Schreibt Rowling ausschliesslich für Erwachsene, tut sie das als Robert Galbraith. Bisher nutzte sie die Romane um zwei Privatdetektive auch dazu, Themen zu verarbeiten, für die sie von vielen Seiten kritisiert wird. Ist es diesmal anders?
Mit den Harry-Potter-Büchern ist J. K. Rowling unter ihrem bürgerlichen Namen steinreich und weltberühmt geworden. Schreibt sie allerdings explizit nur für Erwachsene, tut sie das als Mann. Ihr Pseudonym ist Robert Galbraith.
Das entbehrt hinsichtlich ihrer heftigen Kritik an Transmenschen – Transfrauen vor allem, von denen sie fürchtet, es seien Männer, die sich nur als Frauen ausgeben, um biologischen Frauen zu schaden – nicht einer gewissen traurigen Ironie. Eben erschien Robert Galbraiths neuster Krimi. Und man fragt sich: Worüber lässt Rowling sich wohl diesmal aus?
Vom Rechtsanwalt verraten
Als 2013 «Der Ruf des Kuckucks» erschien, Band eins ihrer Kriminalserie um den Privatdetektiv Cormoran Strike und seine Partnerin Robin Ellacott, lag die Diskussion um Transmenschen allerdings noch in weiter Ferne. Als Robert Galbraith reichte Rowling ihr Manuskript bei mehreren Verlagen ein, und als es publiziert wurde, wusste nur ein sehr kleiner Kreis von Menschen, wer dieser unbekannte Autor tatsächlich ist.
Das änderte sich schnell: Der verlagseigene Anwalt plauderte das Geheimnis aus, die Presse stürzte sich darauf. Rowling war wütend, der Rechtsanwalt wurde gebüsst, und das Buch schoss an die Spitze der internationalen Bestsellerlisten.
Später sagte Rowling in einem Interview, sie habe sich für ein Pseudonym entschieden, weil sie «ohne Hype oder Erwartungen arbeiten und völlig unverfälschtes Feedback» habe erhalten wollen. Für den Männernamen entschied sie sich, weil sie eine Autorenfigur schaffen wollte, die so weit wie möglich von ihr entfernt war.
Mit Anspannung erwartet
Rowling alias Galbraith nutzt ihre Kriminalromane auch als Vehikel. Nicht für Londoner Lokalkolorit, sondern für ihre politischen Ansichten und Themen, die sie beschäftigen. Mit der Figur der Privatdetektivin – jung, schön, viel Talent und wenig Selbstbewusstsein – erforscht Rowling etwa die weitverzweigten Folgen eines Traumas: Ellacott wurde als junge Frau vergewaltigt. Eine Tat, die ihr ganzes Leben umgeformt hat. Davon schreibt Rowling sanft und glaubwürdig. Vor einigen Jahren hat sie öffentlich gemacht, selbst Opfer sexueller und häuslicher Gewalt geworden zu sein.
Dass die Galbraith-Romane mit einer gewissen Anspannung erwartet werden, hängt aber vor allem damit zusammen, dass Rowling darin verarbeitet, was sie politisch beschäftigt. In «Troubled Blood» (2020) etwa jagt Ellacott zusammen mit ihrem Detektivpartner Strike, Ex-Soldat, illegitimer Rockstar-Sohn und eigentlicher Protagonist der Krimireihe, einem besonders blutrünstigen Serienmörder hinterher, der sich als Frau verkleidet, um seine Opfer in falscher Sicherheit zu wiegen. Augenblicklich wurde besonders online der Vorwurf der Transphobie laut.
Zwei Jahre später, Rowling hatte sich längst mit der Transgemeinschaft zerstritten und focht auf Twitter und anderen sozialen Netzwerken wütende Kämpfe aus, erschien «The Ink Black Heart» – eine Geschichte über Online-Gemeinschaften, Mobbing und Hass im Internet. Nun «The Hallmarked Man» – «der gezeichnete Mann».
Der Tote im Silbersafe
Im Safe eines Silberwarengeschäfts, nahe einer Freimaurerloge, liegt eine grausam zugerichtete Leiche. Derart verstümmelt, dass die Identität des Getöteten nur schwer zu bestimmen ist. Dennoch steht für die Polizei bald fest, wer das Opfer ist.
Eine junge Mutter aus der britischen Upperclass allerdings hat Zweifel. Sie ist überzeugt, dass es sich beim Toten im Silbersafe um den Vater ihres Kindes handelt, der noch vor der Geburt spurlos verschwand. Strike und Ellacott sollen Beweise finden, dass ihre Vermutung stimmt.
Was anfangs wie ein klarer Fall erscheint, gerät rasch ausser Kontrolle. Denn auch die Polizei muss zugeben: Ganz sicher kann man nicht sagen, wer im Safe erstochen wurde. Und plötzlich kommen mindestens vier junge Männer als Opfer infrage.
Ein Vehikel für die Liebe
Rowling treibt die Plots gekonnt parallel voran, ohne je den Faden zu verlieren, verwebt und verwirrt sie und weiss genau, wie sich Spannung erzeugen und aufrechterhalten lässt. Was bereits bei den Potter-Büchern als ihr grosses Talent zum Vorschein kam, kommt hier auf grausige Weise erneut zum Tragen: Was Rowling beschreibt, wird fass-, fühl- und schmeckbar. Bei Potter waren das zum Beispiel Bertie Botts Bohnen aller Geschmacksrichtungen. Nun sind es auch einmal die Gerüche von Leichen, die zu lange keiner entdeckt hat.
Die meisten Männer kommen bei Galbraith/Rowling noch immer nicht allzu gut weg. Sie sind sexistisch, übergriffig, suchtanfällig oder können zumindest nicht über ihre Gefühle sprechen. Sieht man von den grossen Vorbehalten ab, die Rowling gegenüber Männern zu haben scheint, hat sie ihre politischen Kämpfe nicht mehr in ihren Kriminalroman geflochten. Mehr als die vorherigen muss dieser Band stattdessen als Vehikel für eine Liebesgeschichte hinhalten.
Seit Band eins köchelt, einem viktorianischen Liebesroman gleich, die Anziehung zwischen den beiden Detektiven Strike und Ellacott auf kleinstem Feuer vor sich hin. Viel Entsagung und keine Erfüllung. Was erst ganz schön war, muss man nun grosszügig überlesen. Tut man das, bleibt ein durchaus packender Krimi.
Erscheint am 19. November: Robert Galbraith: Der Tote mit dem Silberzeichen. Ein Fall für Cormoran Strike. Aus dem Englischen übersetzt von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz. Blanvalet, München 2025. 1248 S., Fr. 44.90.