Mit der Sendereihe «Klar» wollte die ARD eine breitere Zielgruppe ansprechen. Das Echo auf die ersten Folgen war überwiegend positiv. Trotzdem stellten Berufskollegen die Moderatorin in die rechte Ecke und mobbten sie aus dem Sender.
Enttäuscht und fassungslos sei sie, schreibt die deutsche Journalistin Julia Ruhs. Der Norddeutsche Rundfunk hatte kurz zuvor den Rauswurf der 31-jährigen Moderatorin aus seinem Programm bekanntgegeben. Vorausgegangen waren monatelange Anfeindungen und Intrigen, sogar von eigenen Kollegen. Dabei vertritt Ruhs lediglich eine konservative Perspektive, die aber im öffentlichrechtlichen Mediensystem eindeutig unterrepräsentiert ist.
Mit der im Frühling gestarteten Sendung «Klar», die vom NDR und dem Bayerischen Rundfunk produziert wird, wollten Ruhs und ihr Team aktuelle Streitthemen wie die Zunahme von Gewalt durch die unkontrollierte Migration und die gesellschaftlichen Folgen der Corona-Politik behandeln, dafür auch Kritiker zu Wort kommen lassen. Bewusst sollten Menschen angesprochen werden, die sich bislang eher nicht vom öffentlichrechtlichen Rundfunk repräsentiert fühlten oder sich sogar schon abgewendet hatten.
Dieser Anspruch entspricht nicht nur dem Rundfunkstaatsvertrag, sondern traf offenbar auch den Nerv des Publikums. Denn die Reaktionen auf die bislang ausgestrahlten drei Folgen waren positiv. Nach einer repräsentativen Umfrage bewerteten mehr als 60 Prozent der Befragten die Sendung als gut oder sehr gut.
Rechtsextremismus-Vorwürfe gegen die Redaktion
Intern wurde der Redaktion aber vorgeworfen, grobe handwerkliche Fehler zu machen und rechte Stimmung zu verbreiten. Schnell formierte sich Widerstand gegen Ruhs. Jan Böhmermann vom ZDF nannte das Magazin «rechtspopulistischen Quatsch». Die NDR-Kollegin Anja Reschke qualifizierte die Sendung als «ein bisschen rechtsextrem» ab.
Als die Kritik dann doch zu laut wird, rudert der NDR zurück und lässt durch die stellvertretende NDR-Hauptabteilungsleiterin Carola Conze erklären, dass es sich um eine satirische Zuspitzung von Reschke gehandelt habe. Doch da hatten schon zahlreiche Medien darüber berichtet, wie eine junge Journalistin im eigenen Sender verächtlich gemacht und in die rechte Ecke gedrängt wurde. Die Chefredaktion schaute dabei über Wochen tatenlos zu.
Als die NDR-Chefredaktion im April laut «Welt»-Recherche den Start der neuen Sendereihe «Klar» besprechen will, kommt es zum Eklat. NDR-Kollegen übergeben den Programmverantwortlichen einen offenen Brief, den 250 Mitarbeiter unterschrieben haben. Von der Verletzung journalistischer Sorgfaltspflichten ist darin die Rede, die Sendung wird als verstörend, oberflächlich und feindlich gegenüber Migranten bezeichnet.
Rund einen Monat später sind «Klar» und die Kritik an dem Format auf einer Versammlung mit dem Redaktionsausschuss wieder Thema. Moderiert wird die Veranstaltung von Anja Reschke.
Streit innerhalb der ARD um Julia Ruhs
Ruhs, die beim Bayerischen Rundfunk volontiert hat, wurde schnell bekannt und als junge konservative Stimme wahrgenommen, die sich meinungsstark in den sozialen Netzwerken präsentiert. Der erste Shitstorm überzog sie nach einem Kommentar über «Gender-Gaga» im «ARD-Mittagsmagazin», den sie 2021 noch als Volontärin sprach. In den «Tagesthemen» warb sie für eine härtere Asylpolitik – und sorgte damit ebenfalls für Aufsehen.
Ruhs arbeitete weiter an ihrer Marke als junge bürgerliche Journalistin, bekam eine eigene Kolumne bei «Focus online» und schrieb ein Buch mit dem provokanten Titel: «Links-grüne Meinungsmacht: Die Spaltung unseres Landes».
«Sowieso scheinen es viele mittlerweile verlernt zu haben, widerstreitende Meinungen auszuhalten», heisst es darin. Meinungen müssten schmerzhaft sein, eine Zumutung sein dürfen. Sie müssten die andere Seite herausfordern, ihr etwas abverlangen: nämlich Toleranz. Immer wieder thematisiert Ruhs, wie im öffentlichrechtlichen Rundfunk linke Positionen vorherrschten, andere Meinungen gar nicht erst zu Wort kämen.
Am Mittwoch verkündeten dann NDR und Bayerischer Rundfunk in einer gemeinsamen Erklärung, dass das Format «Klar» fortgesetzt werden soll. Der NDR will allerdings eine neue Moderation suchen. Auch der ursprüngliche Redaktionsleiter Thomas Berbner soll nicht mehr dabei sein. Beim BR wird Julia Ruhs weiter das Gesicht der Sendung sein. Offenbar sind sich auch bei der ARD die Programmverantwortlichen uneins, wie viel Meinungsvielfalt dem Zuschauer zugetraut werden kann.