Seit kurzem fliegen Grossraumjets in die Antarktis. Für die Piloten ist das eine grosse Herausforderung, wie ein Mitflug in einem Airbus A340 zeigt.
Feste Flugpläne bei Verbindungen in die Antarktis sind kaum möglich. Das zeigt sich heute wieder beim Flug 3L 801. Der Abflug aus Kapstadt wurde kurzerhand um zwölf Stunden vorverlegt auf morgens um sechs, statt dass wie sonst am frühen Abend gestartet wird.
Darauf müssen Reisende ins ewige Eis immer eingestellt sein. Denn kein Flugziel auf der ganzen Welt ist so dem Diktat des Wetters unterworfen wie eine der wenigen für grosse Flugzeuge geeigneten Start- und Landebahnen auf dem siebenten Kontinent.
Trotzdem haben die portugiesische Airline Hi Fly, Spezialist für Spezialcharter, und der britische, in Kapstadt beheimatete Reiseveranstalter White Desert jetzt in der dritten Saison etwas geschafft, was bis vor wenigen Jahren unmöglich schien: regelmässigen Flugverkehr mit Grossraumflugzeugen in die Antarktis. Im November 2021 gelang Hi Fly die Pionierlandung, als sie erstmals überhaupt einen zivilen Grossraumjet des vierstrahligen Typs A340-300 sicher auf die Eispiste von Wolf’s Fang in Königin-Maud-Land brachte.
Seitdem hat sich binnen dreier Antarktis-Sommer ein regelmässiger und erstaunlich zuverlässiger Flugbetrieb zwischen Kapstadt und der einzigen privaten Eislandebahn auf dem siebten Kontinent entwickelt, über vierzig Mal landete die A340 bis heute im ewigen Eis. Zum Ende der gegenwärtigen Saison – eine solche dauert jedes Jahr von November bis Februar – konnten wir nun einen solchen Flug in die Südpolarregion begleiten.
Der Flugkapitän Adam Latsos ist bereits ein Routinier, heute fliegt er den Grossraumjet schon zum fünfzehnten Mal vom Kap aufs Eis. Er liebt diese Einsätze, weil sie immer noch eine Herausforderung sind. «Jeder Flug ist anders, es wird nie Routine, auch in gutem Wetter nicht, aber ich weiss genau, was ich tue», sagt der griechische Pilot, der zusammen mit einem ebenfalls griechischen Kollegen und einem Ersten Offizier aus Portugal bei Start und Landung im Cockpit sitzt, obwohl die A340 nur von zwei Piloten geflogen wird.
Unterwegs hat einer der drei jeweils Pause. Vor allem in der kritischen Phase der Landung ist auf Flügen ins Südpolargebiet immer noch fliegerisches Können gefragt, Improvisation und Handarbeit. Von der Südspitze Afrikas bis ins ewige Eis sind 4200 Kilometer über den Südlichen Ozean zu überwinden – in gut fünf Stunden Flugzeit. Hi Fly und White Desert mussten die Flugverfahren und alle Abläufe am Boden in der Antarktis erst selbst entwickeln.
Hinter allem steht Patrick Woodhead. Der britische Polarpionier und Weltrekordhalter gründete die Firma White Desert, die jedes Jahr rund 220 Touristen, aber auch 250 Passagiere, die auf Forschungsstationen arbeiten, in die Antarktis bringt. Sein Unternehmen beschäftigt dort inzwischen während der Saison 140 Mitarbeiter in zwei Luxuscamps für je maximal zwölf Gäste, aber vor allem rund um die drei Kilometer lange Runway von Wolf’s Fang.
Hier, 400 Kilometer landeinwärts von der Küste, liegt die einzige privat betriebene Start- und Landebahn des Kontinents. «Wir haben eine Flotte von drei Pistenbullys hier, die man sonst in Skigebieten sieht, und eine ganze Mannschaft von Spezialisten präpariert damit mindestens vier Tage lang die Bahn für eine einzige Landung», sagt Patrick Woodhead. Das Gletschereis darunter ist rund 700 Meter dick, «das ist eine grosse Sicherheitsmarge, anders als bei Meereis».
Am Südpol gibt es schon drei Pisten auf blankem Eis
In einem Radius von gut hundert Kilometern gibt es in Königin-Maud-Land zwei weitere Blaueispisten, Novo und Troll. Novo bedient die russische und die indische Forschungsstation und wird ebenfalls aus Kapstadt regelmässig von einem russischen Transportflugzeug des Typs Iljuschin Il-76 angeflogen. Der fensterlose Frachtjet nimmt bei Verfügbarkeit auch wenige zahlende Passagiere mit. Der Betreiber Ultima Antarctic Expeditions bietet in Novo ab der nächsten Saison eine kleine «Eco Lodge» für Übernachtungen an.
Die Eispiste von Troll machte kürzlich Schlagzeilen: Sie wird vom norwegischen Polarinstitut betrieben zur Anbindung der norwegischen Forschungsstation. Im November 2023 landete erstmals eine moderne Boeing 787 Dreamliner von Norse Atlantic Airways auf der Route Oslo-Kapstadt-Troll auf einem Versorgungsflug. Aber das wird die Ausnahme bleiben.
Patrick Woodhead dagegen würde seine Gäste nie mit einem Dreamliner in die Antarktis fliegen. Er schwört auf die A340, die mit ihren vier Triebwerken inzwischen bei Fluggesellschaften als unwirtschaftlich gilt, aber trotzdem bei Lufthansa, Edelweiss und Swiss noch fliegt. «Für uns sind die vier Motoren super wichtig», sagt er. «Wenn einer ausfällt, könnten wir immer noch von der Antarktis aus zurückfliegen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn eines dieser riesigen Triebwerke einer Zweimotorigen wie der 787 ein Problem hat und vor Ort ausgetauscht werden muss – das wäre ein Horror für die Logistik.»
Für White Desert lohnt sich der Einsatz des teuren Grossraumjets noch aus anderen Gründen: «Das Flugzeug ist immer voll mit Material, das wir für Stationen und unsere Camps einfliegen. Wir verschwenden nie ein Kilo Nutzlast.» Ausserdem kann eine A340 stundenlang kreisen und auf besseres Wetter für die Landung warten – und sonst immer noch umkehren.
Diesen Luxus haben andere Flugzeuge wie die Il-76 nicht. Zudem eignet sich die A340 auch als fliegender Tankwagen und lässt sich in der Antarktis stets einige Tonnen Treibstoff für die lokale Versorgung abpumpen. Bald ist zwar die Umstellung auf Solarstrom und die Erzeugung grünen Wasserstoffs direkt in der Antarktis geplant, aber bis jetzt läuft alles in Wolf’s Fang und den Camps mit Flugbenzin.
Der Kapitän Adam Latsos und seine Crew tanken heute Morgen in Kapstadt 86 Tonnen Sprit, gut 10 Tonnen weniger, als die Tanks fassen. Um 6 Uhr 45 biegt die A340 in der Morgensonne auf die Startbahn ein, hinter dem Terminal ragt der Tafelberg auf. «Moonraker 801, you are cleared for take-off», hören sie im Cockpit den Fluglotsen sagen. Hi Fly trägt das Funkrufzeichen aus dem gleichnamigen James-Bond-Film von 1979.
Mit gut 226 Tonnen Startgewicht bleibt die Maschine noch etwa 50 Tonnen unter dem Maximum. Der Frachtraum ist voll, die Kabine mit 54 Passagieren nicht. Sie ist besetzt mit Gästen, Mitarbeitern und Antarktis-Personal plus 14 Crewmitgliedern. Nach ein paar Minuten passiert der Flug 3L 801 das Kap der Guten Hoffnung im Steigflug, jetzt kommt nur noch Ozean. Es dauert viereinhalb Stunden, bis die ersten treibenden Eisberge sichtbar werden.
Bis hierhin haben die Piloten mit den Lotsen vom Kontrollzentrum Johannesburg Oceanic gesprochen, die diesen riesigen Luftraum am unteren Ende der Weltkugel überwachen. «Oft klappt die Funkverbindung so weit südlich nicht, dann texten wir oder nutzen das Satellitentelefon», sagt Latsos. «Anderen Flugverkehr gibt es hier unten nicht, wir dürfen daher in einem bestimmten Bereich sogar unsere Flughöhe frei wählen.»
Wettermeldungen kommen als Textnachrichten aus dem Drucker im Cockpit. Sie melden nachlassenden Schneefall und ausreichende Bremswerte auf der Eispiste. Um überhaupt landen zu können, müssen es mindestens minus sechs Grad Celsius sein, bei höheren Temperaturen wird die Oberfläche zu weich.
Landen auf Sicht ist zwingend
Die Landung ist der schwierigste Teil. Neben der Temperatur muss auch die Sicht stimmen. «Vom Boden gibt es keine Funknavigationshilfen, wir machen Sichtanflüge, was Piloten heute nicht mehr gewöhnt sind. Bei grossen Jets sind Instrumentenanflüge üblich, aber wir müssen im Endanflug von Hand fliegen», erklärt der Kapitän.
Unter dem Airbus leuchtet die Eiskante der antarktischen Küste, im blauen Ozean schwimmen Millionen Eisschollen und grosse Eisberge. Doch kurz darauf verdecken dichte Wolken die Sicht nach unten. Eine halbe Stunde vor der Landung hat das Cockpit den ersten Funkkontakt mit der Station in Wolf’s Fang und meldet die verbleibende Zeit bis zur Landung. «Die haben ja kein Radar und können uns nicht sehen, ausserdem brauchen wir das letzte Wetter», so Latsos.
Dieses sieht gerade gut genug aus: Wolkenuntergrenze 4800 Fuss (etwa 1460 Meter) über Grund. «4000 Fuss wären das absolute Minimum zur Landung», sagt der Kapitän.
Eine halbe Stunde vor Ankunft leitet er den Sinkflug ein. Vorher wird bereits in der Kabine die Temperatur gesenkt, die Passagiere haben ihre Polarausrüstung angezogen. Das Fahrwerk wird ausgefahren, ziemlich genau wie vorhergesagt sinkt die A340 bei 4800 Fuss durch die Wolkendecke. Darunter ist es überall grau-weiss, einzig die Bergkette voraus bildet den zur Orientierung so wichtigen Blick auf den Horizont.
Der Wetterbericht hat mittlere bis geringe Kontraste vermeldet, und das ungeübte Auge hat Mühe, am Boden irgendetwas Unterscheidbares zu entdecken, geschweige denn die Piste zu sehen. «Die Landung basiert hier auf Erfahrung, weil wegen der Reflexion vom Eis der Radiohöhenmesser nicht verlässlich ist», so Latsos. «Wenn du die Bahn nicht siehst, startest du nicht den Endanflug.»
Anders als der Gast im Cockpit haben die Adleraugen der Piloten aber bereits fünfzehn Meilen vor dem Aufsetzpunkt die Eispiste in Sicht, auf der es keine Befeuerung gibt. Nur ein paar kleine Fähnchen als Markierung, das Weiss der präparierten Landebahn hebt sich kaum gegen den Schnee der Umgebung ab. Zehn Meilen vor dem Touchdown beginnt der Endanflug.
Genau fünf Stunden und siebzehn Minuten nach dem Start im Hochsommer setzt das Grossraumflugzeug in Wolf’s Fang auf antarktischem Eis auf, südlich des 71. Breitengrades und immer noch 2064 Kilometer vom Südpol entfernt.
Beim Ausrollen macht der riesige Jet kleine Sprünge, ganz so wie Beton ist eine natürliche Eispiste auch nach tagelanger aufwendiger Herrichtung nicht. «Aber bremsen kann man hier erstaunlich gut, das ist etwa vergleichbar mit einer nassen Bahn anderswo», sagt Adam Latsos. Am Ende der Piste, die er nur zur Hälfte benötigte, steht eine 180-Grad-Wende, und gerade solche Manöver sind manchmal rutschig, aber alles geht gut.
Fast zehn Minuten dauert es, im Schritttempo zurückzurollen an den Anfang, wo das Flugfeld ist. Dann stellt der Pilot die Triebwerke ab, bis auf Motor Nummer 1, dieser bleibt an und rotiert im Leerlauf während der viereinhalb Stunden am Boden, damit die anderen später wieder anspringen. Sicher ist sicher.