Nach der Gründung 1989 katapultierte sich Leftfield an die Spitze der britischen Dance-Szene. Noch immer vermag die Gruppe Hallen zu füllen. Das Duo spielt zum Auftakt des Lethargy-Festivals in der Roten Fabrik.
Manchmal trifft er es: «Du weisst, dass ein neuer Stil angekommen ist, wenn die Alten sagen, es töne alles gleich.» So hat man das Zitat von Diedrich Diederichsen in Erinnerung. Der deutsche Pop-Theoretiker hat sonst bei Journalisten einen schlechten Ruf, weil er so viel schreibt und so kompliziert.
Aber hat er nicht recht? Die Klassiker fanden den Jazz primitiv, die Swing-Stars fanden den Bebop zu wild, die Blueser fanden den Rock primitiv, die Rocker fanden den Punk vulgär, die Punker fanden Techno monoton. Die Techno-DJ hatten Humor und nannten ihre neue Musik manchmal selber «Bum Bum». Unterdessen ist Techno auch nicht mehr ganz frisch; dafür passt er jetzt ins Landesmuseum.
Man sieht nicht einmal ihre Gesichter
Womit wir beim Eröffnungskonzert in der renovierten Aktionshalle der Roten Fabrik wären, auch sie ist also alt geworden. Dass die Renovation gelungen ist, zeigt sich paradoxerweise darin, dass man die Halle gar nicht wahrnimmt, sie ist sozusagen protestantisch kahl – das Aufregende soll auf der Bühne stattfinden.
Aber nicht bei Leftfield, dem englischen Electro-Duo mit dem Keyboarder und Gründungsmitglied Neil Barnes und einem Elektroschlagzeuger, wobei die beiden gelegentlich von einer Sängerin oder einem Sänger komplettiert werden. Das Verb ist mit Bedacht gewählt, weil das Duo ohne sie dasteht und dasitzt wie zwei DJ, also beinahe reglos.
Das passt zum Genre, denn beim Techno sind die Tanzenden die Stars, also das Publikum. Auf der Bühne geschieht wenig, das Publikum sieht nicht einmal die Gesichter der Musiker, sie liegen ganz im Dunkeln. Der Keyboarder spielt Unsichtbares, der Schlagzeuger klopft einen durchgehenden Viervierteltakt.
Wohl darum hängen Bildschirme über den beiden Männern, wobei man schnell realisiert, dass sie bei jedem Stück zwar etwas anderes zeigen, das ganze Stück hindurch aber das Immergleiche. Leftfield inszeniert seine Langeweile mit Konsequenz. Dazu passt, dass der Keyboarder nach einer halben Stunde etwas sagt, was aber niemand versteht. So anonym hat man selten eine Band spielen sehen.
Monoton, trotzdem pulsierend
Ein monotones Konzert also, jedenfalls visuell. Akustisch aber trotzdem pulsierend, elegant, aufregend. Es kommt einem vor, als wollten die Musiker im eigenen Auftritt verschwinden, um die Musik besser wirken zu lassen. Denn Leftfield kombiniert seine Techno- und House-Beats mit dem echoverhallten Gesang von Dub, mit Breakbeats und Reggae. Daraus entsteht sinnlicher Techno, die Kombination zweier Ekstasetechniken. Dass das funktionieren kann, belegt der Erfolg des Duos. Denn Leftfield schaffte es mit seinen Platten bis in die englische Hitparade. Das erste Album erschien vor über fünfunddreissig Jahren und das letzte Album vor drei.
Wer nicht mehr zwanzig ist, sondern über fünfzig, gilt schon dreissig Jahre lang als uncool, das Alter der Leute im Publikum belegt es. Die Aktionshalle ist dennoch gut gefüllt, das Duo konnte die Anziehungskraft seiner Musik bewahren. Trotz den harten Beats klingt sie fliessend und melodisch, das unterscheidet sie vom Techno, der meist ja funktional organisiert ist, als Musik nicht primär zum Hören, sondern vor allem zum Tanzen.
Verbindung von Hast und Ruhe
Leftfield eröffnet mit seinem Auftritt nicht nur die renovierte Rote Fabrik, sondern auch das Festival Lethargy, das den Witz seiner Gründer belegt. Einst wurde die Lethargy-Party als Alternative zur grossen Energy-Party im Hallenstadion lanciert; ihrem Namen zum Trotz hat sie drei Jahrzehnte überdauert. Lethargie aber ist der letzte aller möglichen Zustände, die man mit dieser Musik an diesem grossartigen, zugleich hellwachen und verträumten Konzert assoziiert.
Was Leftfield als Musiker auszeichnet und das Konzert zu einem grossartigen Anlass geraten lässt, ist die Verbindung von Hast und Ruhe, schnellen Rhythmen und wehenden Tastentönen. Und anders als bei seinen sonstigen Auftritten muss Leftfield die Lautstärke seines Konzertes auf das Erträgliche reduzieren. So will es die Stadt, aber es erweist sich als angenehmer Zwang. Denn man kann hören, ohne zu leiden. Und man hört Erstaunliches, allem voran das: Wie lebendig eine Musik klingen kann, die von einem dermassen monotonen Beat angetrieben wird.