Andreas Homoki setzt nach seinem Abschied vom Opernhaus Zürich jetzt auf knallbunte Massenevents: In Berlin inszeniert er das Musical «Jesus Christ Superstar» im alten Flughafen Tempelhof.
Mitten im Schlussapplaus geht es von vorne los. Die E-Gitarre jault, Judas Ischariot röhrt den Titelsong ins Mikro, beim Refrain fallen alle mit ein. Reprisen wie diese sind ein altes Broadway-Ritual, auf den Tribünen ringsum haben wir fest damit gerechnet. Wir springen auf und tanzen und wedeln mit erhobenen Händen und winken dem Ornament der Masse zu, das drunten auf dem kahlen Betonboden noch einmal alles gibt.
Auch Zürichs ehemaliger Opernintendant Andreas Homoki wurde dabei gesichtet: Mitten im Hangar 4 auf dem stillgelegten Flughafen in Berlin Tempelhof rockte er wippend und winkend im Ensemble mit. So showmastermässig elegant im Massanzug, zwischen all den schrillen Glitzerfummeln und diversen Hippie-Greteln. Gut sah das aus. Für die Siebziger-Jahre-Ausstattung der Retro-Show hatte der erfolgreiche Modestylist und Werbefilmer Frank Wilde (Drei-Wetter-Taft) gesorgt. Den betont schmalen Bühnen-Catwalk samt Revuetreppe entwarf der renommierte Opernregisseur Philipp Stölzl. Homoki seinerseits hatte den Hut auf bei dieser Saisoneröffnungsproduktion der Komischen Oper. Er führte nicht nur Regie. Er feierte zugleich seine Heimkehr an das Haus, das er von 2004 bis 2012 geleitet hatte.
Zuverlässiger Dauerbrenner
Gut so! Die Komische Oper kann zurzeit wahrhaftig jede prominente Unterstützung gut gebrauchen. Sie muss sich sanierungsbedingt noch bis 2033 mit Ersatzspielstätten behelfen und steht auf der Liste der vom Sparprogramm des Berliner Senats bedrohten Kulturgüter weit oben. Dieses Haus ist quasi zum Erfolg verdammt. Was liegt da näher als eine beliebte und hitstarke Andrew-Lloyd-Webber-Show?
Die Rockoper «Jesus Christ Superstar» funktioniert als Tournee-Musical genauso zuverlässig wie als Dauerbrenner an Stadttheatern. Das Stück ist schon lange keine politische Provokation mehr. Aber es hat noch ein paar Stacheln. Erzählt werden, in bibelfesten Solo-Songs und Chornummern, Episoden aus den sieben letzten Tagen Christi, von Palmsonntag bis zur Kreuzigung. Die Figur des Judas wird dabei zur eigentlichen Hauptrolle, er zweifelt, als Alter Ego und Gegenspieler Jesu, am messianischen Gedanken.
Judas fragt: «Gab es in Israel damals schon Massenkommunikation?» Auch die Figur der Maria Magdalena wird rehabilitiert im Libretto von Tim Rice, konkret benennt er das Problem der Demagogie damals wie heute. Dies alles kann man im Programmheft nachlesen – die Inszenierung Homokis nimmt kaum eine dieser Anregungen auf. Sie setzt stattdessen souverän auf blank polierten Designer-Karneval.
Karriere nach der Karriere
Keine Aktualisierung. Keine Videos. Niemand stirbt. Kein Tropfen Theaterblut wird riskiert. Weder hängt sich Judas auf, noch wird Jesus gekreuzigt. Aber es regnet Konfetti nach dem «Es ist vollbracht». Sogar die 39 Peitschenhiebe, die der von Kopf bis Fuss vergoldete Fregattenkapitän Pilatus herunterzählt, als wäre er der Graf Dracula der Muppet-Show, sehen wunderschön aus: Sie verwandeln sich in 39 symbolisch aus dem Bühnenboden schiessende Feuerstösse.
Erstklassige Musical-Darsteller singen sich die Seele aus dem Leib. Extra-Applaus gibt es für John Arthur Greene (Jesus) nach seiner Gethsemane-Ballade und für Jörn-Felix Alt nach dem überwältigend tuntigen Gig als Herodes. Auch Daniel Dodd-Ellis macht mit seinem über zwei Oktaven protzenden Bass als Kajaphas mächtig Eindruck. Nicht zu vergessen: die rund dreihundertfünfzig Statisten und Laientanzgruppen, die das Volk darstellen, in Lumpen. Andreas Homoki, dreizehn Jahre lang Zürichs Regietheater-Feingeist, hat schon 2022 mit seiner Bregenzer «Butterfly» Spass an der ganz grossen Bühne gefunden – vielleicht startet er jetzt mit solchen Massenevents noch eine weitere Karriere.









