Das ist christliche Kunst in ihrer schönsten Ausprägung: Der Palazzo Strozzi feiert den Meister der italienischen Frührenaissance mit einer einmaligen Ausstellung – ein absolutes Highlight dieses Kunstherbsts.
Der Glaube ist heute weit weg. Und man sagt manchmal, die Kunst sei nun die neue Religion. Es gibt aber religiöse Kunst, die uns immer noch berührt. Solche Kunst hat der Florentiner Maler Beato Angelico geschaffen. Eigentlich hiess er Guido di Pietro. Seine Zeitgenossen aber nannten ihn Beato – der Selige. Denn seine Bilder sind beseelt von inniger Gläubigkeit.
Seine Madonnen sind von einer engelgleichen Zartheit, wie sie die Zeit der italienischen Frührenaissance um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch nicht gesehen hatte. Unvergleichlich die wie mit Pastellkreide hingepuderten Gesichter der Mutter Gottes und des Jesuskinds. Gerahmt von goldenem Haar und versehen mit einem Hauch von leuchtendem Rosa auf den Wangen, kommunizieren Maria und das Knäblein miteinander durch verhaltene, innige Blicke. Deswegen kam Angelico gleichsam auch zu seinem Künstlernamen: Beato Angelico – der beseelte Engelhafte.
So macht man Glaube sichtbar. Der Beseelte zeigt es auf. Und das jetzt in Florenz in einer Fülle und Dichte, wie es wohl lange nicht mehr der Fall sein wird. Über 140 Werke sind in der Fondazione Palazzo Strozzi und dem Museo di San Marco in einer Doppelausstellung zu sehen. Unter den wertvollen Exponaten befinden sich Leihgaben aus dem Louvre in Paris, der Gemäldegalerie in Berlin, des Metropolitan Museum in New York oder dem Vatikan in Rom.
Beten, Malen, Lesen
Beato Angelico (1395–1455) erhielt vermutlich eine Ausbildung als Buchmaler. Jedenfalls war er zuerst bekannt als Maler von Fresken, bevor er bedeutende Aufträge für Altartafeln erhielt. Angelico war aber vor allem auch Mönch. Relativ früh trat er einer religiösen Bruderschaft bei. Fra Angelico – Bruder Angelico –, wie er auch genannt wird, war ein religiös inspirierter Künstler und künstlerisch begnadeter Gottesmann. Beten, Malen, Lesen: Daraus bestand sein Alltag, als er in das Kloster San Marco in Florenz eingetreten war.
Seine Werke beeindruckten bereits seine Zeitgenossen durch eine tief empfundene religiöse Innigkeit. Dass sich diese Kunst aber auch dem heutigen Betrachter noch so spontan vermittelt, hat mit dem Umstand zu tun, dass Angelico den erstarrten Stilisierungen der Gotik neues Leben einzuhauchen vermochte. Das veranschaulichen seine Werke unmittelbar.
Das Jesuskind in seiner «Cedri Madonna» ist von körperlicher Robustheit – ein wahrer Wonneproppen, der seine Kilos wiegen dürfte. Entsprechend greift ihn die feingliedrige Maria mit dem einen Arm fest und sicher und hält ihn mit der anderen Hand am Füsschen in der Balance. Natürlich und lebensnah wirken diese Bewegungen.
Überhaupt sind Angelicos Bilder voller bewegter Lebendigkeit. So war Angelico wahrscheinlich der Erste, der einen Sturm gemalt hatte. Ein Bild der Pedrella des berühmten Linaioli-Tabernakels in San Marco zeigt einen Hagelsturm, der über die Peiniger hineinbricht, die den heiligen Markus an einem Strick zu Tode schleifen.
Angelicos Malerei bricht das Pathos der gotischen Kunst auf. Zwar greift er nach wie vor auf den charakteristischen Goldgrund zurück, stellt diesen aber nicht mehr als flachen Hintergrund dar, sondern als bewegte, vegetabil-ornamentale Draperie wie etwa in der bezaubernden «Jungfrau der Demut» aus dem Rijksmuseum in Amsterdam. Immer öfter auch bricht er den Hintergrund ganz auf und versieht ihn mit architektonischen und landschaftlichen Elementen.
So etwa im Altar von San Marco, der nun für die Ausstellung im Palazzo Strozzi rekonstruiert werden konnte. Erstmals seit dreihundert Jahren konnten dank Leihgaben aus dem Louvre, den Bayrischen Staatsgemäldesammlungen, der National Gallery in Washington und weiteren wichtigen Institutionen 17 der 18 Gemälde wieder zusammengeführt werden. Das ermöglicht nun eine Gesamtwirkung in ursprünglicher Pracht.
Nicht von dieser Welt
Vieles in Angelicos Werk verweist bereits auf die Innovationen der Renaissancemalerei. So lässt sich perspektivisch Kühnes in seinen Bildern entdecken. Ein Altar-Fragment aus einer Privatsammlung in Long Island, New York, das wohl nicht mehr so bald öffentlich zu sehen sein wird, zeigt die Heiligen Katherina von Alexandrien und Johannes den Täufer.
Das Folterinstrument und zugleich Symbol der Märtyrerin, ein mit Metallspitzen bewehrtes Rad, gibt Angelico in stark verkürzter Seitenansicht als schmales Oval wieder. Sanft legt sich Katharinas seidenleicht herabwallender, roter Umhang darüber wie eine Liebkosung. Ihr Antlitz schimmert dabei überirdisch aus dem leuchtenden Goldgrund.
Die sichtbaren Körperpartien vieler Figuren in Angelicos Altarbildern, ob Madonna mit Kind, Engel oder Heilige, wirken wie aus einer anderen Sphäre. Und wie aus einer nochmals anders gearteten physischen Realität erscheinen in diesen Malereien die golden leuchtenden Sonnenscheiben der Heiligenscheine.
Die Gewänder wiederum zeugen von geradezu haptischem Realismus. Man spürt die Weichheit des samtenen blauen Marienmantels, die glänzende Erhabenheit der mit Goldfäden gestickten Bordüren, die Schwere der Brokate, die metallische Festigkeit von Broschen und Fibeln.
Es ist aber lange nicht allein diese Alchemie einer stupenden Malkunst, die heute im Zeitalter des digitalen Illusionismus verblüfft. Mit Effekthascherei hat diese Malerei nichts zu tun. Was ihm der Kanon der gotischen Kirchenmalerei als Vorlage bot, nahm Angelico zwar routiniert auf. Was er aber an Gefühlstiefe in seine Werke hineinzulegen vermochte, ist das eigentliche Mysterium dieser Kunst.
Die Antwort darauf, wie Fra Angelico das Göttliche in seinen Werken aufleuchten lässt, ist vielseitiger Natur: Da wäre der bereits angesprochene Kontrast zwischen leuchtender Zartheit des Inkarnats der Figuren und des handfesten Materialismus alles Stofflichen – ein Gegensatz von himmlischer Transzendenz und weltlichem Prunk.
Selbst aber die materielle Welt scheint bei Angelico durchdrungen vom Göttlichen: So durchscheinend sind manche Stoffe, so filigran das Blattwerk der Pflanzen und so arglos in sanften Pastellfarben leuchtet das Gemäuer der Gebäude, als wären sie Spielzeughäuschen aus einem Kinderzimmer.
Da gibt es auch diesen eigenartigen Marmor, der in manchen von Angelicos Bildern als Untergrund die Szenen mehr schweben lässt, als wirklich trägt. Er ist von einer delirierenden Immaterialität und geradezu psychedelisch irisierenden Farbigkeit, als wollte der Künstler damit die gemalte Pracht seiner Bilder als Ganzes infrage stellen: Es gibt noch eine weitere Wirklichkeit hinter dem bewunderten Trugbild – das Reich Gottes ist von anderer Natur.
Kloster als Gesamtkunstwerk
Fra Angelicos gemalte Religiosität erreicht ihren Höhepunkt dort, wo er Gott am nächsten gewesen zu sein schien. Das Kloster, für dessen Ausschmückung die Familie der Medici als Kunstmäzene Angelico freie Hand liess, wurde zu einer Art eigenem Gesamtkunstwerk des Malermönchs. Hier rezitierte er aus den selbst illuminierten Stundenbüchern, hier wandelte er unter seinen eigenen Fresken, und hier betete er in jeweils einer seiner selber mit biblischen Motiven versehenen 43 Mönchszellen.
Diese Bilder gehören zur Quintessenz christlich-mystischer Malerei. Sie offenbaren, jenseits der prachtvollen, mit Gold ausgeschmückten Altartafeln, den tiefen Glauben Angelicos. Steigt man die Treppe hoch unter das Klosterdach mit den Mönchszellen, empfängt einen in reduzierten Pastelltönen das grosse Fresko mit der Verkündigung. Als sollte mit diesem Bild auch dem Gläubigen in der Klausur verkündet werden: Bete, und du wirst die göttliche Botschaft selber empfangen.
Dieses Fresko und auch alle übrigen kommen ganz ohne Gold und das äusserst kostspielige Pigment Lapislazuli aus. Aus lediglich drei Farbtönen scheint gar eine weitere Darstellung der Verkündigung Mariä in Zelle 3 zu bestehen, so reduziert und bescheiden ging hier Angelico zu Werk.
Ein weiteres Beispiel für diese konzentriert-karge Klostermalerei ist das Fresko in der Zelle 7. Es zeigt den verspotteten Christus mit der Dornenkrone. Vor ihm sitzen Maria und der heilige Dominikus. Allerdings kehren sie der Szene den Rücken zu, er lesend, sie in andächtiger Innenschau. Den Schmerzensmann sehen sie nicht, vielmehr visualisieren sie sein Leiden in stiller Meditation.
«Fra Angelico», Palazzo Strozzi und Museo di San Marco, Florenz, bis 25. Januar 2026. Katalog: 80 Euro.

									 
					





