Am Donnerstag feierte «Blösch» Premiere auf der Pfauenbühne. Für die Höhepunkte in Mike Müllers schweizerdeutschen Bühnenfassung von Beat Sterchis berühmtem Roman sorgt das Schauspielensemble.
Was für ein harmonisches Bild: inmitten einer grasgrünen Hügellandschaft ein Bauernhaus mit Schindeldach, ein helles Holzchalet, so putzig und sauber, als wäre es gerade aus einem Bastelbogen geschnitten worden (Bühne: Simeon Meier). Davor hat sich die Familie Knuchel aufgestellt, der Knuchelbauer mit den Händen im Hosensack, daneben die Knuchelbäuerin und die Grossmutter, in Trachten gekleidet. Gemeinsam mit Besuchern aus dem Dorfe jodeln sie den Alpsegen.
Als Theaterbesucher ist man ja auf Schlimmes gefasst. Kaum hebt sich über der Bühne der Vorhang, erwartet man Konflikte, Krisen, Tragödien. Insofern nimmt sich dieser Auftakt in die Inszenierung von Beat Sterchis Roman «Blösch», in die Saison 2025/26 und in die neue Ära der Schauspielhaus-Intendanten Pinar Karabulut und Rafael Sanchez überraschend friedlich aus.
Parodistische Verfremdung
Dem spanischen Knecht Ambrosio, der bald auf diesem Hof erscheinen wird, erscheint das alles wie eine grosse Theaterkulisse, um ihm, dem Fremdling, ein Schweizer Paradies vorzutäuschen. Und rasch wird natürlich klar, dass auf die Postkartenwelt parodistische Verfremdungen warten. Für erste Lacher sorgt gleich ein Hündchen, das brav Männchen macht – und erst recht Blösch, die Lieblingskuh auf dem Knuchelhof, die, von einer Frau gespielt (Mirjam Rast), im Chor mitsingen darf.
Wer am Donnerstag im Schauspielhaus sitzt, wird keinen gelungenen Abend erleben – am Anfang aber immerhin einen freundlichen, lustigen. Das hat zunächst mit den neuen Intendanten zu tun, die das Publikum sympathisch unförmlich begrüssen. Rafael Sanchez, der «Blösch» selbst inszeniert hat, versucht seine Premieren-Nervosität nicht zu verbergen.
Den Witz aber verdankt man, wie zu erwarten war, vor allem Mike Müller. Der Komiker und Schauspieler hat Beat Sterchis ebenso urchigen wie anarchischen «Blösch»-Roman einerseits in lebendige Mundart übersetzt und für die Bühne bearbeitet. Andrerseits spielt er als neues Schauspielhaus-Ensemblemitglied selber mit. Nicht als Protagonist, zwar. Sein Humor aber, sein satirisches Gespür für Schweizer Charakterköpfe prägt die «Blösch»-Inszenierung zu Beginn.
Bei Beat Sterchis Roman von 1983 handelt es sich um eine sehr sinnliche und dynamische Sprachsinfonie mit zwei korrespondierenden Schauplätzen: einem Bauernhof und einem Schlachthof. In dystopischer Dramaturgie kontrastiert der Autor Kapitel aus dem scheinbar heilen, tatsächlich jedoch brüchigen und abgründigen Landleben mit Kapiteln der lärmigen und brutalen Schlachterei. Landwirtschaft und Fleischverarbeitung ergänzen sich zu einem düsteren Verhängnis für Tier und Mensch. In ihrer körperlichen Materialität scheinen sie beide dem industriellen Metabolismus von Fütterung, Mästung, Arbeit und Ausbeutung unterworfen.
Angesichts von Sterchis wogendem Sprachfluss hat Mike Müller sozusagen wie ein Wellenbrecher gewirkt und den Text etwas gebremst und aufgeräumt. Er macht aus den gegensätzlichen Kapiteln zwei Teile, die letztlich sehr unterschiedlich ausfallen. Und er zähmt die Wucht der Worte, indem er aus dem Text die konkreten Dialoge, Floskeln und Flüche herausfiltert, um so plastische Rollen zu modellieren, die von den fast durchwegs überzeugenden Schauspielerinnen und Schauspielern verkörpert werden.
Michael Neuenschwander tritt auf wie ein letzter aufrechter Eidgenosse, ehrlich, aber stur. Gezeichnet von der harten Arbeit im Stall, leidet er an einer Sehnenscheidenentzündung. Wer ihm nun eine Melkmaschine aufschwatzen wollte, weiss nichts von seinem Purismus: Der Knuchelbauer hält nichts von der Modernisierung, er setzt auf Natur pur. Dass ihn ausgerechnet seine alte, bärbeissige Mutter zum Kauf einer Maschine drängt (hervorragend: Karin Pfammatter), gehört zur Ironie dieser Geschichte. Ihr wären die Maschinen eben lieber als der Spanier Ambrosio (Alexander Angeletta), der auf den Hof kommt, um den Bauern zu entlasten.
Das Gift des Fremdenhasses
Zunächst dient der Gastarbeiter vor allem dazu, den Blick auf den Alltag im Mikrokosmos des Knuchelhofs zu lenken. Es werden Kühe gemolken, die sehr witzig durch das muhende und kauende menschliche Personal dargestellt werden. Abends geht der Bauer auf ein Bier dann in den «Ochsen». Für Probleme sorgt aber ausgerechnet Blösch, die Mutterkuh, die nur Munis auf die Welt setzt und keine Kühe. Statt vom alten Stier Gotthelf soll sie jetzt vom neuen Prachtsstier Pestalozzi gedeckt werden – aber der zeigt keine Lust.
Ambrosio bewährt sich als verlässliche Hilfskraft. Doch im Dorf sorgt er für Unruhe. Und im Stück, das in der ersten Stunde fröhlich wie ein fröhlicher Schwank daherkommt, für mehr Brisanz. Rafael Sanchez inszeniert das Landleben zwar ohne jeden Schmutz, Lärm und Gestank. Hingegen zeigt er nun, wie sich der Mief der Fremdenfeindlichkeit über die rustikale Welt legt wie eine Giftwolke.
Der Käser, der Ammann und der Verwalter drangsalieren den Spanier, der die schweizerdeutsche Sprache nicht spricht und sich kaum wehren kann, mit bürokratischen Schikanen, später mit Hass und Gewalt. Im Knuchelhof sorgt das für schlechte Stimmung. Der Bauer wird immer bockiger und trotziger. Und Rahel Hubacher, die die Knuchelbäuerin zuvor als diskrete und verständnisvolle Gattin gespielt hat, steigert sich plötzlich in ein böses Gejammer, in ein gehässiges, aber grossartiges Geschimpfe auf ihren Mann, den sturen Bock. Und erntet prompt einen Zwischenapplaus des Premierenpublikums.
Der erste Teil der Inszenierung endet mit der Schlachtung eines Schweinchens. Dabei verspricht der Störmetzger dem Knuchelbauern, für den umstrittenen Spanier ein Zimmer in der Stadt und einen Job im Schlachthof zu finden, wo nun der zweite Teil spielt.
Die mit ausladenden, roten Tüchern überdachte Bühne sieht allerdings eher wie eine höllische Lounge aus. Oder befinden sich die Schlächter, die mit ihren weissen Schürzen und Kappen an Derwische erinnern, im Inneren eines Kuhmagens? Die Irritation wird dadurch noch wachsen, dass in diesem Schlachthof kaum geschlachtet wird. Im Unterschied zur Romanvorlage gibt es kaum Chaos, keine verspritzten Körperflüssigkeiten, keinen tierischen Lärm, stattdessen schaffen dumpf verzerrte Elektro-Loops ein Horror-Ambiente.
Das Hauptproblem liegt indessen im Text. Es gelingt im zweiten Teil der «Blösch»-Inszenierung kaum mehr, aus der literarischen Polyfonie konkrete Typen zu filtern. Pfammatter flucht nun ständig in Walliser Dialekt, aber ihre Rolle eines gnadenlosen Vorarbeiters langweilt bald – genauso wie die umständlichen Ausführungen des Metzgerlehrlings (Florian Voigt). Und dass nun die alte Blösch nochmals als freundliche Greisin erscheint (Margot Gödrös), mag originell sein, aber nicht plausibel.
Wut auf die Maschine
Für späte Höhepunkte sorgt immerhin Matthias Neukirch als schwäbelnder Wutbürger Rötlisberger, der sich an seinen Bullshit-Job eines Kuttlers klammert, um nicht vor eine Darmverarbeitungsmaschine gestellt zu werden. Und Mike Müller brilliert als frustrierter Viehhändler Fritz Schindler, der zwischen den Ansprüchen der Metzger und dem Angebot der Bauern verzweifelt.
Wenn Ambrosio schliesslich in der alten Blösch sein eigenes Schicksal als ausgebeutete Arbeitskraft zu erkennen glaubt, um den Schlachthof und die Schweiz schliesslich wieder zu verlassen, bleibt man mit gemischten Gefühlen zurück. Die Inszenierung lebt von der Bravour einzelner Schauspieler. Sie bringt auch die Komik auf die Bühne, die im Roman unterschwellig angelegt ist. Nicht aber die sinnliche Gewalt, die teilweise empörende Körperlichkeit der literarischen Vorlage. «Blösch» bleibt auf der Bühne ziemlich harmlos.