Ein Clown macht im Zirkus Knie einer schönen Saxofonistin tollpatschige Avancen. Die Aktivistin Agota Lavoyer sieht darin die Vorlage für sexuellen Missbrauch.
Zirkus ist Unterhaltung der niederen Instinkte. Die Aufgabe von Clowns ist es, die Leute zum Lachen zu bringen durch ihr tollpatschiges Verhalten. Mit ihren Missgeschicken und Niederlagen haben sie auch etwas Anrührendes: Ein Clown muss viel einstecken, weil er so dumm und höchstens versteckt gewitzt ist. Er bewahrt sich so eine Unschuld.
Von dieser Unschuld erkennt Agota Lavoyer wenig im Fall des Clowns, der in der laufenden Saison im Zirkus Knie auftritt. Lavoyer ist Aktivistin gegen sexuelle Gewalt und hat schon einige Bücher zum Thema geschrieben. Dazu gehört «Jede_Frau», in dem sie «die Verharmlosung sexualisierter Gewalt als globale Krise» bezeichnet.
In der besagten Clownnummer versucht ein Clown sich einer schönen Saxofonistin anzunähern. Dabei weist sie ihn mehrfach zurück. Er umtänzelt sie, macht einen Kussmund in ihre Richtung. Sie bleibt unbeeindruckt, zeigt streng weg von sich. Worauf der Clown Trost beim Publikum sucht, hier eine Frau umarmt, dort eine Glatze streichelt. Auf Videos sieht man die derart «Bedrängten» lachen.
Zirkus Knie trage zu «rape culture» bei
Lavoyer, die sich eine Zirkusvorstellung ansah, findet nichts lustig daran. In einer Story auf Instagram schreibt sie, dass hier das Publikum aufgefordert werde, einen Clown zu bemitleiden, der eine Frau sexuell belästige und bedränge und nicht kriege, was er wolle. Sie kritisiert den Zirkus Knie, «der diese Nummer offenbar toll findet».
Deshalb sterbe «die rape culture» nicht aus: «Weil sie genauso, subtil in eine humorvolle Verpackung verpackt, an die nächste Generation weitergegeben wird.»
Man muss die Clownnummer nicht lustig finden. Es gibt Leute, die können Clowns nicht ausstehen, wobei die tendenziell auch nicht in den Zirkus gehen. Zudem ist es Lavoyers gutes Recht, ihre Meinung öffentlich kundzutun mit der Absicht, eine Debatte über missglückte Flirtversuche und Belästigung anzustossen.
Lavoyer geht aber weiter und setzt die erfolglose verbale und gestische Anmache des Clowns gleich mit Vergewaltigung. Dadurch wird tatsächliche körperliche Gewalt banalisiert. Nicht der linkische Flirtversuch ist eine Verharmlosung, sondern, diesen als Wegbereiter für schwere sexuelle Übergriffe zu bezeichnen.
Läuternde Funktion der Comedy
Gegenüber der Zeitung «20 Minuten» präzisierte Lavoyer: Hier werde ein Nein nicht als Nein akzeptiert, sondern man könne es als «Gib dir mehr Mühe» verstehen. Es werde suggeriert, dass Frauen nicht wüssten, was sie wollten, also zwinge sich der Mann der Frau so lange auf, «bis sie dann auch endlich merkt, was sie will».
Damit unterschätzt sie das Publikum. Die meisten Leute dürften zwischen einer Clownnummer und der Wirklichkeit unterscheiden können. Wenn es stimmen würde, dass Comedy zur Normalisierung von Gewalt führe, wie Lavoyer behauptet, müsste man alle gewalttätigen Filme verbieten.
Comedy hat auch eine läuternde Funktion. Man lacht über das Scheitern der anderen, was menschlich ist. Schon ein Kind dürfte wissen (und sonst sollen es ihm seine Eltern sagen): So macht man es nicht, wenn man einer Frau gefallen will.
Der Knie-Sketch endet zwar versöhnlich, die Frau zeigt Erbarmen und gibt sich freundschaftlich. Aber auch das gehört zur Erzählung rund um einen Clown: Der Verlierertyp kommt am Schluss ans Ziel und erhält alle Sympathien.
So verteidigt auch der Zirkus den Auftritt des Clowns. Dieser sei bewusst überzeichnet-kindlich konzipiert, eben als dummer August. Es gehe nicht darum, dass jemand zu etwas gedrängt werde, was er nicht wolle.
Als Funiciello das Lied «079» kritisierte
In den vergangenen Jahren und infolge von #MeToo wurden Bücher, Filme, Opern und Lieder immer wieder beanstandet, dass sie übergriffiges Verhalten verharmlosten oder verklärten. «Lolita» von Stanley Kubrick, Bizets «Carmen», das Lied «Every Breath you Take» von Police, das von einem Mann handelt, der jeden Atemzug seiner Geliebten überwachen möchte.
In der Schweiz gab 2018 das Lied «079» der Berner Musiker Lo & Leduc zu reden, der Sommerhit des Jahres. Die Debatte lancierte Tamara Funiciello, damals noch Juso-Präsidentin, die dem Song ebenfalls Sexismus vorwarf. «079» erzählt von einem Mann, der verzweifelt versucht, die Telefonnummer einer Frau zu erhalten. Die SP-Politikerin sah hier einen Stalker am Werk.
Auch dieser Fall zeigt: Die moralische Empörung ist umso ausgeprägter, je mehr man in den Phantasien herumfuhrwerken will. Es ist ein Lied, es ist Kunst, die nicht den Anspruch erhebt, die Welt abzubilden, wie sie im Idealfall sein müsste. Menschliche Leidenschaften verschwinden nicht, wenn man sie zensuriert.
Sexistisches Männerbild
Gerade das Flirten und Umwerben ist ein Spiel mit Mehrdeutigkeiten. Flirten bedeutet, Verunsicherung auszuhalten. Man macht sich verletzlich, weil man jemandem zu nahe treten und zurückgewiesen werden kann. Die Kulturkritikerin Laura Kipnis fragt angesichts der Empfindlichkeiten: «Wie weiss ich, dass eine Avance ungewollt ist, bevor ich es nicht versucht habe?»
Der Clown, in seiner Plumpheit, mag das nicht kapieren. Wenn man die Zirkusnummer aber schon so ernst nimmt, könnte man gerade so gut das Männerbild kritisieren, das hier vermittelt wird. Der Mann ist seinen Trieben ausgeliefert, ohne Empathie, ein Trottel, ein aufdringlicher Trampel. Jeder Mann müsste sich gegen diesen Sexismus wehren.