NGO wie Reporter ohne Grenzen und viele Medien werfen Israel vor, systematisch Journalisten zu töten. Was das für «Journalisten» waren, interessiert kaum jemanden.
Hunderte Medien aus der ganzen Welt unterschrieben kürzlich einen Aufruf des Komitees zum Schutz von Journalisten und der NGO Reporter ohne Grenzen. Die Unterzeichner forderten einen besseren «Schutz palästinensischer Journalisten» und ein «Ende der Straflosigkeit». Sie werfen den israelischen Streitkräften vor, palästinensische Journalisten systematisch zu ermorden.
Über zweihundert Journalisten sollen inzwischen im Gaza-Krieg ums Leben gekommen sein. Doch der erste Journalist, der am 7. Oktober getötet wurde, war der israelische Fotograf Roee Idan. Er lieferte die ersten Bilder einfliegender Paraglider, bevor er gemeinsam mit seiner Frau von Hamas-Terroristen an seinem Wohnort erschossen wurde. Zwei Töchter des Paares konnten sich verstecken, die jüngste, drei Jahre alt, wurde als Geisel in den Gazastreifen verschleppt und später freigelassen. Laut einer Liste des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) starben an diesem Tag vier weitere Medienschaffende, ein Israeli und drei Palästinenser. Einer von ihnen war Mohammed Yarghun.
SRF-«Tagesschau» verbreitet Propaganda
Wer zu Yarghun recherchiert, findet Namen und Foto von ihm in einem Nachruf auf die «Löwen der Rafah-Brigade», die beim Angriff auf Israel fielen. Auch auf einem Telegram-Kanal, der von Hamas-Unterstützern betrieben wird und die Massaker der Al-Aksa-Flut dokumentierte, taucht Yarghun auf: «Der Kommandokämpfer ist beim Angriff auf die Siedlungen im Osten Rafahs als Märtyrer gestorben», heisst es da. Zeitstempel: 7. Oktober 2023, 16 Uhr 39.
Diese und weitere Indizien legen nahe, dass Mohammed Yarghun kein gewöhnlicher Journalist war. Sondern einer jener Terroristen, die Israel überfielen. Viele Stimmen haben schon früh auf die Ungereimtheiten in den Listen angeblich getöteter Journalisten hingewiesen. Das israelische Intelligence and Terrorism Information Center beispielsweise schrieb im Februar 2024, von 131 aufgelisteten Journalisten seien mindestens 67 mit Terrororganisationen verbunden. Der umfangreiche Bericht enthält zahlreiche Indizien, die sich leicht nachprüfen lassen.
Gehör finden sie in der Regel kaum. Sogar der Generaldirektor der Unesco betrauerte Yarghuns Tod. Auch viele Medien übernehmen die von NGO verbreiteten Zahlen über angeblich getötete Journalisten, ohne sich die Frage zu stellen, ob man wirklich von Journalisten sprechen kann. So behauptete die Hauptausgabe der SRF-«Tagesschau» kürzlich, im Gaza-Krieg seien bislang mehr Journalisten als in den beiden Weltkriegen zusammen getötet worden.
Journalisten, die ihre «nationale Pflicht» erfüllen
Wer die Angaben des CPJ und von Reporter ohne Grenzen prüfen will, stösst auf begrenzten Willen zur Auskunft oder Aufklärung. Die NZZ hat Indizien für Mohammed Yarghuns Beteiligung am 7. Oktober an die beiden NGO geschickt. Sara Qudah, die CPJ-Direktorin für den Nahen Osten, schreibt, man gehe «angesichts der Schwierigkeiten, Informationen während eines Krieges zu bestätigen», davon aus, dass jeder Journalist, der während des Krieges zwischen Israel und Gaza in einem Kriegsgebiet getötet worden sei, «in irgendeiner Form» zur Berichterstattung beigetragen habe.
Reporter ohne Grenzen versichert, gemäss eigenen Informationen habe sich keiner der Journalisten an den Anschlägen des 7. Oktober oder anderen Gewalttaten beteiligt. Mohammed Yarghun fungiert deshalb immer noch auf der Website beider Organisationen als einer der ersten getöteten palästinensischen Journalisten des Gaza-Krieges.
Dabei müssten sich beide Organisationen die Frage stellen, ob sie sich vom Propagandaapparat der Hamas instrumentalisieren lassen. Reporter ohne Grenzen erhob erste Vorwürfe gegen Israel schon wenige Tage nach dem 7. Oktober. In einem der Artikel – er trägt den Titel «Israel erstickt den Journalismus im Gazastreifen» – ist ein Bild abgedruckt, das einen Mann mit weissen Haaren bei einer Beerdigung zeigt, umringt von Männern in Pressewesten. Eine Bildersuche ergibt, dass das Bild zuerst bei al-Kuds-News erschien, einer Nachrichtenagentur, die der Hamas nahesteht. Auch der weisshaarige Mann ist kein Unbekannter. Er heisst Salama Maaruf und leitet seit 2017 das sogenannte Regierungsmedienbüro in Gaza.
Kontrolliert wird dieses Büro von der Hamas, womit es faktisch deren Pressestelle ist. Es verbreitet über soziale Netzwerke wie Telegram regelmässig Listen getöteter Journalisten. Am 10. Oktober 2023 erscheint erstmals eine solche Liste. Darauf ist auch Mohammed Yarghuns Name. Dazu heisst es in der Mitteilung kämpferisch: «Wir bekräftigen, dass unsere Journalisten weiterhin ihre berufliche Rolle und ihre nationale Pflicht erfüllen werden . . ., die Verbrechen der Besetzung und ihre falschen Behauptungen aufzudecken.»
Anweisungen an die Medien
Journalisten, die eine «nationale Pflicht» erfüllen, nennt man in Demokratien nicht Journalisten. Sondern Propagandisten. Obwohl das Büro von der Hamas kontrolliert wird, ist es eine wichtige Quelle für Informationen aus dem Gazastreifen – auch über angeblich getötete Journalisten. Reporter ohne Grenzen bestätigt, dass man die Arbeit der Medienstelle verfolge, betont aber, dass man andere israelische und palästinensische Quellen prüfe und ein Fact-Checking betreibe.
Dennoch fällt auf: Die Angaben der Hamas zur Anzahl getöteter Journalisten und jene der NGO sind verblüffend ähnlich. Die Hamas spricht von «mehr als 247», Reporter ohne Grenzen von 220 und das CPJ von 197 getöteten Journalisten. Die Vermutung liegt nahe, dass die Angaben des Hamas-Regierungsmedienbüros fast ungefiltert zu den westlichen NGO fliessen – und von dort in die weite Welt. Etwa zu anderen Medien oder zum Internationalen Strafgerichtshof, wo Reporter ohne Grenzen mehrere Beschwerden eingereicht hat.
Klar ist, dass die Hamas die Kampagne der westlichen NGO begrüsst. In einer Medienmitteilung lobte die Terrororganisation kürzlich namentlich Reporter ohne Grenzen – und rief Medien weltweit dazu auf, sich dieser Bewegung anzuschliessen, um Druck auf Israel zu erzeugen.
Eines der Ziele des Hamas-Regierungsmedienbüros ist es, sicherzustellen, «dass die palästinensische Erzählung die Welt glaubwürdig und schnell erreicht». Zu diesem Zweck kontrolliert man Journalisten oder veröffentlicht Richtlinien für die in Gaza tätigen Medienunternehmen, wie es das Medienbüro wenige Tage nach dem 7. Oktober tat – parallel zur Medienmitteilung zu den angeblich getöteten Journalisten.
Diese legen fest, dass die Medien primär über das Leid der Zivilbevölkerung berichten sollen, etwa über die «Verweigerung der Versorgung des Gazastreifens mit allen lebensnotwendigen Gütern, einschliesslich Medikamenten». Ähnliche Richtlinien hatte die Hamas schon in früheren Konflikten mit Israel veröffentlicht – und mit Gewalt und Drohungen durchgesetzt. Gemäss Auskunft von Reporter ohne Grenzen wurden auch im heutigen Krieg Journalisten von der Hamas bedroht. Etwa jene, die im Frühjahr über die brutal unterdrückten Anti-Hamas-Proteste im Gazastreifen berichteten.
Die Richtlinien des Regierungsmedienbüros dominieren auch im jetzigen Krieg die Berichterstattung. Die Absicht dahinter ist klar: Es soll kein komplettes Bild des Krieges vermittelt, sondern der Eindruck erzeugt werden, dass Israel gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens kämpfe.
Bei al-Aksa TV werden Kinder zum Mord an Juden und Karikaturisten aufgerufen
Die meisten Medien im Gazastreifen sind Teil des Medienapparates der Hamas, den die Terrororganisation in den letzten dreissig Jahren systematisch ausgebaut hat. Oder sie stehen unter ihrem Einfluss. Das Kronjuwel im Hamas-Medienapparat war lange der Sender al-Aksa TV, den die Hamas 2006 gründete und dessen Programm sich auch an Kinder richtete.
In der Kindersendung «Die Pioniere von morgen» indoktrinierten Maskottchen, die an Disney-Figuren erinnerten, die Kinder mit antisemitischen und proterroristischen Inhalten. Während des Karikaturenstreites drohten die Figuren zum Beispiel, Dänen zu töten, falls sie es noch einmal wagen sollten, den islamischen Propheten Mohammed zu beleidigen.
Seit Beginn des Gaza-Krieges wurden Dutzende Mitarbeiter von al-Aksa TV und anderen Medien der Hamas und des Islamischen Jihad getötet. Kann man, wenn jemand für einen derartigen Sender arbeitet, wirklich von Journalismus sprechen? Reporter ohne Grenzen und das CPJ beantworten diese Frage mit Ja.
Sie argumentieren, dass das internationale Recht auch Propagandisten schütze – selbst jene anerkannter Terrororganisationen, die zum heiligen Krieg gegen die Juden aufrufen –, und führen sie deshalb auf den Listen getöteter Journalisten. Derzeit finden sich 19 Mitarbeiter von al-Aksa TV und Radio auf der Liste des CPJ.
Ob Mitarbeiter von Propagandamedien wirklich in allen Fällen geschützt sind, ist jedoch umstritten. So schrieb Reporter ohne Grenzen noch im Jahr 2009, der Schutz gelte laut internationaler Rechtsprechung nicht für Medien, die zu Mord aufriefen und zu Hass anstifteten. Dies ist beim Hamas-Sender al-Aksa TV ohne jeden Zweifel der Fall.
Nachfragen der NZZ zu Hamas-Medien wie al-Aksa TV wertet das CPJ jedoch sogleich als «Versuche, Journalisten, die ihre Arbeit tun, zu diffamieren, zu delegitimieren und zu kriminalisieren». Die Botschaft ist klar: Wer nachforscht, ist mitschuldig.
«Medienbegleitung» für jede Hamas-Kampfeinheit
Dabei versucht die Hamas schon lange, die Berichterstattung zu beeinflussen, während sie unabhängige Journalisten verfolgen lässt. Im Dezember 2013 organisierte das Hamas-Regierungsmedienbüro eine Konferenz im noblen Commodore-Hotel an der Strandpromenade der Stadt Gaza. Prominente Vertreter aus Politik und Medien waren geladen, um die Rolle der Medien im Kampf gegen Israel zu diskutieren. Im Fokus waren vor allem die sozialen Netzwerke. Man war optimistisch, denn die meisten Mitarbeiter der Hamas-Medien waren jung, sehr jung, und für diese neue Technologie prädestiniert.
Neue Firmen entstanden, die sich auf die Ausbildung von Medienarbeitern und die Produktion neuer Medien spezialisierten. Eine von ihnen war das Smart Media Center in Rafah im Süden des Gazastreifens, für das später Mohammed Yarghun arbeitete.
Im Sommerkrieg 2014 erhielt die Firma von der Hamas eine Auszeichnung für ihren «Einsatz» – in Form einer Landkarte, von der Israel verschwunden ist. Dem Smart Media Center sei es gelungen, «Medienschaffende . . . zusammenzubringen und sie für ihre Sache zu vereinen und die Abscheulichkeiten des israelischen Feindes aufzudecken», hebt ein Hamas-Vertreter später lobend hervor. Das Smart Media Center erhält viele Aufträge. Wo immer die Hamas auftritt, ein neues Gebäude eröffnet oder Veranstaltungen organisiert, liefert die Firma Ton und Bild.
Das zweite Standbein der Firma sind Kurse, unter anderem zu den sozialen Netzwerken und zur Berichterstattung von Kriegsschauplätzen. Die Studenten lernen dabei, wie man Kampfberichte erstellt und sich selber schützt. Nicht nur die Hamas-Medien verlangen Personal. Auch jede Hamas-Kampfeinheit wird von einem Medienteam begleitet.
Solche Medienkrieger wurden auch am Smart Media Center ausgebildet. So feierte 2015 die «Märtyrer-Mediengruppe ‹Bahaa al-Gharib›», die 140 Jugendliche zählte, im Smart Media Center den Abschluss ihres Lehrgangs. Der damalige Leiter des Hamas-Regierungsmedienbüros wohnte der Abschlusszeremonie bei und versprach: «Wir werden unsere Arbeit weiterentwickeln und Seite an Seite mit unseren . . . Mujahedin stehen.»
Zu jenen Medienkriegern, die am 7. Oktober an der Seite der Mujahedin in den Krieg zogen, gehörte wahrscheinlich auch Mohammed Yarghun.
Der Schutz von Journalisten ist wichtig. Mit der ungeprüften Übernahme von Angaben einer Terrororganisation untergraben NGO und westliche Medien jedoch die eigene Glaubwürdigkeit.