In seinem Roman «No Way Home» schildert der amerikanische Autor T. C. Boyle, wie ein Arzt den Boden unter den Füssen verliert.
T. C. Boyle entwirft in seinem neuen Roman das Psychogramm einer Dreierbeziehung, die von Obsessionen, Wut und Trauer gezeichnet ist.
Jamieson Fry
Seit Jahren arbeitet sich der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle mit bemerkenswertem Fleiss durch fast alle Aspekte des Allzumenschlichen. Dabei hat er kaum eine der drängendsten Gegenwartsfragen ausgelassen. Über Identitätsdiebstahl und radikale Einzelgänger hat er geschrieben, ebenso über vermenschlichte Schimpansen und Drogenkommunen, Öko-Experimente und rivalisierende Umweltorganisationen.
In seinem neusten Roman widmet er sich jenem Thema, das nach dem Tod das grösste ist im literarischen Kanon: der Liebe. Natürlich hat er dabei nicht die romantische Liebe im Sinn, sondern vielmehr die obsessive Liebe und ihre zerstörerische Kraft.
«Nichts als Dreck und abgewetztes Profil»
Schauplatz der Handlung ist Boulder City, ein kleines Kaff in der Wüste von Nevada, wo Terry, ein Assistenzarzt aus Los Angeles, nach dem Tod seiner Mutter deren Haus sowie ihren Hund Daisy geerbt hat. Nur widerwillig fährt er in die Kleinstadt, mit der er so gar nichts anfangen kann: «Leute, die behaupteten, die Wüste zu lieben, redeten immer von unverstellter Weite, aber für ihn war es mehr wie die Sohle eines alten Joggingschuhs: nichts als Dreck und abgewetztes Profil.»
Dann lernt Terry in einer Bar Bethany kennen: attraktiv, abenteuerlustig und auf der Suche nach einem Schlafplatz, da sie nach der Trennung von ihrem Freund aus der Wohnung geflogen ist. Ohne dass Terry recht weiss, wie ihm geschieht, zieht Bethany nach einer gemeinsamen Nacht ungefragt bei ihm ein, gibt sich als seine Verlobte aus und erklärt, sich um Haus, Hof und Hund zu kümmern, wenn er nach Los Angeles muss.
Für den im Umgang mit Frauen unbeholfenen Terry ist das eine höchst ungewohnte Situation, der er mit Passivität begegnet – er lässt es geschehen. Aber da ist noch Jesse, Bethanys raubeiniger Ex-Freund, ein Motorradfahrer und Lehrer an der Highschool, der Bethany nicht aufgeben will und Terry einen unwillkommenen Rat gibt: «Sie ist Gift. Das weisst du noch nicht, aber du wirst es bald rausfinden.»
Der Mann als Magnet
Es folgt ein erbitterter Kampf zweier sehr unterschiedlicher Männer um eine Frau. «Ist das hier so eine Macho-Sache, ein Revierkampf, und mein Körper ist das Revier?», fragt Bethany. Sie kann sich selbst freilich nicht so recht zwischen ihren beiden Verehrern entscheiden und landet, während sie Terry in Los Angeles wähnt, immer wieder bei Jesse. So befeuert sie den Konflikt auf ihre Art. «Am Ende des Abends war er wieder der Magnet, und sie war in seinem Kraftfeld – es gab kein Entrinnen, sie konnte nichts dagegen tun.»
Die Auseinandersetzungen zwischen Terry und Jesse reichen von zerstochenen Autoreifen bis zu tätlichen Angriffen, beide Beteiligten landen irgendwann mit schweren Verletzungen im Krankenhaus.
T. C. Boyle verfolgt all das mit gewohnter Eloquenz und sehr routiniert – vielleicht sogar etwas allzu routiniert. Man vermisst das Aussergewöhnliche in Boyles Prosa, die unerwarteten Wendungen und auch den Humor, der diesmal fast gänzlich fehlt. So spult er eine eher konventionelle Dreiecksgeschichte herunter. Daran ändert auch der beeindruckende Hintergrund nichts.
Das Eigenleben der Geschichte
In der Wüste von Nevada mit ihren Klapperschlangen, Rennkuckucken oder Javelinas vermag Boyle seine Dreiecksgeschichte nicht einmal mit einer Zugabe aus seiner Paradedisziplin, dem Umweltthema, aufzuwerten. Jesse arbeitet zwar an einem Roman über den Hoover-Staudamm, für den mehrere Ortschaften überschwemmt wurden. Ursprünglich wollte Boyle diesen Aspekt breiter ausrollen, aber, wie er in einem Interview sagte, die Handlung liess das nicht zu: «Irgendwann merkte ich, dass diese Passagen nicht mehr dazu passten, wie die Geschichte sich entwickelte.»
So ist es ein Roman geworden, der mehr als Boyles bisherige Werke wie ein Psychogramm funktioniert. Es geht um Abhängigkeiten und Obsessionen, um Wut, Rache, aber auch um Trauer und Verlust. Und nicht zuletzt handelt der Roman von der Unfähigkeit, sich aus verhängnisvollen Beziehungen zu befreien. Terry ist unfähig, den Tod seiner Mutter zu betrauern, und während er zwischen seiner geordneten Arbeit im Krankenhaus und der Wüste hin- und herpendelt, verstrickt er sich immer tiefer in eine Schattenwelt aus Gewalt und Verlangen.
Wahrheit und Lüge
Die Geschichte wird aus den wechselnden Perspektiven von Terry, Bethany und Jesse erzählt. Diese Struktur verleiht dem Text etwas zutiefst Verunsicherndes, da Boyle darauf verzichtet, klarzustellen, wer mit seinen Aussagen der Wahrheit am nächsten kommt. Hat tatsächlich Jesse Terrys Reifen zerstochen? Und ist Terry schuld an Jesses Motorradunfall – oder doch nicht? Hier liegt der eigentliche Reiz des Romans: in der Ambivalenz der erzählten Realitäten.
«No Way Home» heisst das Buch und in diesem Titel spiegelt sich noch ein anderer Aspekt: die Frage, was Heimat ist und wo man sie finden kann. Terrys Zuhause ist Los Angeles, aber je tiefer er in die zerstörerische Beziehung zu Bethany eintaucht, desto fragiler wird sein Gefühl der Zugehörigkeit. Der Weg nach Hause entpuppt sich als steiniger Wüstenpfad, an dessen Ende nicht die Erlösung, sondern im Gegenteil ein Abgrund lauert.
So steckt hinter Boyles Dreiecksgeschichte letztlich mehr, als man auf den ersten Blick erkennt. Es mag nicht T. C. Boyles bester Roman sein, aber seine Abgründigkeit und Boyles Gabe der schonungslosen Darstellung menschlicher Schwächen sorgen dafür, dass die Leser anders in die Welt schauen, wenn sie aus dem Buch auftauchen.
T. C. Boyle: No Way Home. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser-Verlag, München 2025. 384 S., Fr. 33.20.

									 
					





