Nach dem lustlosen Auftritt von Lionel Messi in Hongkong sind in China nun auch die argentinischen Weltmeister unerwünscht. Die Fussballbeziehungen zwischen dem Westen und Fernost haben sich grundlegend gewandelt.
Das Mongkok-Stadion mitten in Hongkong bietet nur gerade Platz für 7000 Zuschauer, doch zum ersten Mal seit langem ist der lokale Cup-Final nicht ausverkauft. «Mich überrascht das nicht», sagt der Fussballhistoriker Chun Wing Lee und blickt irritiert auf die leeren Tribünenplätze. «Die Aufmerksamkeit ist zurzeit ganz woanders. Alle reden nur noch über Messi.»
Zehn Tage sind vergangen, seit der argentinische Weltmeister mit seinem Klub Inter Miami in Hongkong zu Gast war. Messi kam vor 40 000 Zuschauern im grösseren Hongkong Stadium nicht zum Einsatz und kommunizierte kaum mit den Zuschauern, die für ein Ticket bis zu 550 Franken bezahlt hatten. Die Fans buhten und fühlten sich respektlos behandelt. Das Thema dominierte die sozialen Netzwerke und eskalierte, als Messi drei Tage später in Tokio zumindest eingewechselt wurde. Ausgerechnet in Japan, kommentierten einige User, das Hongkong während des Zweiten Weltkrieges besetzt habe.
Messi wird von vielen Seiten vereinnahmt
Lionel Messi verkörpert die Globalisierung des Fussballs wie kaum ein anderer, doch der Vorfall in Hongkong macht deutlich, wie schnell der kommerzielle Erfolg in Gefahr geraten kann. «Messi wird von chinakritischen und chinafreundlichen Kommentatoren gleichermassen vereinnahmt», sagt Chun Wing Lee, der den Fussball in Hongkong und China seit langem erforscht. «Es sind Verschwörungstheorien darunter, doch viele Menschen nehmen diese Inhalte durchaus ernst.»
📍Hong Kong pic.twitter.com/8DmzzMbZy4
— Inter Miami CF (@InterMiamiCF) February 8, 2024
Messi erhielt in Hongkong auch Einladungen für den Besuch einer Stadionbaustelle und für Sportprojekte. Für lokale Politiker und Sportfunktionäre, die mit Peking sympathisieren, wäre das eine Werbeplattform gewesen. Dass Messi diesen Einladungen nicht folgte, legten ihm Menschenrechtler als Solidarität mit inhaftierten Aktivisten aus. Im Internet kursierte die Anekdote, dass der chinesische Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo ein Fan von Messi gewesen sei. Liu soll kurz vor seinem Tod 2017 beim FC Barcelona schriftlich um ein Autogramm des damaligen Barça-Spielers Messi gebeten haben.
Auch die Nationalität Messis wird diskutiert. Javier Milei, seit Dezember Präsident Argentiniens, hatte sich kritisch zu China geäussert und den Beitritt seines Landes zur Vereinigung der Brics-Staaten abgelehnt, in der Peking die führende Rolle spielt. Messi, so hiess es in Kommentaren, unterstütze diese Haltung.
Es waren mehrheitlich Zuschauer aus Festlandchina, die das Gastspiel von Inter Miami in Hongkong besuchten. Umso grösser ist die Empörung in der Volksrepublik. Staatliche Zeitungen wie die «Global Times» zogen die Begründung in Zweifel, dass Messi wegen einer Verletzung nicht gespielt habe. Kommentatoren hätten Inter Miami in Verbindung mit der CIA gebracht, berichtet der österreichische Sportsoziologe Tobias Zuser, der in Hongkong forscht. Für sie war Messis Desinteresse an Hongkong eine Machtdemonstration der USA.
Die Veranstalter in Hongkong, Inter Miami und Messi bemühten sich in Statements um Entspannung, doch viele Fans in China verlangten eine deutlichere Entschuldigung. Am Wochenende vermeldete der Chinesische Fussballverband, dass eine Reise des argentinischen Nationalteams nach China nicht stattfinden werde. Für März waren Spiele in Hangzhou gegen Nigeria und in Peking gegen Côte d’Ivoire geplant. Zudem forderten etliche Fans, die Sponsoren von Messi zu boykottieren.
Vor wenigen Jahren galt China für internationale Spitzenklubs noch als wichtiger Wachstumsmarkt
In den vergangenen Jahren hatte die Volksrepublik mehrfach Beziehungen zu westlichen Sportorganisationen abgebrochen, allerdings als Reaktion auf chinakritische Aussagen von Fussballern wie Mesut Özil, der die Unterdrückung der muslimischen Uiguren ansprach, oder von Funktionären wie dem amerikanischen Basketballmanager Daryl Morey, der sich mit der Demokratiebewegung in Hongkong solidarisierte hatte. Dass Peking nun nach einem vergleichsweise harmlosen Vorfall rund um Messi so streng reagiert, zeigt, wie sehr sich die Fussballbeziehungen zwischen dem Westen und Fernost gewandelt haben.
Noch vor einigen Jahren galt China für Spitzenklubs aus Europa und den USA als ein wichtiger Wachstumsmarkt. Vereine wie der FC Bayern, Paris Saint-Germain oder Manchester United eröffneten Büros oder unterstützten Jugendakademien in Peking oder Schanghai. Chinas Wirtschaft investierte in eigene Fussballstrukturen und förderte den Einstieg von staatsnahen Unternehmern in europäische Klubs wie Inter Mailand oder Espanyol Barcelona.
Mit dem wachsenden Nationalismus unter Staatspräsident Xi Jinping wurde diese Strategie zunehmend unterminiert. Nun nutzt China den Fussball als Plattform, um das gewachsene Selbstvertrauen gegenüber dem Westen zum Ausdruck zu bringen. Auch mithilfe der Sonderverwaltungszone Hongkong, in der nicht nur Politik und Justiz, sondern auch der Fussball immer stärker von Peking bestimmt werden. So musste Hongkongs Fussballverband seinen offiziellen Namen jüngst erweitern, er heisst nunmehr «Hongkong, China».
Mit dem Gastspiel von Inter Miami wollte der Veranstalter «Tatler Asia», ein Luxusmagazin, das Interesse ausländischer Investoren und Musikstars für Hongkong reaktivieren. Das ist schiefgegangen. Nach dem öffentlichen Druck will das Unternehmen immerhin die Hälfte der Ticketkosten für das Spiel erstatten. Lionel Messi allerdings bleibt weiterhin: ein unerwünschter Gast.