In ihrem zweiten Roman erzählt die Luzernerin Melara Mvogdobo von zwei Frauen, deren Schicksal sich aufs Haar gleicht, obwohl die eine in Kamerun, die andere in der Schweiz lebt. Das Buch ist für den Schweizer Buchpreis nominiert.
Unterschiedlicher könnten die Ausgangslagen nicht sein: Hier eine junge Frau aus gebildetem und wohlhabendem Haus in Kamerun, die gerade die Mittelschule abgeschlossen hat und kurz davor steht, einen für sie ausgewählten Mann zu heiraten. Und da eine ebenso junge Frau, Tochter aus ärmlichen Verhältnissen, die irgendwo in der Schweiz zur Arbeit auf einem Bauernhof verschickt wird, wo sie von einem Knecht geschwängert und im Stich gelassen wird.
Zwei Frauenschicksale auf zwei Kontinenten – und trotzdem gleichen sich die beiden aufs Haar. Die junge Frau in der Schweiz mit dem unehelichen Kind wird zur Schande der Familie erklärt. Die junge, selbstbewusste Kamerunerin weigert sich am Hochzeitstag, in eine polygame Ehe einzuwilligen, und wird von ihrem Ehemann fortan beschuldigt, seine eigene Ehre und die seiner Familie beschmutzt zu haben. Er droht mit Rache.
Odyssee des Leidens
Die Schriftstellerin Melara Mvogdobo, 1972 in Luzern geboren, ist mit ihrem Roman «Grossmütter» für den Schweizer Buchpreis nominiert worden. Nach ihrem vor zwei Jahren erschienenen Debüt «Von den fünf Schwestern, die auszogen, ihren Vater zu ermorden» erzählt sie in ihrem neuen Roman die Geschichte zweier Frauen, beide um 1940 herum geboren, denen die ungeschriebenen Gesetze ihrer Gesellschaft und ihrer Zeit nur eine Rolle zugedacht hatten: stumme Dienerinnen ihres Ehemannes zu sein und als Gebärmaschinen für seinen Nachwuchs zu sorgen.
Mit grossem Geschick verknüpft Mvogdobo die beiden Erzählstränge, indem sie abwechselnd die beiden Frauen in inneren Monologen zu Wort kommen lässt und aus diesen Episoden ihre Lebensgeschichten entwickelt. Da nichts Äusserliches die Kamerunerin und die Schweizerin, die beide namenlos bleiben, verbindet, folgt man zwei vollkommen unzusammenhängenden Geschichten. Das einzig Gemeinsame ergibt sich erst im Laufe des Romans. Ihre Odyssee des Leidens verläuft spiegelbildlich. Mögen auch Welten zwischen ihnen liegen, sie sind Schwestern im Unglück, ihre Geschichten sind austauschbar.
Die Autorin macht es ihren Lesern mit dieser Konstruktion nicht ganz einfach. Es braucht einige Zeit, bis man sich in diesem Erzähllabyrinth zurechtfindet und die zwei Stimmen den beiden Figuren zuordnen kann. Ebenso allmählich beginnt man aber auch zu begreifen, wie die beiden Schicksale ineinandergreifen und wie ähnlich die Ereignisse in Kamerun und jene in der Schweiz sind.
Wenn sich die junge Kamerunerin einmal an jenen Tag im Jahr 1946 erinnert, als die Frauen des Landes ausgelassen die Erlangung des Stimmrechts feierten (schöne Sottise gegen die späte Einführung in der Schweiz), so hat sie spätestens mit ihrer Heirat die grosse Ernüchterung erlebt: «Die Freiheit der Frau reicht nur bis zum nächsten Nein eines Mannes.» Ähnlich ergeht es ihrer Schicksalsgenossin in der Schweiz, deren frühe Hoffnungen auf ein erfülltes Leben sich nur zu rasch zerschlagen.
Es ist, als gehorchte dieser Stationenweg der Unterdrückung einem Masterplan, der universell gültig ist. Nach der völligen Entmündigung in der Ehe erdulden die beiden Frauen die sexuelle Erniedrigung, indem sie ihren Männern stets zur Verfügung stehen müssen und Kind um Kind gebären. Sind sie vollends ausgelaugt, folgt die seelische und körperliche Demütigung: Sie werden von ihren Männern verprügelt.
Die beiden Frauen teilen indessen auch eine andere Erfahrung, der sie widerstandslos ausgeliefert sind: Es gelingt ihnen nicht, dieses Verhängnis von Gewalt und Unterwerfung zu durchbrechen. Unfähig, mit ihren Kindern über das eigene Unglück zu reden, bereiten sie diese schlecht vor auf das, was ihnen bevorstehen könnte. Erst die Generation der Enkelinnen ermöglicht ihnen den Ausbruch. «ICH habe genug», so schreit die Schweizerin im Stillen ihre Verzweiflung aus sich heraus. Sie schreitet zur Tat. Ebenso macht es die Kamerunerin, auch ihr steht die Enkelin bei.
Drastische Erzählung
Melara Mvogdobo entfernt sich mit «Grossmütter» nicht weit von ihrem Erstling, weder thematisch noch formal. Sind es hier die Ehefrauen, die spät gegen ihre gewalttätigen Männer rebellieren, waren es in ihrem Erstling die Töchter, die Rache nehmen an einem Vater, der sie sexuell missbraucht hat. Und auch dort erzählt die Autorin die Geschichte aus der wechselnden Perspektive der fünf Töchter.
Das hat etwas Programmatisches. Und besonders «Grossmütter» merkt man an, dass hier ein erzählerischer Plan ausgeführt wird in der schematischen Spiegelung der beiden Lebensgeschichten. Melara Mvogdobo schreibt sehr drastisch, aber auch mit Witz. Umso betulicher wirkt dann die geglückte Selbstermächtigung der beiden Grossmütter: Die Schweizerin erlebt ihren Lazarus-Moment, wenn sie gleichsam von den Toten aufersteht, die Kamerunerin denkt an die Rückkehr und hofft auf den Tag, wenn sie die rote Erde ihrer Heimat wiedersehen wird. «Dann wird endlich alles gut sein.» Das klingt, als wär’s ein Märchen.
Melara Mvogdobo: Grossmütter. Roman. Transit-Verlag, Berlin 2025. 128 S., Fr. 27.90.