Gehypter Modetrend
Und wieder geht dank Tiktok ein Modetrend viral. Dieses Mal sind Pelzmäntel, rote Nägel und kriminelle Machenschaften involviert.
Es ist gefühlt Jahrzehnte her, dass Tiktok noch für tanzende Teenies bekannt war. Derzeit macht die chinesische App vor allem mit viral gegangenen Wortsalaten auf sich aufmerksam, die dann zu mehr oder weniger verbreiteten Modetrends werden. «Coastal Grandma» war einer – damit zelebrierten Fans reiche Grossmütter in Häusern mit Meerblick und einer Vorliebe für graue Cardigans. «Old Money Aesthetic» bediente sich mit Polo-Shirts und Loafer am Look des Generationenreichtums. Und nun soll es «Mob Wife Aesthetic» sein.
Pasta und Pelzmäntel
Würfe man diese drei Wörter einer Person auf der Strasse zu, man würde vermutlich höchstens einen verwirrten Blick erhalten. Aber tippt man sie online ein, tut sich eine Welt auf. Es riecht nach frisch angebratenem Knoblauch. Im Hintergrund spielt der Song «Woke Up This Morning» von Alabama 3, der einst den Vorspann der Serie «The Sopranos» hinterlegte. Vielleicht hört man dazu das muntere Geplapper einer grossen Familie oder Pistolenschüsse in der Stille.
Im Mittelpunkt stehen die Mob-Wife – die Mafiabräute – und ihre Garderobe: üppige Pelzmäntel, schwarze Nylonstrumpfhose, spitze Stilettos, ein enger Lederrock. Sie ist stark geschminkt, mit Kajal und/oder rotem Lippenstift. French Nails oder eine leuchtend rote Maniküre zieren ihre Hände. Dazu kommen viel Goldschmuck, eine grosse Sonnenbrille und eine Designertasche, ovviamente italienisch.
Protz statt leiser Luxus
Der Look ist auf den ersten Blick alles andere als zeitgenössisch. Trotzdem wurde er von diversen Modezeitschriften zum ersten grossen Trend des Jahres 2024 gekürt. In vielerlei Hinsicht ist er das Gegenteil von dem, was zuvor angesagt war: Statt angepasst, artig und beige wie die «Vanilla Girls» sind die Mob-Wives laut, furchtlos und bunt. Sie sind erwachsen geworden, sind nun «Wives» statt «Girls» (was in diesem Fall nicht zwingend mehr Selbständigkeit bedeutet). Statt zurückhaltend geschminkt wie bei der «Clean Girl Aesthetic» wird richtig dick aufgetragen. Anstatt dem Luxus leise zu frönen, protzt man.
Das kann man durchaus als stilistische Rebellion lesen. Auch, weil die «Mob Wife Aesthetic» weit entfernt von politisch korrekt ist. Erstens ist da die organisierte Kriminalität, die hinter der Inspiration steckt: Ob nun die Protagonistin Unkenntnis vortäuscht oder im Geheimen alle Stränge in der Hand hält, fein raus kommt sie in den seltensten Fällen.
Als (Stil-)Vorbilder dienen Michelle Pfeiffer in «Scarface», Sharon Stone in «Casino» und Edie Falco oder Drea de Matteo in «The Sopranos», das dieses Jahr sein 25-Jahr-Jubiläum feiert. Für diese Frauen ist Mode zugleich Identität und ein Pflaster, das niemals gross genug sein wird, um die emotionalen Wunden eines turbulenten Lebensstils abzudecken. So zerzaust, wie ihre Haare manchmal sind, so befleckt ist ihre Moral.
Zweitens ist die Garderobe an sich ethisch schwer vertretbar, allen voran die Pelzmäntel. Die meisten Tiktoker empfehlen deswegen entweder Pelz aus zweiter Hand – wovon es auch hierzulande genügend gibt – oder Kunstpelz. Obwohl sich der Trend einer Vintage-Ästhetik bedient, hat also auch die Fast-Fashion-Industrie dessen Potenzial erkennt. Gibt man etwa auf der Website des chinesischen Anbieters Shein den Begriff «Mob Wife» ein, tauchen Hunderte Produkte auf: Kunstpelzjacken aus Polyester in allen Formen und Farben, Leggings im Lederlook und ein Shirt mit der wirren Aufschrift «IT’S OK FUN HAVE FUN JOYFUL» in Strasssteinen – was wohl so viel heissen soll wie «es ist okay, Spass zu haben».
New Jersey statt Neapel
Neben dem verschwenderischen Konsum ist es auch noch kulturelle Aneignung, die dem Trend nun angelastet wird. Italienische Tiktokerinnen kritisieren den Fokus auf New Jersey statt Sizilien, und echte Mob-Wives auf der Social-Media-Plattform bemängeln die implizite Verherrlichung von Gewalt. Unbestritten ist, dass die Ästhetik wie viele auf Tiktok geborene Trends mit Klischees spielt. Das ist meist nur eine kurze Zeit lang spannend.
Die Analyseplattform Trendalytics etwa gibt der «Mob Wife Aesthetic» laut CNN eine Lebenszeit von lediglich sechs Monaten. Auch auf der Plattform Google Trends zeigt die Trendlinie nach ihrem Höhepunkt vor zwei Wochen wieder nach unten. Eher werden sich wohl einzelne Aspekte durchsetzen, sei es die blutrote Maniküre oder der pelzige Mantel.
In der Zwischenzeit hat selbst «The Godfather»-Regisseur Francis Ford Coppola seinen Spass am Trend. Er postete auf Instagram kürzlich eine Hommage an Connie und Kay Corleone, zwei der im Mafiastrudel gefangenen Frauen seiner berühmten Filmreihe. «I hear the mob wife aesthetic is making a come back …», begann seine Bildunterschrift.