Sils Baselgia war für die letzten acht Jahre vor ihrem Tod der einzige Fixpunkt im unsteten Leben der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach. Glücklich wurde sie auch hier nicht, aber sie war glücklicher als an jedem anderen Ort der Welt.
Im Sommer 1942 sah es plötzlich so aus, als würde das Leben der Schriftstellerin und Reporterin Annemarie Schwarzenbach eine Wende zum Guten nehmen. Unverhofft kam vieles zusammen, wonach sich die 34-Jährige lange vergeblich gesehnt hatte. Endlich sollte ihr zerstückeltes Leben Form annehmen.
Die Grundlage schuf eine Erbschaft ihrer verstorbenen Grossmutter. Sie ermöglichte es ihr, das Haus in Sils Baselgia zu kaufen, in dem sie seit einigen Jahren zur Miete wohnte. Ausserdem arbeitete sie, seit sie im Frühjahr 1942 aus Afrika zurückgekehrt war, an einem literarischen Text, wie sie nie zuvor einen geschrieben hatte: «Ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal schreibe, wie ich es sollte», teilte sie Klaus Mann in einem Brief mit.
Drittens schliesslich beabsichtigte Annemarie Schwarzenbach, im Oktober wieder nach Nordafrika zurückzukehren. Es stand ihr ein Lebensplan vor Augen: Herbst und Frühjahr würde sie mit dem französischen Diplomaten Claude Clarac verbringen, mit dem sie seit 1935 zwar verheiratet war, ohne aber bisher länger mit ihm zusammengelebt zu haben. Der «Weltwoche» bot sie darum an, von Lissabon aus die Länder Portugal, Spanien und Marokko zu bereisen und darüber zu berichten. Im Sommer und Winter, so kann man vermuten, habe sie sich in Sils aufgehalten.
Denn das Engadin hatte sich die Tochter des Zürcher Seidenfabrikanten Alfred Schwarzenbach und Enkelin von Ulrich Wille, dem General der Schweizer Armee im Ersten Weltkrieg, längst zu ihrer Herzenslandschaft erkoren. 1908 geboren, hatte sie an der Universität Zürich mit einer historischen Arbeit über das Engadin doktoriert. Sie war seit 1930 mit der Familie von Thomas Mann verbunden, im Besonderen mit den Geschwistern Erika und Klaus Mann, und publizierte seit den frühen 1930er Jahren als Reporterin und Reiseschriftstellerin.
Im Jahr 1932 hatte sie für einen Reiseführer über das Hochtal geschrieben: «Man spricht viel vom Engadiner Himmel, von seiner überraschenden und tiefen Bläue, das ist ein südliches Blau, man kennt es von den Küsten des Mittelmeers, von den Bergen hinter Genua oder Neapel.»
Mochte sie auch den grösseren Teil des Jahres in der Fremde verbringen, ob in Persien, Afghanistan oder Amerika, Sehnsucht hatte sie stets und nur nach Sils. «Und dann – endlich die Schweiz, die Freunde, die Heimat, Sils. Sie wissen nicht, wie ich mich darnach sehne, nach soviel Fremde im äussersten Sinne», schrieb sie vor der Rückkehr im April 1942 ihrer Vermieterin Annigna Godly in Sils. Sie wolle nun den ganzen Sommer dort bleiben und beteuerte, sie habe sich «in nichts verändert (. . .), ausser dass ich gesünder, froher und zuverlässiger bin».
Im Juli trifft sie in Sils ein und widmet sich dem Romanmanuskript «Das Wunder des Baums», das sie im vorangegangenen Winter in Kongo geschrieben hat. Aus dem Roman soll ein Prosagedicht entstehen. Beglückt und ergriffen teilt sie Klaus Mann am 2. September mit: «Ich arbeite daran, dabei opfere ich alles, was ich an Kraft und Liebe besitze. (. . .) Diese Art von Konzentration, die wahrlich einem religiösen Unternehmen oder einer Meditation gleicht, ist hart für mich.»
Vier Tage später bestellt Annemarie Schwarzenbach eine Kutsche, um sich feierlich nach St. Moritz fahren zu lassen, wo sie den Kaufvertrag für das Haus unterzeichnen soll. Als der Notar den Termin absagt, nutzt sie die Kutsche für eine Ausfahrt mit einer Freundin. Unterwegs begegnet ihnen eine weitere Bekannte auf dem Fahrrad, und man beschliesst kurzerhand, die Plätze zu tauschen. Die Bekannte steigt in die Kutsche und Annemarie Schwarzenbach aufs Rad.
Weit fährt sie nicht. Sie will ihre Fahrkünste vorführen und nimmt im Übermut die Hände von der Lenkstange. Ein Hindernis bringt sie zu Fall, sie schlägt mit dem Kopf auf, blutet heftig aus einer Wunde und verliert zeitweilig das Bewusstsein. Man ruft nach einem Arzt, der die Blutung stillt und eine Gehirnerschütterung vermutet. Er verordnet Annemarie Schwarzenbach Ruhe, worauf sie in ihr Haus zurückgebracht wird. Was dann geschieht, ist nicht restlos geklärt, jedenfalls ist sie nur teilweise ansprechbar, sei es, weil sie in ein Koma gefallen ist, sei es, weil sie medikamentös stark sediert wird.
Unter dem südlich blauen Himmel
Acht Jahre zuvor hatte Annemarie Schwarzenbach ihr erstes Haus in Sils Baselgia gemietet. Die Chesa Castelmur-Salis ist ein mächtiges, altes Patrizierhaus. Es sei ein «Bauernhaus (alt und aus Stein, mit 7 Stuben und Heuschober)», schreibt Annemarie Schwarzenbach im Sommer 1934 aus Bad Gastein an Klaus Mann, als sie von dem Agenten in St. Moritz das Angebot erhält. Das Haus befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Annigna Godlys Pension Chastè, wo die ungekrönte Königin von Sils Baselgia Jahr für Jahr illustre Gäste empfängt, unter ihnen später auch der Maler Marc Chagall sowie die Dichter Paul Celan und Friedrich Dürrenmatt.
Nun hat sie ihren Wohnsitz unter dem südlichen Blau des Engadiner Himmels und mit Blick auf den Silsersee Richtung Maloja, wo sich, wie sie schreibt, das Hochtal «mit sichtlicher Bereitwilligkeit gegen die italienischen Landschaften» öffnet. Einstweilen aber ist sie ein seltener Gast im eigenen Haus. Im September 1934 reist sie nach Persien, um an einer Ausgrabung mitzuarbeiten. Glücklich ist sie dabei nicht, sie denkt an ihr «kleines Berg-Exil» und schreibt im November Klaus Mann: «Ich sehne mich nach Euch, und ich muss nach Hause. Was es auch sei, es wächst mir über den Kopf. Das Land ist zu gross.»
Zwar sagt sie nicht, was ihr über den Kopf wächst, aber man ahnt es: Das Verlangen nach der Ferne und die Sehnsucht nach Geborgenheit unter Freunden, in der Familie, in ihrem Haus zerreissen sie. Und dann ist da ihr Drogenkonsum, den sie – wie auch Klaus Mann – kaum mehr kontrollieren kann. Die inneren Dämonen sind auch mit Morphium nicht mehr niederzuringen. Im Januar 1935 begibt sie sich für einen Entzug in eine Klinik in Samedan. Als ein Zerwürfnis mit dem Vater hinzukommt, versucht sie sich mit Schlafmitteln das Leben zu nehmen. Man findet sie gerade noch rechtzeitig.
Bereits im April 1935 reist sie wieder nach Persien und heiratet dort im Mai Claude Clarac. Vor ihrer Abreise schreibt sie Klaus Mann, als ahnte sie, dass sie auf der Flucht ist, gleichgültig, ob sie weggeht oder nach Hause kommt: «Zurückdenkend, zerfetzt sich mir das Leben der letzten Jahre in lauter kleine Episoden, die dem Ganzen mit unheimlicher Deutlichkeit das Provisorische einprägen. Nichts dauert, nichts rundet sich, nichts ist zu halten – und genau so wird, zum allerletzten Mal zurückdenkend, das Sterben sich präsentieren.»
Ungeheure Produktivität
Und so hetzt sie atemlos durch ihr Leben und durch die Welt, mit einem unstillbaren Verlangen nach Liebe, aber auch mit einer ebenso grossen Begierde nach allem Fremden. Ihre Kunst des Sehens verbindet sich mit der Leidenschaft fürs Schreiben. Sie verfügt über die Gabe, in präzise Sprache zu giessen, was sie auf ihren Reisen an Eindrücken auffängt und was ihr begegnet. Ihre publizistische Produktivität ist zuweilen furchterregend. Zwischen Dezember 1933 und Juni 1935 soll sie nicht weniger als sechzig Artikel und Reportagen in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht haben.
Das Haus in Sils versteht Annemarie Schwarzenbach auch als Haus für Freunde. In ihrer Abwesenheit überlässt sie es bereitwillig Erika und Klaus Mann. Während sie im Frühjahr 1935 in Persien mit Claude Clarac unterwegs ist, mehrmals an Malaria erkrankt, zu viele Drogen konsumiert und sich in Teheran stürmisch in die lungenkranke Tochter des türkischen Gesandten verliebt, reisen die Geschwister Mann Ende Juni zusammen mit der Schauspielerin Therese Giehse erstmals in das Haus nach Sils.
In seinem Tagebuch notiert Klaus Mann, dass sie zu dritt «ein weisses Zimmer gross angemalt» hätten. Ihm selber seien eine «alte Kokotte, ein schöner Junge und eine Negerstatue» gelungen. «Hingerissen und bewegt von der Landschaft», heisst es am 11. Juli.
Das Haus ist im alten Zustand erhalten
Wer heute durch den nördlich von Sils Maria gelegenen Dorfteil Sils Baselgia geht, braucht nicht viele neue Bauten wegzudenken, um sich die Situation in den 1930er Jahren vorstellen zu können. Die Pension Chastè ist inzwischen geschlossen, sie ist aber unverändert, und ebenso gut ist die Chesa Castelmur-Salis erhalten, wenn man vor der wegseitigen Fassade steht. Das um 1602 entstandene Haus mit doppelter Freitreppe sieht noch immer so aus wie damals, als sich Annemarie Schwarzenbach und ihre Freunde hier aufhielten. Nur die nach hinten angebauten Ställe sind vor gut zwanzig Jahren in protzige Ferienhäuser umgebaut worden.
Doch das Haus wurde Annemarie Schwarzenbach zur finanziellen Last. Vermutlich 1938 musste sie es aufgeben. Stattdessen konnte sie schräg gegenüber von Annigna Godly ein kleineres Engadiner Haus mieten, das ebenfalls bis heute in dem Zustand erhalten ist, in dem es war, als Annemarie Schwarzenbach darin gewohnt und geschrieben hat. Seit einigen Jahren erinnert neben dem Treppenaufgang eine Tafel an die einstige Bewohnerin.
Annigna Godly ist 1990 im Alter von 94 Jahren gestorben. Noch bis vor einem Jahr erinnerte ihr schon fast aufreizend bescheidener Grabstein auf dem Friedhof neben der Kapelle in Sils Baselgia an sie. Wie ein zu gross geratenes, unförmiges Ei lag der Stein im Gras, ein Steinmetz hatte etwas ungelenk in gebundener Schrift Name und Lebensdaten hineingehauen. Ein paar schüttere Blümchen zierten das Grab. Mehr war da nicht. Und nun fand die Gemeinde, dass selbst diese Unscheinbarkeit noch zu viel des Gedenkens sei. Jedenfalls ist der Stein verschwunden, der das Gedächtnis an die legendäre Figur bewahrte.
«Ich bin auf dem besseren Weg»
Das Jahr 1935 endet für Annemarie Schwarzenbach, wie es begonnen hat: mit einer Entziehungskur, diesmal in der Klinik von Auguste Forel in Prangins am Genfersee. Weihnachten verbringt sie mit Erika und Klaus Mann sowie weiteren Freunden in Sils, ehe sie die Erzählung «Tod in Persien» zu Ende schreibt, die sie im Sommer im persischen Lahrtal begonnen hat.
Der Text liest sich wie eine Lebensbilanz. Die Erzählerin ist an einem toten Punkt angekommen, Erlösung ist von keiner Seite mehr zu erwarten in diesem persischen Hochtal, das sie zwar nicht in seiner Kargheit, aber in der Klarheit seines Lichts ans Engadin erinnert. «Glückliches Tal» nennt es paradoxerweise die Erzählerin: «Mutter, denkt man (wie der Name zum Weinen verhilft!) – ich habe irgendetwas, ganz am Anfang, falsch gemacht. Aber nicht ich war es, sondern das Leben. Alle Wege, welche ich auch ging, welchen ich auch entging, endeten hier, in diesem ‹glücklichen Tal›, von dem es keinen Ausweg mehr gibt und welches deshalb schon dem Ort des Todes ähnlich sein muss.»
Und doch gibt es den Ausweg. Die Erzählung führt hinaus ins Offene. Schreibend verwandelt die Autorin diesen Ort, wo alle Wege enden. Er wird Annemarie Schwarzenbach zum Ausgangspunkt, wo sie zurückfindet ins Leben. Als sie die Erzählung abschliesst, meldet sie brieflich Erich Maria Remarque, der sie kurz zuvor in Sils besucht hat: «Ich Armes ging unter die Eremiten, Sils war vier Tage eingeschneit (oder doch die Garagentür), und was geschehen musste, trat ein: ich arbeitete. (. . .) Bitte, sag nicht mehr, dass aus mir nichts wird. Ich bin auf dem besseren Weg. Ich bin froh, ach, mehr als das, dass Du hier oben warst.»
Keiner wird noch einmal sagen können, es werde nichts aus Annemarie Schwarzenbach, auch die Eltern nicht, die das Leben der Tochter mit so viel Argwohn begleiten. Denn es folgen zwei gloriose Jahre, mit Reisen durch Europa und bis Moskau, mit zwei mehrmonatigen Aufenthalten in den USA. Und wieder veröffentlicht sie in kurzer Zeit Dutzende von Artikeln und Reportagen.
Odyssee durch Entzugskliniken
Umso brutaler ist der Absturz im Frühjahr 1938, als sie aus den USA nach Sils zurückkehrt: Im März geht sie für einen Drogenentzug nach Samedan. Zwei Monate später lässt sie sich für eine Behandlung nach Malans bringen. Im Juli veranlasst die Mutter eine Verlegung nach Kreuzlingen in Ludwig Binswangers Klinik, die Annemarie Schwarzenbach nach wenigen Wochen wieder verlässt. Und schliesslich kommt sie im Oktober in die Klinik Bellevue nach Yverdon.
Hier begegnet sie der Genfer Schriftstellerin und Fotografin Ella Maillart, die im Januar 1939 nach Sils zu Besuch kommt und ihre Gastgeberin mit der emphatischen Schärfe der genauen Beobachterin beschreibt: «Ihre zarte Hand hielt eine Zigarette, die Haut spannte sich dünn wie Seidenpapier über den gelben Knöcheln. Sie lehnte sich an den grossen Ofen in der Zimmerecke, die Knie hielt sie umklammert. Ohne die Spannung, die von ihr ausging, wäre es in diesem Bauernhaus (. . .) sehr geruhsam gewesen, während draussen der Sturm heulte.»
Sie beschliessen, in Annemarie Schwarzenbachs neuem Ford für eine Reportagereise gemeinsam nach Afghanistan und Indien zu fahren. Doch die Reise steht unter unglücklichen Auspizien, zweimal trennen sich die Frauen, weil Annemarie Schwarzenbach von den Drogen nicht wegkommt. Zuletzt fährt sie im Januar 1940 allein in die Schweiz zurück. Dennoch bringen Maillart und Schwarzenbach grandiose Bilder und herausragende Reportagen aus Asien nach Hause.
Ein versiegelter Mund
Knapp zwei Jahre Lebenszeit bleiben Annemarie Schwarzenbach noch. Sie reist abermals in die USA, lernt dort die Schriftstellerin Carson McCullers kennen und verliebt sich in sie. Dieses Mal endet die Reise in einer Katastrophe, Schwarzenbach wird in die Psychiatrie eingeliefert. Man entlässt sie aus der Klinik nur unter der Bedingung, dass sie das Land unverzüglich verlässt. Für kurze Zeit kehrt sie nach Sils zurück, ehe sie im April 1941 über Lissabon nach Kongo reist, um im Jahr darauf, hoffnungsfroh mit einem «afrikanischen Roman» und voller Zukunftspläne, «gesünder, froher und zuverlässiger», wie sie Annigna Godly schreibt, wieder in Sils anzukommen.
Es ist im kurzen Leben der Annemarie Schwarzenbach einer der wenigen lichten Momente. Plötzlich scheint vieles möglich, ebenso unvermittelt zerstört der Fahrradunfall alle Hoffnungen. Ihr Zustand verschlechtert sich, fünf Tage nach dem Sturz trifft ihr Bruder in Sils ein und beschliesst mit dem Arzt, Annemarie nach Prangins in die Klinik von Auguste Forel überführen zu lassen.
Da die Patientin mit ihrer langen Krankengeschichte inzwischen für geisteskrank gehalten wird, traktiert Forel sie mit den seit den frühen 1930er Jahren gängigen Therapien: Elektro- und Insulinschock. Oder anders gesagt: Annemarie Schwarzenbach mochte in einem verwirrten Zustand sein und wäre vielleicht zu retten gewesen, nun aber wurde sie vollends zugrunde gerichtet. Nach knapp einem Monat schrecklicher Qualen berichtet sie Annigna Godly aus ihrem Elternhaus am Zürichsee: «Mama hat mich aus dem höllischen Prangins geholt.»
Am 19. Oktober kehrt Annemarie Schwarzenbach in Begleitung einer Krankenschwester zurück nach Sils. Dort beschliessen die Ärzte eine palliative Therapie – und verschreiben Eukodal. Es ist das Opiat, von dem ihre Patientin während vieler Jahre abhängig war.
Am Morgen des 15. November 1942, einem Sonntag, stirbt Annemarie Schwarzenbach in ihrem Haus. Sie wurde 34 Jahre alt. In ihrem Nachruf wird Annigna Godly schreiben: «All jene, die Gelegenheit hatten, sie persönlich kennenzulernen und mit ihr in Kontakt zu treten, wissen, welchen Verlust ihr Tod bedeutet, sie wissen aber auch, dass ihre Werke weiterleben werden.»
Über dieses Weiterleben herrscht freilich die Mutter. Sie eilt ans Totenbett ihrer Tochter, mit der sie ein höchst kompliziertes Verhältnis verband, und vernichtet aus Annemarie Schwarzenbachs Hinterlassenschaft, was sie daran für kompromittierend hält. Und sie fotografiert fürs private Fotoalbum die tote Tochter – mit der Mullbinde um den Kopf, die den Kiefer fixiert. Als wollte sie für alle Zeiten sicherstellen, dass die geliebte unbequeme Tochter nie mehr ein Wort sagen wird.
Quellen: Alexis Schwarzenbach: Auf der Schwelle des Fremden. Das Leben der Annemarie Schwarzenbach; Kurt Wanner / Marianne Breslauer: «wo ich mich leichter fühle als anderswo». Annemarie Schwarzenbach; Annemarie Schwarzenbachs Briefe an Erika und Klaus Mann, hrsg. von Uta Fleischmann; Tagebücher von Klaus Mann.
Künstler und ihre Orte
rbl. · Die einen gehen an den Genfersee, andere zieht es ins Tessin oder ins Berner Oberland: Künstler suchen sich besondere Orte. Sei es, weil sie Anregungen erhalten durch die Landschaft oder weil sie ein Haus finden, das ihnen als Rückzugsort ungestörtes Schaffen verspricht. In einer Reihe von Artikeln stellen wir temporäre Refugien von bedeutenden Künstlern, Dichtern und Musikern in der Schweiz vor. Am 27. September lesen Sie an dieser Stelle, wie Igor Strawinsky mithilfe des waadtländischen Dichters Charles Ferdinand Ramuz am Genfersee ein neues Kapitel in seinem Schaffen aufschlägt.