Gute wirtschaftliche Beziehungen zu den USA waren für die Schweiz immer wichtig. Aber oft konfliktreich. 1917 kam es zu einer Krise. Die Verhandlungen standen während Monaten auf der Kippe.
Im April 1917 traten die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg ein. Auslöser war vor allem der entfesselte U-Boot-Krieg des Deutschen Reiches, der den transatlantischen Nachschub an die Alliierten unterbinden sollte. Die Versenkung amerikanischer Schiffe führte in Washington zum Entschluss, aktiv in den Krieg einzugreifen. Damit verschoben sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Alliierten.
Für die Schweiz war dies einschneidend: Mit dem deutschen U-Boot-Krieg und Amerikas Kriegsteilnahme brach die liberale Vorkriegsordnung endgültig zusammen. Die Epoche, die auf Freihandel beruhte und der Schweiz eine grosse Handlungsfähigkeit ermöglicht hatte. Stattdessen kam es zum globalen Wirtschaftskrieg.
Durch die deutschen U-Boote und die amerikanischen Restriktionen drohte der Kleinstaat Schweiz vom transatlantischen Raum abgeschnitten zu werden. Der freie Zugang zu Rohstoffen aus Übersee, darunter dringend benötigtes Getreide für die Ernährung der eigenen Bevölkerung und wichtige Produkte für die Industrie, war infrage gestellt. Noch wichtiger aber war, dass die moralische Unterstützung der USA für die neutralen Staaten entfiel.
Ab dem Frühjahr 1917 verschlechterte sich die Stimmung Amerikas gegenüber den Neutralen rapide. Man verdächtigte sie, dem Kaiserreich bei der Umgehung der Wirtschaftsblockade zu helfen. Besonders die Schweiz, deren Aussenhandel eng mit Deutschland verbunden war, stand im Verdacht, mit Deutschland zu kollaborieren und Umgehungsgeschäfte zu ermöglichen.
Die USA stoppen Lieferungen
Erste Exportverbote für Getreide und Fette folgten. Der drohende Lieferstopp der USA erhöhte den Handlungsdruck in Bern. Auch die Schweizer Öffentlichkeit drängte darauf, das Lobbying in Washington zu verstärken. Angesichts dieser Situation entschloss sich der Bundesrat im Sommer 1917, eine Delegation in die USA zu entsenden.
Diese «Swiss Mission» sollte das angeschlagene Ansehen der Schweiz stärken und dank einem Handelsabkommen die Rohstoffzufuhr sichern. Für diese Aufgabe bestimmte der Bundesrat den Textilunternehmer und Nationalrat John Syz, den Genfer Wirtschaftsprofessor William Rappard und den Berner Juristen und Verleger Wilhelm Stämpfli. Alle drei hatten familiäre Beziehungen oder berufliche Verbindungen in die USA.
Zeitgleich mit der «Swiss Mission» wurde auch der Botschafter in Washington ausgewechselt, weil er in der amerikanischen Öffentlichkeit als zu deutschfreundlich galt. Der Bundesrat ernannte stattdessen den jungen Winterthurer Industriellen Hans Sulzer. Ohne formale diplomatische Ausbildung, aber mit internationaler Erfahrung und einem guten Netzwerk in der Schweizer Wirtschaftselite sollte er die Leitung der Gesandtschaft übernehmen.
Nach einer zweiwöchigen Reise über den Atlantik erreichten Sulzer und die «Swiss Mission» am 15. August 1917 den Hafen von New York. Kaum an Land, wurden sie von Journalisten bestürmt. Die Ankunft der Schweizer Handelsdelegation war ein Thema in den Medien.
Galadiner unter Schweizer Flagge
Tatsächlich gelang es der «Swiss Mission» und Sulzer, die öffentliche Wahrnehmung der Schweiz in den USA zu verbessern. Nebst direkten Treffen mit Präsident Wilson und hohen Regierungsvertretern nahmen die Delegationsmitglieder vielfältig Einfluss: Der Unternehmer Syz liess seine Kontakte zu Wirtschaftskreisen spielen, William Rappard lancierte eine Pressekampagne, und Wilhelm Stämpfli strich die caritativen Leistungen der Schweiz hervor.
Es war aber vor allem Hans Sulzer, der den Imagewandel herbeiführte. Er nutzte dafür sein breites Netz von Kontakten, unter anderem zu befreundeten Schweiz-stämmigen Industriellen an der amerikanischen Ostküste und in den gut etablierten Schweizer Kolonien. Am 6. Oktober 1917 gab der örtliche Swiss Club im Hotel «Astor» in New York ein Galadiner. Bei Kalbsbries und Wolfsbarsch unterhielt man sich, lernte sich kennen und frischte Beziehungen auf. Über dem Tisch, an dem die «Swiss Mission» und Hans Sulzer sassen, hingen die Flaggen Amerikas und der Schweiz.
Trotz der erfolgreichen Beziehungspflege gestalteten sich die Verhandlungen schwieriger als erwartet. Mehrmals kam es zu Blockaden, für die zum Teil auch die unzureichende Organisation auf amerikanischer Seite verantwortlich war. Die neugeschaffene Kontrollbehörde befand sich erst im Aufbau, und die Richtlinien der neuen amerikanischen Aussenhandelspolitik waren unklar. Vor allem aber fehlte es am Verständnis für die Situation der Schweiz.
Sulzer vermittelte während Monaten gegen alle Widerstände. Schliesslich kam unter seiner Führung Ende 1917 ein Abkommen zustande, das der Schweizer Industrie trotz der deutschen Blockade wichtige Rohstoffe sicherte und der Schweiz eine minimale, aber überlebenswichtige Getreideversorgung garantierte. Die NZZ lobte das Abkommen damals: Für die Lebensmittelzufuhr sei das «Schweizervolk» der «grossen amerikanischen Schwesterrepublik» zu tiefem Dank verpflichtet.
Anschluss an die Weltmacht
Es war Sulzer und seiner Gesandtschaft gelungen, Lebensmittel, vor allem Getreide und Mehl, sowie industrielle Rohstoffe in die Schweiz zu leiten. Und zwar in bedeutendem Umfang. Dadurch wurde der Weiterbetrieb der Schweizer Industrie sichergestellt, vor allem aber die Brotversorgung der ärmeren Bevölkerung. Zwar nahmen die sozialpolitischen Spannungen trotzdem stark zu. Im November 1918 kam es zum Landesstreik. Doch ohne das Abkommen wären die wirtschaftliche Lage und die Ernährungssituation viel prekärer geworden.
Dass es zum Verhandlungserfolg kam, war nicht nur dem Geschick der Schweizer Unterhändler zu verdanken, sondern auch der wachsenden Bedeutung, die die USA dem Kleinstaat beimassen. Nach dem Kriegseintritt wurde Bern für die Amerikaner zu einem der bedeutendsten Aussenposten. Sie nutzten das Land als Versorgungsstation für die eigenen Streitkräfte und als Drehscheibe für ihre diplomatischen Aktivitäten. Zudem entfalteten sie eine rege Öffentlichkeitsarbeit. Damit wurde der Grundstein für eine wirtschaftliche und kulturelle Annäherung gelegt, die bis in die Nachkriegszeit ausstrahlte.
Gegen Ende des Ersten Krieges tauchten erstmals die Umrisse der künftigen «Pax Americana» auf. Auch die schweizerische Aussenpolitik reagierte auf diese neue Konstellation. Als sich aller Augen auf die USA richteten, suchte die Schweiz, wie die meisten europäischen Neutralen, einen Anschluss an die neue Weltmacht.
Ein wichtiges Element war dabei die Strahlkraft von US-Präsident Wilson. Er wurde zur Personifikation einer neuen Ära. Seine Vision einer internationalen Friedensordnung wurde in der Schweiz positiv aufgenommen. Dass Genf 1919 zum Sitz des neu gegründeten Völkerbunds wurde, war nicht nur Symbolpolitik, sondern auch Ausdruck der Einbindung der Schweiz in diese neue Nachkriegsordnung.
Netzwerke pflegen
Der Erste Weltkrieg markiert den Aufstieg der USA zur Weltmacht. Aber er steht auch am Beginn einer stärker transatlantisch orientierten Schweizer Aussenpolitik, die im 20. Jahrhundert über weite Strecken bestehen blieb. Für die Schweiz wurden die letzten beiden Kriegsjahre zum nützlichen Labor. Damals wurden Formen der Politikgestaltung eingeübt, die später zum Tragen kamen: eine anpassungsfähige Diplomatie mit aktiver Einbindung der Privatwirtschaft in Fragen der Aussenwirtschaft und die Vertiefung und Pflege schweizerisch-amerikanischer Netzwerke.
Natürlich kann man die damaligen Ereignisse nicht tel quel mit den Problemen vergleichen, vor denen die Schweizer Handelsdiplomatie im Zollstreit mit den USA steht. Gültig bleibt aber, dass es für eine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz in schwierigen Phasen zentral ist, dass Staat und Wirtschaft eng kooperieren und sich rasch auf neue Herausforderungen einstellen. Besonders aber kommt es darauf an, trotz Rückschlägen in Verhandlungen die eigenen aussenwirtschaftspolitischen Ziele hartnäckig weiterzuverfolgen.
Florian Weber ist Wirtschaftshistoriker. Er befasst sich vor allem mit der Schweizer Wirtschaftsgeschichte und finanz- und währungsgeschichtlichen Themen.