Kampf gegen das Altern.
Sich dem andern hässlich zeigen
Allerdings sind Singles hier eindeutig im Vorteil. Wer den Partner oder die Kinder damit nicht verschreckt, wird offensichtlich wirklich geliebt – oder schon lange nicht mehr richtig angeguckt. Manche Frauen benutzen die Nachtmontur nur, wenn der andere verreist ist. Oder er ist schon zu Bett gegangen, und sie stehen dann vor ihm auf. Nicht optimal. Da hat man über Jahrzehnte versucht, nicht hässlich wie die Nacht zu sein, und teure Négligés gekauft, das Schlafzimmer mit Designer-Bettwäsche und Duftkerzen ausstaffiert, nur um jetzt eine amateurhafte Privatvorstellung von «Die Mumie» abzuliefern.
Auch findet die eine oder andere es laut Testberichten nur mittelangenehm, mit zugekleistertem Gesicht zu schlafen. Vor allem, wer zu den Seiten- oder Bauchschläferinnen gehört. Merke: Schönheitsschlaf ist nicht gleich erholsamer Schlaf. Aber man kann sich sicher auch daran gewöhnen. Cristiano Ronaldo schlief angeblich eine Zeitlang immer nur 90 Minuten am Stück für bessere Erholung und ideale Verdauung. Der Wille zur Selbstoptimierung muss schon vorhanden sein.
Wahrscheinlich gibt es demnächst noch jede Menge mehr Ideen und Produkte, wie wir im Schlaf schöner, fitter, dünner und schlauer werden. Manche setzen bereits auf Klangquellen mit niedrigen Frequenzen, sogenanntem «rosa Rauschen», um während des Tiefschlafs das Herz zu stärken. Laut einer Studie soll ausserdem massvoller Weinkonsum, insbesondere vor dem Zubettgehen, die kognitiven Prozesse im Gehirn fördern und das Gedächtnis stärken. Da wäre man im Traum nicht draufgekommen.